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Gesellschaft

Vom Influencer zum Sinnfluencer

Mirjam Benecke
14. Oktober 2019

Bambus-Zahnbürste statt Beauty-Wahn: In den sozialen Medien gewinnen sogenannte Sinnfluencer immer mehr Einfluss. Sie werben für Nachhaltigkeit statt blindem Konsum. Geht das denn?

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Symbolbild junge Frau & Renovierung von Wohnung
Mehr Nachhaltigkeit in der eigenen Arbeit: Sinnfluencerin Jana KasparBild: Imago Images/Westend61

Schnappschuss: Sie steht am Strand und lächelt unbestimmt in die Ferne. Der zartrosa Bikini spannt sich über der makellos gebräunten Haut. Am Handgelenk baumelt eine goldene Uhr. Wer durch Instagram stöbert, landet schnell in einer perfekt inszenierten Welt. Die Stars dieser Welt sind sogenannte Influencer. Millionen Menschen schauen sich ihre Fotos und Videos an.

Hinter den scheinbar spontanen Schnappschüssen steckt oft ein Berg Arbeit. Schminken, Klamotten zurechtzupfen, Pose überlegen und am Ende noch die kleinen Dellen am Oberschenkel retuschieren. Auch die goldene Uhr ist nicht zufällig im Bild. Firmen zahlen eine Menge, damit Influencer Fotos mit ihren Produkten machen. Diese bezahlten Kooperationen funktioniert oft sehr gut. Denn viele Fans wollen es ihren Idolen gleich tun und kaufen die gezeigten Produkte nach.

Doch in den letzten Jahren tauchen auf Youtube und Instagram immer mehr sogenannte Sinnfluencer auf. Oft sind es junge Frauen, die ihre Reichweite sinnvoll nutzen wollen. Sie halten nicht mehr jedes Produkt in die Kamera, sondern setzen auf Nachhaltigkeit und Umweltschutz.

Eine, die sich vom Influencer zum Sinnfluencer entwickelt hat, ist Jana Kaspar. Im Internet ist sie als Janaklar unterwegs. Noch vor drei Jahren drehte Janaklar für Youtube Videos, in denen sie haufenweise neu gekaufte Klamotten von H&M und Primark in die Kamera hält. Doch nach und nach verändern sich ihre Inhalte. Jana redet über vegane Ernährung, schminkt sich kaum noch und verkauft Kleidung, die sie nicht regelmäßig trägt. Sie schreibt auf Instagram: "Shoppen ist kein Hobby. Meiner Meinung nach wird gerade hier und auch auf Youtube Shopping regelrecht als Wettkampf betrieben."

Woher kommt der Wandel?

Stück für Stück verabschiedet sich Janaklar von dem glamourösen Lebensstil, den Influencer oft zur Schau stellen. "Viel zu viel habe ich mich immer damit beschäftigt, was mir denn noch alles fehlen würde, anstatt zu erkennen, in welcher Fülle ich eigentlich lebe und dafür dankbar zu sein", schreibt Jana auf Instagram. Die Österreicherin hat 468.000 Abonnenten auf Youtube. Auf Instagram sehen 165.000 Menschen, welche Bilder und kurze Videos Jana täglich veröffentlicht. Die 24-Jährige zeigt den Fans ihre plastikfreien Einkäufe vom Wochenmarkt und welche Produkte sie im Badezimmer benutzt. Dabei braucht Jana heute nicht viel mehr als eine Bambus-Zahnbürste, Zahnpasta und Haarseife. "Lustigerweise verwende ich seit Monaten nur noch das Nötigste und fühle mich so schön und vor allem gesund wie nie zuvor."

Einen ähnlichen Wandel wie Jana haben auch andere Influencer in den letzten Jahren durchgemacht. Die Bloggerin und Instagrammerin Jule Amelie beschreibt es so: "Ich habe eine Verantwortung, meine Reichweite sinnvoll zu nutzen. In Zeiten, in denen der Umgangston wieder rauer, die Meere immer verschmutzter und Tiere immer mehr leiden müssen, ist es so wichtig, Zeichen zu setzen und gewissermaßen laut zu sein.” Dabei haben Sinnfluencer nicht den Anspruch, immer alles richtig zu machen. “Auch ich mache viel falsch und lange nicht alles perfekt, aber das ist doch kein Grund, überhaupt nichts zu machen und nur Shoppingausbeuten oder Beautyprodukte vorzustellen.”

Wie groß ist die Sinnfluencer-Bewegung?

Das ist schwer zu sagen. Denn der Begriff Sinnfluencer ist nicht fest definiert. Jeder darf sich so nennen oder so genannt werden. Ähnlich wie bei Janaklar ist auch bei vielen anderen Youtube- und Instagram-Größen in der deutschsprachigen Szene ein Umdenken sichtbar. Beispiele dafür sind die Kanäle von Mirella Precek alias Mirellativegal (548.000 Abonennten), Jacko Wusch (190.000 Abonennten) oder der Instagram-Account von Madeleine Alizadeh alias DariaDaria (256.000 Abonnenten).

Symbolbild Äpfel auf Tisch
Weniger ist mehr: Etliche Sinnfluencer leben vegan oder vegetarisch um Umwelt und Tiere zu schützen.Bild: Imago Images/photothek

Daneben gibt es aber auch diejenigen Influencer, die sich schon von Anfang an Nachhaltigkeits- und Umweltsthemen verschrieben haben. Die Bloggerin Shia Su ist zum Beispiel eine Expertin in Sachen Müllvermeidung. Sie erklärt im Internet wie sie Waschmittel aus Kastanien herstellt und warum Palmöl der Umwelt schadet. Pia Schulze (Pia Kraftfutter) nimmt ihre 53.0000 Instagram-Fans regelmäßig mit zu den Aktionen der Umweltbewegung Extinction Rebellion. Statt Schminktipps gibt's bei ihr Sitzblockaden und Protest-Plakate zu sehen.

"Es gibt bereits seit längerem Personen und Gruppen, die sich sehr authentisch via Social Media für mehr Nachhaltigkeit einsetzen", sagt Martin Fehrensen der DW. Er beobachtet auf seinem Social-Media-Watchblog die Szene. "Dass sich derzeit so viel mehr Influencer mit dem Thema schmücken wollen, ist natürlich dem Zeitgeist geschuldet - das kann man kritisch sehen oder gar belächeln." Damit sei letztlich aber niemandem geholfen. "Zunächst einmal ist es ja absolut positiv, wenn möglichst viele Menschen dafür gewonnen werden können, über Nachhaltigkeit und Umweltschutz nachzudenken."

Und wie lässt sich damit Geld verdienen? 

Sinnfluencer setzen sich oft kritisch mit ihrem Konsum auseinander. Deshalb fällt Werbung für billig produzierte T-Shirts oder die hundertste Pflegespülung schon mal weg. Trotzdem leben die meisten Sinnfluencer immer noch von Kooperationen mit Firmen. Nur überlegen sich die meisten sehr genau, welche Unternehmen und Produkte sie mit ihrer Reichweite unterstützen. Janaklar bewirbt zum Beispiel die vegane Sektion der Supermarktkette Hofer und den Wiener Tierschutzverein. 

Neben Kooperationen haben Sinnfluencer noch andere Einnahmequellen: Shia Su hat ein Buch über Müllvermeidung geschrieben und hält Vorträge in ganz Deutschland. Pia Kraftfutter gibt vegane Kochkurse und verkauft nachhaltige Kalender.

Fraglich wird es für Martin Fehrensen nur dann, wenn Influencer meinen, Sinn und Nachhaltigkeit seien rein käuflich - zum Beispiel durch ein tolles Yoga-Wochenende in Thailand oder besonders fair produzierte Kleidung. "Dem möchte man natürlich entgegnen, dass es nicht nur um anderen Konsum gehen muss, sondern auch darum, insgesamt weniger zu konsumieren. Nur damit lässt sich natürlich nichts verdienen."