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Politik

Ungarn: Nazi-Vorwürfe gegen Deutschland

24. November 2020

Nach dem ungarisch-polnischen Veto gegen den EU-Haushalt sendet die heute-show eine Satire über Viktor Orbán. Ungarns Regierungssprecher kontert mit Nazi-Vorwürfen gegen Deutschland.

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Screenshot Webseite ZDF Heute Show
Gründung der "Europäischen Union ohne die bekloppten Ungarn und Polen" in der heute-show vom 20.11.2020Bild: ZDF

Mal ist es sein Umgang mit kritischen Medien. Dann wieder sein Schmusekurs mit Putin. Oder seine Corona-Notstandsgesetzgebung. Ungarns Premier Viktor Orbán bietet dem ZDF-Comedy-Magazin "heute-show" regelmäßig Gelegenheiten für satirische Beiträge. Meistens schäumen ungarische Regierungsvertreter hinterher und geben beleidigte Kommentare ab.

Auch in der vergangenen Woche war Orbán wieder Thema in der heute-show. Die Komikerin Carolin Kebekus regte sich lautstark über das Veto Ungarns und Polens gegen den EU-Haushalt auf. Sie nannte Orbán einen "ungarischen Gulasch mit Ohren" und schlug vor, dass alle EU-Staaten außer Ungarn und Polen aus der EU austreten sollten. Um die Union dann sofort als "EUODBUUP" neu zu gründen - als "Europäische Union ohne die bekloppten Ungarn und Polen".

Zoltan Kovacs
Ungarns Regierungssprecher Zoltán Kovács, hier als Gast des DW-Interviewprogramms "Conflict Zone" im Oktober 2017

Ein Kommentar von ungarischer Regierungsseite war zu erwarten. Doch diesmal flippte der Regierungssprecher und Staatssekretär Zoltán Kovács regelrecht aus. Er veröffentlichte am Montagnachmittag (23.11.2020) eine Stellungnahme auf der offiziellen englischsprachigen Webseite der ungarischen Regierung, die den anspruchsvollen Namen "About Hungary" trägt, aber praktisch nur Erklärungen von Orbán und seiner Regierung enthält.

Humor und Satire hätten ihren Platz in der Politik, schrieb Kovács in seiner Stellungnahme zum heute-show-Beitrag - aber es gebe Grenzen. Die deutsche Satiresendung habe mit ihrem Beitrag wieder einmal eine rote Linie und die Linie des Anstandes überschritten, etwa, indem sie Orbán einen "Idioten" nenne und Ungarn und Polen als "Parasiten" der EU bezeichne. Wobei weder Carolin Kebekus noch der Moderator Oliver Welke die Wörter "Idiot" und "Parasiten" benutzt hatten.

"Deutsche betrachten sich als überlegen"

Es kam noch ärger: Das deutsche Staatsfernsehen, schrieb Kovács, sei "völlig indoktriniert" und verbreite "arrogant und böswillig eine herablassende Karikatur des ungarischen Premierministers". Und schließlich schwang der Regierungssprecher die Nazi-Keule: "Ich erinnere mich an eine andere Zeit, in der sich Deutsche als überlegen betrachteten und auf den Rest von uns herabschauten. Es hat nicht so gut funktioniert."

Screenshot Webseite ZDF Heute Show
Eine "ungarischer Gulasch mit Ohren": Viktor Orbán in der ZDF-heute-show Bild: ZDF

Was genau in dem Vier-Minuten-Beitrag der heute-show vom arischen Überlegenheitswahn der Nazis zeugt, erklärte Kovács nicht. Unklar bleibt auch, welche Satire über Viktor Orbán die ungarische Regierung für akzeptabel hält. Und warum Ungarns Regierungssprecher, der gern einfordert, dass über sein Land keine Lügen verbreitet werden, der heute-show den Gebrauch von Wörtern vorwirft, die sie nicht benutzt hat. Auf entsprechende Fragen der DW reagierte er nicht.

Ein "Propagandavideo"

Ein mehr oder weniger deutlicher Nazi-Vorwurf an Deutschland kam wegen der heute-show-Satire auch von Staatssekretär Tamás Menczer, der im ungarischen Außenministerium für Kommunikation und die Darstellung Ungarns im Ausland zuständig ist. Menczer sagte am Montag im öffentlich-rechtlichen Fernsehen M1, er respektiere die Deutschen - aber sie würden "alles dafür tun", Ungarns Image im Ausland "zu zerstören". Es sei seltsam, so Menczer, dass es im deutschen öffentlich-rechtlichen Fernsehen "das Wichtigste ist, über europäische Partner und Verbündete ohne minimalen Respekt zu sprechen". Bei dem Beitrag der heute-show handele es sich um ein "Propagandavideo". "Die Deutschen waren in der Propaganda schon immer stark", so der Staatssekretär.

Katarina Barley - Europaabgeordnete
Katarina Barley, Ex-Bundesjustizministerin und derzeitige Vize-Präsidentin des EuropaparlamentesBild: Getty Images/AFP/I. Fassbender

Es ist nicht das erste Mal, dass Ungarns Regierung Nazi-Vorwürfe gegen Deutschland erhebt. Erst im Oktober hatte Regierungssprecher Kovács die ehemalige Bundesjustizministerin und derzeitige Vize-Präsidentin des Europaparlamentes, Katarina Barley, beschuldigt, gegenüber Ungarn und Polen Nazi-Methoden anzuwenden.

Know-how von Stalingrad

Anlass war ein Interview des Deutschlandfunks mit Barley, in dem sie sage, man müsse Orbán "finanziell aushungern". Sie bezog sich dabei ausdrücklich darauf, dass die Familie des ungarischen Premiers und einige seiner engen Vertrauten und Freunde überproportional stark von EU-Fördergeldern profitieren und unter Korruptionsverdacht stehen. Kovács hatte daraufhin behauptet, Barley wolle Ungarn und Polen "aushungern" und getwittert: "Welchen Teil Ihres deutschen Know-hows möchten Sie benutzen, wenn es ums Aushungern geht, Frau Barley? Den von Stalingrad, Leningrad oder Warschau?"

Auch Viktor Orbán selbst warf Deutschland schon Nazi-Methoden vor, und zwar der Bundeskanzlerin Angela Merkel persönlich. Im Mai 2013 entgegnete er in einem Interview auf eine Äußerung Merkels, die eigentlich deeskalierend gemeint war: "Die Deutschen haben schon einmal eine Kavallerie geschickt, und zwar in Form von Panzern. Unsere Bitte wäre, sie nicht noch mal zu schicken. Es war schon damals keine gute Idee, und es hat nicht funktioniert."

Satire als reale Nachricht

Orbáns Aussage war eine Anspielung auf die Besetzung Ungarns durch die deutsche Wehrmacht im März 1944. Merkel hatte zuvor während einer Podiumsdiskussion gesagt, Deutschland bemühe sich, Ungarn zur Einhaltung demokratischer und rechtsstaatlicher Prinzipien zu bewegen, werde "aber nicht gleich die Kavallerie schicken".

Screenshot Webseite ZDF Heute Show
heute-show-"Reporterin" Carolin Kebekus (l.) schneidet zwei Sterne aus der EU-Fahne. Rechts: Moderator Oliver WelkeBild: ZDF

Orbáns Bemerkung hatte damals für einen Eklat zwischen Berlin und Budapest gesorgt - immerhin hatte Ungarns Premier die Kanzlerin persönlich angegriffen. So weit dürfte es nach den jetzigen Äußerungen von Kovács und Menczer über die heute-show wohl kaum kommen. Unterdessen verbreitet das ungarische öffentlich-rechtliche Fernsehen M1 - ein Sprachrohr der Regierung und frei von politischer Satire - seinerseits regelmäßig ernst gemeinte "Fake News" über Deutschland. Etwa darüber, wie weit die Islamisierung und Entchristianisierung im Land vorangeschritten sei.

Unter Umständen sendet es sogar deutsche Politsatiren als reale Nachrichten - so geschehen im Mai 2018: Damals meldete die Hauptnachrichtensendung Híradó, die Stadt Essen sei anlässlich des Ramadan aus Rücksicht auf Muslime in "Fasten" umbenannt worden. Das Ganze war eine Satire des Internetmagazins Noktara.

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Keno Verseck Redakteur, Autor, Reporter