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Ungarn hat kein Konzept

Michaela Küfner, Budapest5. September 2015

Tausende Flüchtlinge durften den Budapester Bahnhof Richtung Österreich und Deutschland verlassen. Doch Ungarn fehlt eine überzeugende Strategie im Umgang mit der Krise. Aus Budapest Michaela Küfner.

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Bus mit Migranten vor der Abfahrt vom Budapester Bahnhof Keleti (Foto: DW/M. Küfner)
Bild: DW/M. Küfner

Rund 3000 Flüchtlinge haben es in den vergangenen 24 Stunden von Ungarn nach Österreich und Deutschland geschafft. Dass es auch dort nur selten das "Happy End" geben wird, das sie sich erhoffen, spielt für diese Menschen erst mal keine Rolle. Ein Bett, warmes Essen, akzeptable Sanitäreinrichtungen - bescheidene Wünsche nach fünf Tagen im Slum des Keleti Bahnhofs in Budapest.

Doch für jeden, der einen Platz im Bus ergattern konnte, hoffen in Ungarn noch Dutzende darauf, auch irgendwie nach Deutschland zu kommen. Diese Aktion, betont die ungarische Regierung, war eine einmalige Maßnahme. Zugleich kommen nur wenige Stunden nachdem die Unterführung vor dem Bahnhof zum Großteil geräumt ist, immer neue Gruppen von Flüchtlingen.

Auch ein dreieinhalb Meter hoher Stacheldrahtzaun entlang der Grenze zu Serbien kann nicht verhindern, dass es täglich mehr werden. Das weiß auch Zoltán Kovács, Sprecher der ungarischen Regierung. "Das Problem ist, was auch immer wir tun, sie kommen immer weiter hierher", sagte Kovács der DW. Und Menschen, die "unbedingt weiter wollen", könne man "sowieso nicht aufhalten".

Mehr Busse werden nicht kommen

Es sind Menschen wie der 20-jährige Ahmed Abdallah aus dem Irak. Selbst seine Eltern konnten ihn und seine beiden 24- und 26-jährigen Brüder nicht davon abhalten, ihr Glück in die Hände von Schleppern zu legen. In Kirkuk sahen sie keine Zukunft. Auf Gleis 8 des Keleti-Bahnhofs entscheiden sie sich nach langem Überlegen dagegen, in den Zug nach Györ einzusteigen, auch wenn das schon mal zwei Drittel des Weges an die österreichische Grenze bedeutet hätte. Sie haben Angst vor der Polizei, die habe sie schon einmal misshandelt. Sie wollen nach Berlin, doch sie gehören zu denen, die nicht da waren als die Busse kamen. Und mehr, sagt die Regierung, werden nicht kommen.

Ahmed Abdallah am Bahnhof in Budapest (Foto: DW/M. Küfner)
Ahmed Abdallah und seine Brüder konnten sich im Irak keine Zukunft mehr vorstellenBild: DW/M. Küfner

Ahmed ist einer der wenigen Jugendlichen, die sich bereitwillig fotografieren lassen. Viele wollen nicht, dass man zu Hause sieht, wie schlecht es ihnen geht. Die Verwandten, die sie zurückgelassen haben, haben so schon genug Sorgen. Der Verdacht drängt sich auf, dass mitten aus dem Schmutz der "Transit Zone" vor dem Keleti-Bahnhof noch so manche SMS verschickt wurde, die eher nach Urlaub klang.

Neuanfang nur in Deutschland

Djan Mohamed sagt, er habe nichts mehr zu verlieren. Seine Frau und die dreijährige Tochter seien gleich zu Beginn des Syrien-Krieges bei einem Bombenanschlag gestorben. Jetzt sucht der 41-jährige Apotheker aus Aleppo die Chance auf einen Neuanfang. Den kann er sich nur in Deutschland vorstellen.

Djan Mohamed am Bahnhof in Budapest (Foto: DW/M. Küfner)
"Wir wurden wie Tiere behandelt": Djan Mohamed am Bahnhof in BudapestBild: DW/M. Küfner

Er kam am Morgen aus dem Flüchtlingslager Debrecen, weit im Osten des Landes. Dort habe man die Flüchtlinge wie Tiere behandelt. Erst einige Stunden nachdem die Busse abgefahren waren, kam er mit Hunderten anderen in Budapest an. Auch er möchte gerne das Gerücht glauben, dass noch mehr Busse kommen werden, auch wenn er das offizielle Nein längst kennt.

Es gibt auch Spenden und Hilfe - von privat

Ungarns rechtsgerichteter Premierminister Victor Orban hat in der vergangenen Tagen und Wochen keinen Zweifel daran gelassen, dass diese Menschen hier sowieso nicht willkommen sind. Vielleicht hätte es dann auch niemanden überraschen sollen, dass Ungarn über 3000 Flüchtlinge im zentralen Bahnhof seiner Hauptstadt tagelang weitgehend sich selbst überlässt.

Am Samstag entschuldigten sich einige Budapester mit einer Aktion, bei der sie Plakate hochhielten, auf denen "Sorry" und "Willkommen" stand. Denn das gab es auch, viele private Spenden und spontane Hilfe.

Das bisherige Konzept heißt Abschottung

Ungarns offizieller Ansatz gegenüber Flüchtlingen basiert vor allem auf Abschottung und Abschreckung. Ab Mitte September sollen die Grenzen durch mehr Polizei und Soldaten verstärkt werden. Wer es dennoch wagt, den Stacheldrahtzaun zu überwinden, dem drohen bis zu drei Jahre Haft. Es wird wohl dem Europarat überlassen bleiben anzumahnen, dass laut Genfer Flüchtlingskonvention genau diese illegale Einreise von Flüchtlingen nicht unter Strafe stehen darf, solange sie sich umgehend bei den Behörden melden. An der Grenze will Ungarn außerdem sogenannte Transitzonen einrichten. Dort sollen Asylverfahren im Schnelldurchlauf ermöglicht werden.

Doch bei allen Bemühungen zur Abwehr illegaler Einreise von Flüchtlingen bleibt Ungarn eine Antwort schuldig. Wie will man jetzt und in der Zukunft mit den Menschen verfahren, die bereits hier sind? Aber auch mit denen, die einfach weiter über verschlungene Wege ins Land kommen werden, ohne dass man sie am Zaun erwischt.

Regierungssprecher Zoltán Kovács betont, man halte sich an EU Regeln, die besagen, man dürfe diese Menschen nicht einsperren. Im selben Interview betont er auch, man könne sie am Ende ohnehin nicht aufhalten.

Umgang mit statt Vermeidung von Flüchtlingen

Zwischen diesen Aussagen wäre viel Platz für ein flüchtlingspolitisches Konzept zum Umgang mit Flüchtlingen - und nicht nur die Vermeidung von ihnen. Stattdessen ein paar Dutzend Busse, die von einem Bahnhof abfahren, der sich gleich wieder füllt, Züge, die nicht ganz dahin fahren, wo sie sollen, Polizeipräsenz - Stückwerk.

Nicht zuletzt deswegen wird wohl das "deutsche Problem" auch weiterhin das von Ungarn bleiben. Doch hier sieht man stattdessen seit Wochen einen weiteren Beweis für die gescheiterte Flüchtlingspolitik Europas. Dass es diese gemeinsame Politik noch gar nicht gibt, wurde erst am Samstag beim Flüchtlings-Krisentreffen der Außenminister in Luxemburg wieder deutlich. Osteuropäische Länder lehnen Flüchtlingsquoten ab. Keine Einigung. Das heißt erst einmal: Es gibt weiter 28 unterschiedliche Strategien zur Bewältigung der Flüchtlingskrise.

Man möchte gerne glauben, dass der europäische Flüchtlingsgipfel am 14. September eine Wende bringen kann. Das ist wohl ein bisschen wie auf Busse hoffen.

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