1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Leere Versprechen

Gero Rueter1. Oktober 2015

Auch die Angaben der Autokonzerne zum Spritverbrauch und CO2-Ausstoß haben mit der Realität wenig zu tun. In der Praxis liegen sie um 40 Prozent höher. Die jetzt veröffentlichte ICCT-Studie deckt weitere Täuschungen auf.

https://p.dw.com/p/1GRQS
Neuwagen an der Tankstelle
Bild: Colourbox

Eine aktuelle Studie der Forschungsorganisation International Council on Clean Transportation (ICCT) macht Täuschungen nicht nur bei Emissionen, sondern auch bei Sprit und CO2 in Europa deutlich: Demnach liegen die CO2-Emissionen und der Spritverbrauch neuer Autos im Alltagsbetrieb im Durchschnitt um etwa 40 Prozent höher als die angegebenen Werte in den Prospekten.

"Wir haben Daten von über einer halben Millionen neuen Fahrzeugen untersucht. Daten von Firmen, von großen Fuhrparks, Automagazinen und Daten von Autofahren, die selber darüber berichten", erklärt Peter Mock von ICCT.

Laut ICCT steigen die Abweichungen in Europa seit Jahren kontinuierlich an. "2001 hatten die neuen Fahrzeuge ungefähr einen zehn Prozent höheren Kraftstoffverbrauch als im Prospekt angegeben und 2014 liegt der Kraftstoffverbrauch 40 Prozent höher als im Prospekt", so Mock.

Praxisferne Tests mit Tricks

In klimatisierten Laboren werden die Emissionen und der Spritverbrauch mit einem Messverfahren ermittelt. Der sogenannte Neue europäische Fahrzyklus (NEFZ) ist ein Relikt aus den 1990er-Jahren, er dauert 20 Minuten, eine Überprüfung auf der Straße gibt es nicht. Beim Testzyklus werden alle Geräte wie Klimaanlage, Radio und Licht ausgeschaltet.

"Zudem werden die Fahrzeuge nur in der Grundausstattung ohne Zusatzgewicht gemessen", erklärt Sonja Schmidt, Fahrzeugprüferin vom Automobilclub ADAC. "Es werden zu viele Dinge ausgeschlossen und das führt dazu, dass der Kraftstoffverbrauch nicht dem entspricht, was auch draußen gefahren wird."

Auch seien die Hersteller "kreativ, um die Laborwerte in ihrem Sinne zu schönen", sagt Michael Müller-Görnert vom Verkehrsclub VCD. "Da werden die Ritzen an den Türen zugeklebt, die Seitenspiegel abgebaut und die Bremsscheiben bekommen einen weiteren Abstand. Dadurch verringern sich Luftwiderstand und Verbrauch. Diese Dinge werden bis zum Exzess ausgedehnt. Das alles ist möglich, weil die Testbedingungen schlecht definiert sind."

Mehr Sprit und CO2

Die praxisfernen Herstellerangaben sorgen für Ärger. Nach Berechnungen von ICCT zahlt heute ein Neuwagenkäufer im Durchschnitt etwa 450 Euro pro Jahr mehr als es die Angaben zum Spritverbrauch vermuten lassen. "Das ist Irreführung des Verbrauchers. Die Trickserei der Autohersteller auf den Prüfständen müssen endlich aufhören", fordert Karl-Heinz Florenz (CDU), Mitglied im Umweltausschuss vom EU-Parlament.

Auch das Umweltministerium sieht die Diskrepanz zwischen Realverbrauch und Herstellerangaben als großes Problem. "Wir wollen zusammen mit der EU-Kommission Berechnungsgrundlagen haben, die auch tatsächlich stimmen. Das Schönrechnen hilft uns nicht, damit gewinnen wir kein Vertrauen", betont Umweltministerin Barbara Hendricks.

Umweltministerin Barbara Hendricks auf dem 6. Petersberger Klimadialog am Rednerpult.. Photo: Fabrizio Bensch/dpa
Umweltministerin Barbara HendricksBild: picture-alliance/dpa/F. Bensch

Klimaziele in der Praxis verfehlt

Der Verkehr ist in Europa für ein Drittel der Treibhausgase verantwortlich. Eine CO2-Minderung gibt es hier bisher nicht und so droht ein Scheitern der EU-Klimaziele in diesem Sektor.

Die EU verpflichtete die Autobauer, den CO2-Austoß von Neufahrzeugen kontinuierlich zu senken. So darf der CO2-Austoß eines neuen PKW im Jahr 2015 im Durchschnitt bei maximal 130 Gramm pro Kilometer (g/km) liegen. Dies entspricht einem Spritverbrauch von etwa 5,4 Litern pro 100 Kilometer (l/km).

Mit dem NEFZ-Testzyklus wurde auf dem Papier dieser Zielwert auch erreicht. 2014 lag der ermittelte CO2-Ausstoß neuer Autos im Durchschnitt bei nur 123 g/km (5,1 l/100km).

In der Realität sieht die Bilanz für den Klimaschutz jedoch anders aus: Nach Berechnungen von ICCT liegt der durchschnittliche CO2-Ausstoß der 2014 verkauften Autos in der Praxis bei bei 168 g/km (7,0 l/100km).

Infografik CO2-Ausstoß von neuen PKW in Europa Deutsch

Gibt es praxisnahe Werte mit neuen Tests?

Ab 2017 will die EU ein neues Testverfahren einführen. Mit der sogenannten World Harmonised Light Duty Tests Procedure (WLTP) sollen die CO2- und Kraftstoffwerte realistischer werden. "Das ist gut und richtig. Eine rasche Einführung ist dringend notwendig und wir Europaabgeordneten werden darauf hinarbeiten", sagt Florenz.

In der Expertengruppen zur WLTP-Reform arbeitet die europäische Automobilindustrie aktiv mit. Umweltverbände sehen die Reform als ersten wichtigen Schritt. Die Lücke zwischen Testergebnis und Praxis schließe sie aber auch nicht.

"Wir sind insgesamt nicht zufrieden mit dem Ergebnis, weil wir weiterhin eine Abweichung von circa 20 Prozent befürchten", sagt Verkehrsexpertin Julia Hildermeier von Transport & Environment (TE), dem Dachverband europäischer Umweltinitiativen in Brüssel.

Informationen beim Autohändler zu CO2 Emissionen und Kraftstoffverbrauch eines Fahrzeugs. Foto: Gero Rueter
Datenblatt hinter der Windschutzscheibe im Autohaus. Realitätsnahe Informationen geben die Hersteller bisher nicht.Bild: DW/G. Rueter

US-Verfahren als wegweisendes Modell

Transport & Environment fordert realitätsnahe Messverfahren mit Kontrollen. "Wir wollen, dass Fahrzeuge auch nach dem Verkauf auf der Straße überprüft werden, um zu schauen, ob die Werte eingehalten werden", betont Hildermeier.

Auch der ICCT empfiehlt in der EU Nachtests auf der Straße und in unabhängigen Testlabors von Behörden. In den USA deckten diese Nachtest die Manipulationen von VW bei der Abgareinigung auf und führten zum großen Skandal mit weitreichenden Folgen.

Die Deutsche Welle wollte vom Verband der Automobilindustrie (VDA) wissen, was er von Maßnahmen hält, die zur Verbraucheraufklärung und zu praxisnahen Daten führen. Die DW bat mehrfach um ein Interview. Der VDA fand aus "Termingründen" keine Zeit.