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GesellschaftDeutschland

Senioren: Corona-Herbst ohne Isolation?

1. Oktober 2020

Vielerorts steigen die Corona-Infektionszahlen wieder an. Doch eine erneute wochenlange Abschottung bleibt den meisten älteren Menschen - zumindest in Deutschland - wahrscheinlich erspart.

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Deutschland | Bayern beschliesst Besuchsverbot in Altenheimen
Bild: picture-alliance/dpa/SvenSimon

Die Corona-Hochphase im März und April war auch für viele Senioren in Deutschland eine besonders schlimme Zeit. In Pflegeheimen mussten sie wochenlang fast ohne jeglichen Kontakt zur Außenwelt ausharren. Das System der häuslichen Pflege, in dem viele Pflegekräfte aus dem osteuropäischen Ausland kommen, schien kurzzeitig vor dem Kollaps zu stehen.

Natürlich ist das Coronavirus für Menschen in höherem Alter und mit Vorerkrankungen noch immer besonders gefährlich. Laut dem Robert-Koch-Institut sind 86 Prozent der Menschen in Deutschland, die in Verbindung mit COVID-19 starben, 70 Jahre oder älter (Stand 18.09.2020). Doch im Zuge der gesamtgesellschaftlichen Lockerungen von Corona-Einschränkungen hat sich auch im Umgang mit Pflegebedürftigen einiges wieder normalisiert.

"Politik und Gesellschaft haben viel dazugelernt und gehen jetzt sensibler mit den Freiheitsrechten der Heimbewohner um", sagt Helene Maqua, die im Diözesan-Caritasverband für das Erzbistum Köln den Bereich Altenhilfe leitet. Nachdem es viele Beschwerden über die teils sehr strikten Maßnahmen gegeben habe, sei man vom Coronaschutz als alleiniger Devise abgekommen. 

Lange Isolation gesundheitsschädlich

Von Mitte März bis Anfang Mai waren nach der Coronaschutzverordnung des Landes NRW mit nur wenigen Ausnahmen alle Besuche untersagt gewesen, "die nicht der medizinischen oder pflegerischen Versorgung dienen oder aus Rechtsgründen erforderlich sind". Selbst die Mahlzeiten sollten alleine auf dem Zimmer eingenommen werden. Keine einfache Situation, vor allem für die vielen Demenzkranken unter den Heimbewohnern, die nicht verstehen konnten, warum sie Distanz halten mussten und Angehörige wegblieben.

Senioren | Tierischer Besuch im Alten- und Pflegeheim
Heimbewohner in Sachsen freuen sich nach der langen Besuchssperre, ihre tierischen Bekannten wiederzusehenBild: Waltraud Grubitzsch/dpa/picture-alliance

Mittlerweile sind in NRW so wie in den meisten anderen Bundesländern wieder Besuche gestattet - wenn auch zeitlich begrenzt und mit Maske und Abstand. Denn es wurde schnell deutlich, wie groß die Belastung für ältere Menschen war. In einem Fact Sheet des Deutschen Zentrums für Altersfragen in Berlin (DZA) vom April heißt es: "Wissenschaftliche Erkenntnisse aus der Altersforschung legen nahe, dass dieser Bevölkerungsgruppe deutliche gesundheitliche Einbußen drohen, wenn Maßnahmen zur sozialen Distanzierung undifferenziert und unreflektiert über eine lange Zeit auf die Älteren angewendet werden." 

Wenn die Pflegekraft nach Hause fährt

Nicht nur in stationären Einrichtungen, die in Deutschland ungefähr jeden vierten Pflegebedürftigen versorgen, mussten und müssen ältere Menschen in besonderem Maß Einschränkungen hinnehmen - auch Senioren, die zuhause von einem ambulanten oder einem 24-Stunden-Dienst versorgt werden, litten und leiden stark unter dem sogenannten Social Distancing. In einem Interview mit der Frankfurter Rundschau von Ende April erklärte Alternsforscher Hans-Werner Wahl: "Positive Emotionen, das Gefühl, gebraucht zu werden, Zärtlichkeiten, all das fällt jetzt weg. Das ist sehr belastend." 

Senioren | Besuchscontainer eines Altenheim
Besuch nur durch die Scheibe: Viele Einrichtungen haben sich in der Corona-Zeit eigene Lösungen überlegtBild: Norbert Schmidt/picture-alliance

Umso wichtiger ist für diese Menschen der Kontakt zu den Pflegekräften. Die hatten allerdings gerade zu Beginn der Corona-Zeit ihre eigenen Schwierigkeiten, wie Renata Föry zu berichten weiß. "Als die deutsch-polnische Grenze Mitte März geschlossen wurde, war es das reinste Chaos, niemand hatte den Überblick, und ein Teil unserer Pflegekräfte ist auf eigene Faust in die Heimat aufgebrochen", erzählt die Leiterin von Seniocare24, einer Agentur zur Vermittlung polnischer Pflegerinnen. Man habe sich damals entschlossen, einen Corona-Bonus von 300 Euro zu zahlen, um die verunsicherten Polinnen im Land zu halten. Ende März stellte dann das Bundesinnenministerium klar, dass osteuropäische Betreuungskräfte (und LKW-Fahrer) als Ausnahme weiterhin nach Deutschland einreisen dürften. 

Corona legt Mängel in der häuslichen Pflege offen

Für Anbieter wie Seniocare24 normalisierte sich damit die Situation weitgehend. Allerdings sind laut Schätzung des Branchenverbands VHBP in den 300.000 deutschen Haushalten, in denen Betreuungspersonen zusammen mit den von ihnen versorgten Menschen leben, über 90 Prozent gar nicht bei derartigen Agenturen tätig - sondern sie arbeiten schwarz.

Diese illegalen Kräfte dürften im März erst recht in ihre Heimatländer zurückgekehrt und dann für eine lange Zeit nicht wiedergekommen sein. In dieser Phase hätten sich "viele, die vorher osteuropäische Pflegerinnen schwarz beschäftigt haben, an uns gewandt", so Föry. Seit der Grenzöffnung im Juni erzählten ihr aber wieder zunehmend Kunden, sie hätten "privat jemanden gefunden", - was meist gleichbedeutend mit illegal sei. 

Angst vor ähnlichen Zuständen wie im März hat Föry nicht - auch wenn nun die Corona-Infektionszahlen wieder ansteigen. Die Politik habe nach einer kurzen chaotischen Phase schnell gehandelt, "dafür bin ich Herrn Spahn sehr dankbar".

Schließungen wohl nur auf lokaler Ebene

Ähnlich berichtet es Helena Maqua von der Caritas. Nur in der Anfangszeit hätten sich die Einrichtungen im Stich gelassen gefühlt mit der Verantwortung, was dann eben mancherorts zu Übervorsichtigkeit geführt habe. Doch nun sei mit flächendeckenden Schließungen von Pflegeheimen eher nicht mehr zu rechnen, darüber hinaus habe das Bundesland Nordrhein-Westfalen mittlerweile große Vorräte an Schutzmaterialien angelegt - ein Mangel an Handschuhen, Masken oder sonstiger Kleidung war ja zwischenzeitig ein Problem gewesen.

Nach wie vor müssen auch Einrichtungen für ältere Menschen in Quarantäne, wenn dort Corona-Fälle auftreten. Zuletzt kamen aus mehreren Teilen Deutschlands - und Europas - derartige Meldungen. Ein Seniorenheim in Neu Wulmstorf bei Hamburg etwa gab diese Woche bekannt, dass dort 45 Menschen positiv getestet worden seien. 

Aber mit der Hilfe und Rücksichtnahme aller können dies Einzelfälle bleiben. Auch der Virologe Hendrik Streeck betonte in einem Interview mit der Deutschen Nachrichten-Agentur kürzlich, er setze darauf, "dass die Leute Verantwortung übernehmen, nicht nur für sich selbst, sondern auch für andere Menschen. Fast jeder von uns kennt ältere Menschen oder Menschen aus Risikogruppen, für die eine Infektion gefährlich werden kann. So eine Pandemie kann man nur gemeinsam bewältigen."

DW Fact Checking-Team | Ines Eisele
Ines Eisele Faktencheckerin, Redakteurin und AutorinInesEis