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Politik

Von der Leyen: Sieg für östliche EU?

Stephan Ozsváth
15. Juli 2019

Die Regierungen in Budapest und Warschau freuen sich, dass weder Timmermans noch Weber den EU-Chefposten bekommt. Doch der Jubel über Ursula von der Leyens Kandidatur ist verfrüht, meinen Experten aus der Region.

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Brüssel EU | Ursula von der Leyen & Jean-Claude Juncker, EU-Kommissionspräsident
Ursula von der Leyen mit EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker Bild: Reuters/F. Lenoir

"Wir haben eine deutsche Familienmutter, die Mutter von sieben Kindern, an die Spitze der Kommission gewählt", jubelte Ungarns Regierungschef Viktor Orbán nach der Kür Ursula von der Leyens zur Kandidatin für den EU-Chefsessel. Nun sei in Europa eine Wende zu erwarten, meinte der Rechts-Politiker. "Wir haben einen wichtigen Sieg errungen", so Orbán weiter. Mit "Wir" meint er die V4-Staaten (Visegrad-Staaten, also Polen, Ungarn, Tschechien und die Slowakei). Péter Krekó, Leiter der Budapester Denkfabrik Political Capital, ist da skeptisch. Es sei keineswegs ausgemacht, dass die Kandidatur von der Leyens "ein Hauptgewinn für Orbán" sei.          

Immerhin gehöre die CDU-Politikerin zum liberalen Flügel ihrer Partei, setze sich für die Homo-Ehe ein und habe selbst in ihrem Haus einen syrischen Flüchtling aufgenommen, erläutert der Analyst für die DW. Auf europäischer Ebene unterstütze sie eine weitere Föderalisierung Europas und sei mit Blick auf Putin eher ein "Falke". Sie befürworte den Merkel-Kurs der frostigen Beziehungen zu Orbán. Lediglich beim Thema gemeinsame europäische Verteidigung hat Orbán einen gemeinsamen Nenner mit der Merkel-Vertrauten, aber Krekó glaubt, dass das Projekt eine leere Hülse ist, "da es zur NATO keine Alternative" gebe.      

Miss "Nicht-Timmermans"  

Ursula von der Leyens Vorteil sei vor allem, "dass sie nicht Timmermans ist", sagt der Direktor der Denkfabrik Political Capital. Bis zuletzt hatten die Orbán-treuen Medien Stimmung gegen den niederländischen Spitzenkandidaten der Sozialdemokraten gemacht und ihn als "Marionette von Soros" (des jüdischen US-Multimilliardärs und Orbán-Feindbilds) denunziert. Der Vizepräsident der EU-Kommission hatte maßgeblich das Artikel-7-Prozedere gegen Orbán und Co. angeschoben. Auch der konservative Spitzenkandidat Manfred Weber hatte dies unterstützt. Nach der Budapester Logik sind sie also Feinde. Auch in Polen gelte Timmermans  deshalb als "anti-polnisch", betont Adam Tarczyk vom Warschauer Think Tank GlobalLab. Dass die beiden Spitzenkandidaten nun aus dem Spiel um den EU-Chef-Posten sind, verkauft nicht nur die Regierung Orbán als Sieg. "Für die Visegrader gilt im Allgemeinen: Sie verfügen über viel Geschick beim Zerstören", kommentiert die linke Budapester Tageszeitung "Népszava", "doch für konstruktive Vorschläge reicht es bei ihnen nicht". In der Kritik in Mittelost-Europa ist das Spitzenkandidaten-Verfahren an sich. Der rechtsextreme ungarische Europaparlamentarier Márton Gyöngyösi (von der Partei Jobbik) bezeichnet die Kür der deutschen Verteidigungsministerin als "skandalös". Wegen ihrer Affären als Ministerin sei sie das "schwächste Glied in der Kette" und das ganze Verfahren "ein Rückschritt ins finstere Mittelalter". Merkel versuche lediglich, eine gescheiterte Politikerin "nach oben" zu entfernen.           

Frans Timmermans
Unbeliebt in Budapest und Warschau: Frans TimmermansBild: picture-alliance/XinHua

Katalin Cséh, frisch gewählte Europaparlamentarierin der liberalen ungarischen Momentum-Partei, freute sich dagegen auf ihrer Facebook-Seite "persönlich", dass erstmals in der Geschichte "eine Frau an die EU-Kommissions-Spitze" kommen könne. Mit von der Leyen gebe es eine Chance für all jene, "die an ein stärkeres, einigeres und der Rechtsstaatlichkeit verpflichtetes Europa glauben". Auch in Tschechien wird die Kandidatur von der Leyens für den EU-Chefposten eher als Niederlage der Visegrad-Staaten gesehen. "Der Visegrad-Gruppe ist es gelungen, sich ins eigene Knie zu schießen", schreibt etwa die liberale tschechische Zeitung "Hospodarske noviny". "Man betont, dass sie eine enge Verbündete von Kanzlerin Merkel ist", sagt Zuzana Lizcová von der Universität Prag der DW. Zwar habe sich von der Leyen nicht als Kritikerin des Demokratieabbaus in Polen und Ungarn hervorgetan, aber sie werde sicher nicht in Einklang mit mitteleuropäischen Konservativen vom Schlage Jaroslaw Kaczynskis oder Viktor Orbáns stehen, schreibt "Hospodarske noviny". "Eine Frau, die sich für ein föderales Europa, Gender-Quoten und Migranten einsetzt? Das ist das ideale Feindbild für diesen Typen von Politiker." Insofern werde von der Leyen wohl bald Angela Merkel als "Hassobjekt xenophober Populisten ersetzen".   

"Heute lachen die illiberalen Führer, morgen könnten sie weinen" 

"Sieg in der Niederlage": So titelt auch "Visegrad Insight", das Online-Magazin des gleichnamigen Warschauer Think Tanks der Stiftung Res Publica. "Heute lachen die illiberalen Führer Mitteleuropas noch, morgen könnten sie weinen", schreibt Chefredakteur Wojciech Przybylski. Sie verkauften die Niederlage von Timmermans und Weber zu Hause als siegreichen Widerstand gegen eine "Verschwörung der Eliten". Dabei hätten sich die V4-Staaten lediglich an einem "Coup gegen das Prinzip des Spitzenkandidaten" beteiligt. Sie könnten sich am Ende noch wundern, wenn nämlich der Niederländer Timmermans mächtiger denn je in der EU-Kommission würde. Grüne und Liberale könnten dafür sorgen, dass er das Thema Rechtsstaatlichkeit noch stärker in der EU-Kommission durchsetzt als bisher.

Denn die Gewichte im EU-Parlament hätten sich verschoben. Die bisherigen Verbündeten der V4-Staaten hätten eher verloren, die Liberalen eher hinzugewonnen. "Sie dürften es schwer haben, machtvolle neue Verbündete in Brüssel zu finden", resümiert Wojciech Przybylski. Orbán und der Warschauer Strippenzieher Kaczynski sollten sich nicht täuschen, meint auch der Budapester Analyst Krekó: "Die Themen Rechtsstaatlichkeit und Korruption werden auf der Tagesordnung bleiben, egal wer an der EU-Kommissionsspitze ist." Eigentlich hatten sich die beiden starken Männer in Budapest und Warschau einen Mittelost-Europäer in einem wichtigen EU-Amt gewünscht, etwa den Slowaken Sefcovic als EU-Außenbeauftragten. Insofern seien "die V4-Staaten mit ihrem Plan gescheitert, jemand aus Mittelosteuropa zu installieren", resümiert Krekó. "Der Osten sollte eigentlich nicht glücklich sein", kommentiert die liberale rumänische Tageszeitung "Adevarul", "denn trotz der Versprechen von Frankreichs Präsident Macron hat er nichts bekommen".