Zwischen subtilem Druck und Selbstzensur
13. April 2016In Japan gibt es die Institution der politischen Fernsehkommentatoren. Ihre Analysen und Einschätzungen haben durchaus Einfluss auf die Bildung der öffentlichen Meinung. Wenn gleich mehrere bekannte Kommentatoren in recht kurzer Zeit vom Bildschirm verschwinden, dann wirft dies ein kritisches Schlaglicht auf den Zustand der Pressefreiheit in Japan. Diese Entwicklung ist ein Grund dafür, warum der UN-Sonderbeauftragte für die Meinungs- und Pressefreiheit, David Kaye, in dieser Woche Japan besucht und mit Journalisten, Beamten und Experten spricht.
Zum Beispiel Hiroko Kuniya. 23 Jahre lang hat die Journalistin die Sendung "Close-up Gendai" geleitet, so viel wie "Aktuelle Nahaufnahme". Das halbstündige Programm läuft nach den 19-Uhr-Hauptnachrichten auf dem öffentlich-rechtlichen TV-Sender NHK und kommt mit seinem scharfen Blick auf aktuelle Themen dem westlichen investigativen Journalismus am nächsten. Für die Absetzung von Hiroko Kuniya im März gab es keine offizielle Begründung. Aber sie hatte es gewagt, dem Regierungssprecher Yoshihide Suga in einer Livesendung nicht abgesprochene Fragen zu den umstrittenen Sicherheitsgesetzen zu stellen.
Zum Beispiel Ichiro Furutachi. Zwölf Jahre lang moderierte er die spätabendliche Nachrichten-Show des liberalen Senders Asahi TV. Der 61-Jährige steht der Regierung von Premierminister Shinzo Abe kritisch gegenüber. Im September 2015 bezeichnete er die rasche parlamentarische Verabschiedung der Sicherheitsgesetze als "Durchpeitschen". Die Gesetze, die Abe vor zwei Wochen in Kraft gesetzt hatte, erlauben den japanischen Streitkräften, unter bestimmten Umständen an bewaffneten Einsätzen anderer Nationen teilzunehmen. Experten sehen darin einen Verstoß gegen die pazifistische Verfassung.
Subtiler Druck
Kommunikationsministerin Sanae Takichi hatte im Februar gewarnt, TV-Sendern könne die Lizenz entzogen werden, wenn sie wiederholt nicht fair und neutral berichteten, wie es das Rundfunkgesetz verlange. Doch solche offenen Drohungen gibt es selten. Die Regierung setzt vielmehr auf subtilen Druck, um kritische Stimmen zum Schweigen zu bringen. Es gebe eine "wachsende Atmosphäre, dass ich nicht frei kommentieren kann", erklärte Moderator Furutachi in seiner letzten Sendung am 31. März. Direkt kann die Regierung nur den TV-Sender NHK lenken. Dies geschah durch eine Neubesetzung des Aufsichtsgremiums mit loyalen Leuten. Der neue Vorsitzende des Gremiums Katsuto Momii versprach öffentlich, der Sender werde bei diplomatischen Schlüsselfragen künftig der Regierungslinie folgen.
Dagegen werden die Privatmedien vor allem hinter den Kulissen beeinflusst, wie TV-Journalisten und ihre Gewerkschaften beklagen. Die Regierung nutzt dafür die geringe Distanz zwischen Medien und Politik in Japan aus. Die Nähe spiegelt sich in den Presseklubs in Ministerien und Ämtern wider. Die Journalisten erhalten dort sehr viele Informationen, berichten davon aber nur wenig, um den direkten Zugang nicht zu verlieren.
Bei Pressekonferenzen von Regierungschef Shinzo Abe sind Fragesteller und ihre Fragen nach Angaben von Auslandskorrespondenten vorher abgesprochen, damit Abe vorbereitete Antworten ablesen kann. Zudem lädt der Premier die Chefs der großen Verlage zum Abendessen ein, um öffentliche Kritik an heiklen politischen Vorhaben im Vorfeld zu verhindern.
Vorauseilender Gehorsam
In Hintergrundgesprächen werden einzelne Journalisten und Programme kritisiert. Auch das Instrument von schriftlichen Beschwerden und Ermahnungen zu Neutralität und Korrektheit ist sehr beliebt. "Eigentlich sollten die Medien die Politik beobachten, aber jetzt beobachtet die Regierung die Medien", meinte der renommierte Journalist Shuntaro Torigoe. Die Verlagshäuser reagieren mit vorauseilendem Gehorsam.
Einige Sender habe bereits interne Kontrollen eingeführt, ob Berichte und Meinungen die Regierung verärgern könnten. "Die Erstickung (der Freiheit) ist das Ergebnis von Selbstregulierung und Selbstzensur", klagte der langjährige TBS-Reporter Shigeonori Kahenira. Eine Ursache dafür: In Japan verstehen sich die Medien traditionell nicht als vierte Gewalt, sondern als Teil und Stütze des Establishments.
Diese Gemengelage erschwert die Japan-Mission des UN-Sonderbeauftragten für die Meinungs- und Pressefreiheit David Kaye. Die TV-Sender wollen nicht erklären, warum die TV-Kommentare vom Bildschirm verschwunden sind. Die betroffenen Journalisten wiederum wollen nicht zugeben, dass sie von ihren Arbeitgebern geschasst wurden. "Es hat keinen Druck gegeben", behauptete etwa Asahi-Moderator Furutachi. Vor diesem Hintergrund ist die Organisation Reporter ohne Grenzen in den vergangenen Jahren zunehmend kritischer geworden. Auf ihrer Rangliste der Pressefreiheit 2015 ist Japan seit 2010 vom elften auf den 61. Platz gefallen. In diesem Jahr gilt eine weitere Herunterstufung als wahrscheinlich.