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Ein besonderes Verhältnis

Tanja Krämer12. Mai 2015

Deutsche und Israelis erzählen von traumatischen Familiengeschichten, dem scheinbar coolen Berlin und der Beziehung zu Holocaust-Überlebenden. Annäherungen an eine belastete Partnerschaft.

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Symbolbild deutsch-israelische Beziehungen: Die deutsche (r.) und die israelische Nationalflagge wehen vor dem Brandenburger Tor in Berlin im Wind (Foto: Robert Schlesinger dpa/lb)
Bild: picture-alliance/dpa/R. Schlesinger

Assaf Uni, israelischer Journalist, pendelt zwischen Jaffa und Berlin. Er schreibt über jüdisches Leben und israelische Politik für Magazine und Zeitungen in Europa sowie den USA.

DW: Wie erleben Sie heute Deutschland?

Assaf Uni: Ich habe einen Prozess durchgemacht in den sechs Jahren, die ich jetzt in Deutschland lebe. Ich wurde als Korrespondent nach Berlin geschickt, und obwohl meine Großeltern Holocaust-Überlebende sind, hatte ich anfangs nicht das Gefühl, ich müsse mich hier mit dem Leben tiefergehend beschäftigen. Das hat sich aber über die Jahre grundlegend geändert: Ich habe in der Zeit viel über den Holocaust gelesen und meine eigene, traumatische Familiengeschichte recherchiert. Plötzlich hat mich die Vergangenheit nur noch wütend gemacht. Mit Auswirkungen auf meine journalistische Arbeit. Ich habe zum Beispiel begonnen, nach alten Nazis zu suchen. Nach dieser Wut-Phase bin ich etwas nuancierter an die Dinge herangegangen. Es ist wichtig, die Traumata der Vergangenheit loszulassen, damit sie nicht zu stark das Leben heute bestimmen.

Können Sie sich an ein persönliches Erlebnis erinnern, dass Ihre Beziehung zu Deutschland beschreibt?

Assaf Uni: Nachdem ich ein oder zwei Jahre in Berlin gelebt habe, fiel mir plötzlich auf, dass alle Bäume eine Nummer tragen. Eine kleine Plakette, die in den Baumstamm genagelt wird. Ich dachte, das ist ja wie bei den Nazis, alles so ordentlich und kontrolliert. Später fand ich heraus, dass Berlin eine Art Vorreiter in der Welt ist, was den städtischen Baumbestand anbelangt. Online kann man nachschauen, wie viele Bäume und welche Arten es gibt und wie alt sie sind. Ich habe also in diesem harmlosen System, das den Baumbestand in der Stadt verwaltet, die Vergangenheit gesehen. Das hat mir gezeigt, welche Wunden wir Israelis mit uns tragen.

Eine Porträtaufnahme von Assaf Uni (Foto: privat)
Assaf Uni will die Vergangenheit loslassenBild: Privat

Was könnte man noch verbessern in den Beziehungen zwischen den beiden Völkern?

Assaf Uni: Ich denke die Beziehungen zwischen Israel und Deutschland sind heute bereits sehr solide. Man trifft hier viele Deutsche, auch junge Leute, die eine enge Beziehung zu Israel und dem Judentum haben. Und Berlin ist ein Anziehungsort für junge Israelis geworden. Das Bild Deutschlands ist in vielerlei Hinsicht durch Berlin rehabilitiert worden.

Die Kulturwissenschaftlerin Raya Bolduan macht ein freiwilliges Jahr bei Aktion Sühnezeichen Friedensdienste in Jerusalem. Die 25-jährige betreut im Seniorenwohnheim Beit Moses Überlebende des Holocausts und arbeitet in der Bibliothek des Leo-Baeck-Instituts.

Wie erleben Sie den Umgang mit Holocaust-Überlebenden?

Raya Bolduan: Mit einer der Überlebenden, die ich im Beit Moses besuche, habe ich mittlerweile eine ganz enge Bindung aufgebaut. Sie lässt mich an ihrem Leben und an ihrer Geschichte teilhaben. Am Anfang war ich nicht ganz sicher. Man muss ja mit älteren Menschen umgehen können, noch dazu vor dem Hintergrund. Aber jetzt nehme ich aus diesem Kontakt sehr viel mit. Ich führe mit der Überlebenden Interviews, um ihre Geschichte aufzuschreiben und sie zu bewahren. Es gibt aber auch Überlebende, die kaum über ihre Geschichte reden wollen. Dann verbringen wir einfach Zeit zusammen, das ist auch okay.

Wie erleben Sie die deutsch-israelischen Beziehungen heute in Israel?

Raya Bolduan: Ich persönlich habe sehr gute Erfahrungen gemacht. Wenn ich gesagt habe, dass ich aus Deutschland komme, war die Reaktion immer sehr positiv. Als ich hier ankam, war ich mir dessen nicht sicher. Gerade bei älteren Menschen. Aber auch Israelis meines Alters sind sehr interessiert. Ich werde oft sofort nach Berlin gefragt. Deutschland scheint gerade cool zu sein. Und im Altersheim kenne ich mehrere Leute, die sich freuen, dass sie mit mir Deutsch reden können.

Eine Porträtaufnahme von Raya Bolduan
Raya Bolduan hilft Holocaust-ÜberlebendenBild: Privat

Ulrike Wohlrab, ist seit 2006 Pfarrerin an der Himmelfahrtskirche und leitet das evangelische Pilger- und Begegnungszentrum in Ost-Jerusalem. Dort machen jedes Jahr junge Deutsche ein freiwilliges Jahr und es kommen Besuchergruppen aus aller Welt.

Sie leben schon seit mehreren Jahren in Jerusalem. Spielt das Deutsch-Sein im Alltag heute noch eine große Rolle?

Ulrike Wohlrab: Es spielt für mich persönlich immer eine Rolle, die ich im Hinterkopf habe. Dabei finde ich es erstaunlich, wie freundlich, offen und ohne Vorurteile man hier empfangen wird. Die große Berlin-Begeisterung der Israelis schlägt mir natürlich auch entgegen. Ein gutes Beispiel: Ich hatte eine Erklärung für unser Auto nicht rechtzeitig abgegeben, und ein Zollbeamter schimpfte mich zunächst fürchterlich aus, bis er fragte: Woher kommst Du den eigentlich? Und als ich ‘aus Berlin‘ sagte, war plötzlich alles gut. Er war dort vor kurzem zu Besuch gewesen und wir hatten uns dann nur noch darüber unterhalten.

Wie sehen Sie die Zukunft in den Beziehungen - gerade auch vor dem Hintergrund, dass Israel von der jüngeren Generation in Deutschland laut Umfragen viel kritischer als früher gesehen wird?

Ulrike Wohlrab: Es ist ganz wichtig, den Jugendaustausch zwischen den Ländern zu fördern. Das hilft dabei, dass sich neben der Kritik an Israels Politik nicht auch anti-jüdische Sentiments entwickeln. Es reicht nicht, sich einen Film über die Vergangenheit anzuschauen. Man braucht Menschen, mit denen man sich auseinandersetzen kann. Natürlich ist es wegen der politischen Lage im Land und der zunehmenden Kritik an der israelischen Nahost-Politik schwieriger geworden. Für die Israelis bedeutet das ein Umdenken. Auch sie müssen erklären, warum tun wir uns so schwer, hier eine Lösung zu finden - und Deutschland und Israel müssen weiter an ihrem besonderen Verhältnis arbeiten.

Eine Porträtaufnahme von Ulrike Wohlrab (Foto: DW/Tania Krämer)
Ulrike Wohlrab fordert JugendaustauschBild: DW/T. Krämer

Moshe Zimmermann ist Historiker an der Hebräischen Universität. Er beschäftigt sich berufsbedingt mit den deutsch-israelischen Beziehungen.

Wie erleben sie die das Verhältnis zwischen Deutschen und Israelis - auch aus ihrer eigenen Vergangenheit heraus?

Moshe Zimmermann: Meine Eltern stammen aus Hamburg, 1937/38 sind sie geflohen. Ich bin hier in Israel geboren. Wenn man in einer jeckischen Familie, also einer deutsch-jüdischen Familie, aufwächst, ist man ständig mit der deutschen Kultur konfrontiert. Die Bücher sind von dort, die Erinnerungen sind von dort. Als Historiker habe ich mich dem Verhältnis dieser beiden Länder und Völker gewidmet. Dabei gibt es sicherlich einen Wandel, denn das Deutschland von heute ist schließlich ein anderes als das Deutschland vor 1968 und ganz sicher vor 1945.

Wie nehmen Sie die Veränderungen im deutsch-israelischen Verhältnis wahr?

Moshe Zimmermann: Wir betreiben schon seit langem Umfragen. Und eine Sache wird dabei ganz deutlich: 85 Prozent der Israelis sagen, dass sich die Beziehungen zwischen Israel und Deutschland bereits normalisiert haben. In dem Moment allerdings, wo die Vergangenheit eine Rolle spielt, ist die Einstellung natürlich eine ganz andere.

Eine Studie hat gezeigt, dass die gerade die jüngere Generation in Deutschland Israel gegenüber kritisch eingestellt ist, vor allem wegen der Besatzungspolitik. Wie kritisch kann Deutschland sein?

Moshe Zimmermann: Das Problem mit der deutschen Außenpolitik ist, dass sie Israel gegenüber etwas schüchtern ist. Wenn man mit Diplomaten und Politikern spricht, hört man immer, dass man sich wegen der Vergangenheit sehr zurückhaltend äußern müsse. Das führt dazu, dass die deutsche Politik nicht kritisch oder nicht sachlich genug ist. Aber in dem Moment, in dem es um die Sache geht, sollte man auch sachlich handeln. Das tut Deutschland nicht. Eben weil man so schüchtern und ängstlich ist.

Eine Porträtaufnahme von Moshe Zimmermann (Foto: DW/Noam Sharon)
Mosche Zimmermann kritisiert deutsche AußenpolitikBild: DW/N. Sharon