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Wirecard im Sog eines Milliardenbetrugs

Mischa Ehrhardt Frankfurt am Main
22. Juni 2020

Der Finanzdienstleister Wirecard ist in einen Milliardenbetrug verwickelt. Unklar ist, wer dafür verantwortlich ist. Nicht erst seit heute steht das Unternehmen im Zwielicht. Jetzt aber geht es um das nackte Überleben.

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Wirecard Zentrale vor Abendhimmel
Bild: picture-alliance/SvenSimon

Der Fall des Zahlungsdienstleisters Wirecard bietet Stoff für einen guten Wirtschaftskrimi. Nur ob die Geschichte ein Happy End findet, ist unklarer denn je. In der Nacht zum Montag musste der Konzern eingestehen, dass die in Frage stehenden Treuhandkonten und Guthaben in Höhe von 1,9 Milliarden Euro "mit überwiegender Wahrscheinlichkeit nicht bestehen". Die fraglichen Buchungen machen rund ein Viertel der Bilanzsumme Wirecard aus.

Deswegen muss das Unternehmen aus Aschheim in der Nähe von München nun die Bilanzen der vergangenen Jahre überprüfen und wahrscheinlich umschreiben - inklusive der Geschäftsaussichten für die kommenden Jahre. Das hat Anleger auch am Montag in die Flucht getrieben, die Aktien rauschten in Frankfurt noch tiefer in den Keller.

Bereits Ende der vergangenen Woche hatten zwei philippinische Banken, bei denen das Geld eigentlich liegen sollte, mitgeteilt, dass Wirecard kein Kunde von Ihnen sei.

Lange Geschichte mit vielen Wendungen

"Das ist in dieser Form sicherlich ein einmaliger Vorgang in der Wirtschaftsgeschichte der Bundesrepublik Deutschland, dass ein im Deutschen Aktienindex (Dax) notierter Konzern nicht nur demontiert wird, sondern sich auch selbst demontiert in dieser Weise", sagte der Vizepräsident der deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz (DSW), Klaus Nieding. "Das Unternehmen ist schon lange in der Kritik hinsichtlich seiner Kommunikationspolitik. Jetzt rächt sich, dass der Kapitalmarkt nicht schon früher angefangen hat, an den Bilanzen des Unternehmens zu zweifeln."

Wohl jeder, der mit Kredit- oder Girokarte zahlt, hat (unbewusst) schon mal mit Wirecard zu tun gehabt.
Wohl jeder, der mit Kredit- oder Girokarte zahlt, hat (unbewusst) schon mal mit Wirecard zu tun gehabt. Bild: picture-alliance/dpa/S. Hoppe

In der Tat reicht die Geschichte der Kritik und von Angriffen gegen das Unternehmen über ein Jahrzehnt zurück. So hatte beispielsweise vor gut zehn Jahren der Vize-Chef der Schutzgemeinschaft für Kapitalanleger (SdK), Markus Straub, den Verdacht auf Unregelmäßigkeiten bei Wirecard geäußert. Pikanterweise stellte sich im Nachhinein dann aber heraus, dass Straub selbst auf einen fallenden Kurs des Unternehmens gewettet hatte. Deswegen wurde er wegen Markmanipulation verurteilt.

Einen weiteren "Angriff" solcher Art gab es 2016. Da erschien ein langer Report eines Analystenhauses namens Zatarra, der von angeblich kriminellen Machenschaften bei Wirecard berichtete. Auch da stürzte der Aktienkurs ab. Der Herausgeber des Reports, der britische Leerverkäufer Fraser Perring, geriet ins Visier der Staatsanwaltschaft, kriminelle Machenschaften konnten ihm jedoch nicht nachgewiesen werden - Mitte Mai gab das Amtsgericht München bekannt, das Verfahren einzustellen. 

Von Konten, die nicht existieren

Dass ausgerechnet Wirecard immer wieder Ziel von spekulativen Angriffen war, ist kein Zufall. "Wirecard erscheint nicht ganz transparent, wie das bei anderen Aktiengesellschaften der Fall ist", sagt Klaus Nieding. Das liegt auch am Geschäftsmodell: Wirecard ist ein Zahlungsdienstleister, der im Hintergrund Zahlungen im Internet oder Kartenzahlungen in Geschäften abwickelt. Dabei läuft vieles über dritte Partner in anderen Ländern, wo Wirecard keine eigenen Lizenzen für Transaktionsgeschäfte hat. Das Unternehmen hat sich in den vergangenen Jahren auf Grund der zunehmenden Käufe im Internet stark vergrößert.

Das alles hat es für außen Stehende schwer gemacht, Wirecard zu durchschauen. Auch der Ursprung des Unternehmens in der Zahlungsabwicklung von Porno- und Glücksspielseiten im Internet bot Raum für Phantasien und Spekulationen. So hatte die Financial Times in den vergangenen Monaten immer wieder berichtet, dass es starke Hinweise auf Unregelmäßigkeiten bei Geschäften des Konzerns in Asien gebe. Nun stellt sich heraus, dass zumindest ein Teil der Vorwürfe eine ziemlich reale Grundlage hat.

Denn die angeblichen Bankbestätigungen für Treuhandkonten von Wirecard bei der philippinischen Bank BPI waren nach Angaben ihres Vorstandschefs eine plumpe Fälschung. "Als man uns das sogenannte Zertifikat gezeigt hat, war sehr klar, dass es falsch war", sagte Cezar Consing am Montag der Nachrichtenagentur Reuters. Ein "sehr niedrigrangiger" Manager, der bereits entlassen ist, habe die gefälschten Zertifikate unterzeichnet. Im Zentrum dieser Machenschaften wiederum steht nach Recherchen der Süddeutschen Zeitung und des Spiegel der Anwalt und Treuhänder Mark Tolentino. Der aber ist in seiner Kanzlei im philippinischen Finanzzentrum Makati City nicht zu erreichen.

Deutsche Finanzaufsicht vom Blitz getroffen

Er soll treuhänderisch die 1,9 Milliarden Euro für Wirecard verwaltet haben. Solches Geld braucht Wirecard grundsätzlich, weil das Unternehmen als Mittler bei Zahlungsvorgängen agiert. Wenn Kunden bei (Online-)Händlern bestellen, schießt Wirecard den Händlern den Betrag vor. So kommt die Ware zum Kunden, ohne dass dessen Geld schon beim Händler sein muss. Wirecard wiederum wickelt dann den Geldtransfer mit dem Kunden ab.

Wie es für Wirecard nun weiter geht, haben nicht zuletzt die Banken in der Hand, die Wirecard mit Krediten versorgen. Drehen die den Geldhahn zu, könnte es schnell um die Zukunft des Unternehmens mit seinen rund 5000 Beschäftigten gehen. Immerhin war am Finanzplatz Frankfurt in den vergangenen Tagen zu hören, dass man Interesse daran habe, Wirecard am Leben zu erhalten.

Das Unternehmen selbst hat nach dem Abgang des umstrittenen Firmenchefs Markus Braun und des Vorstandes Jan Marsalek nun angekündigt, Kosten senken zu wollen und das Unternehmen neu aufzustellen. Ob das ausreichen wird, ist unklar.

Klar aber ist, dass alle Kontrollen und Prüfungen in den vergangenen Jahren offensichtlich versagt haben. In dieser Hinsicht gibt sich auch die deutsche Finanzdienstleistungsaufsicht Bafin selbstkritisch. "Wir sind nicht effektiv genug gewesen, einen solchen Fall zu verhindern", räumte deren Präsident Felix Hufeld ein und sprach von einem "totalen Desaster". Noch im vergangenen Jahr hatte die Bafin Journalisten der Financial Times wegen des Verdachts der Marktmanipulation im Zusammenhang mit den FT-Recherchen zu Wirecard angezeigt. 

Beobachter wie Klaus Nieding sehen einen Großteil der Verantwortung aber auch bei den Wirtschaftsprüfern von EY. Denn die haben jahrelang die Abschlüsse des Konzerns testiert, ohne dass ihnen die Unregelmäßigkeiten aufgefallen wären.