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Politik

Scharia-Stress für Irans Ski-Damen

Shabnam von Hein
19. Februar 2021

Irans Rennläuferinnen müssen bei der aktuellen Alpin-Weltmeisterschaft in Italien ohne ihre Trainerin auskommen: der Ehemann verbot ihr die Ausreise.

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Samira Zargari
Samira Sargari, Nationaltrainerin der iranischen Ski-alpin-Frauen Bild: tasnim

Erst im Flughafen erfuhr Samira Sargari (Artikelbild), dass sie das Land nicht verlassen darf. Die Nationaltrainerin der iranischen Ski-alpin-Frauen wollte am Mittwochmorgen mit ihrem Team nach Italien zur Ski-Weltmeisterschaft in Cortina d'Ampezzo reisen. Das Team flog ohne die Trainerin zum Wettkampf. Denn der Ehemann von Samira Sargari hatte ihr die Ausreise verboten, wozu er laut iranischen Gesetzen befugt ist.

Die iranische Rennläuferin Forough Abbasi sagte am Donnerstag nach dem ersten Lauf des Riesenslaloms laut dpa: "Es ist eine Regel im Iran. Wir versuchen, sie zu ändern. Es ist nicht das erste Mal, dass so etwas passiert." Abbasi zeigte sich zuversichtlich: "Wir haben so viele starke Frauen, die diese Regel ändern wollen."

Antiquierte Scharia-Gesetze

Laut den auf der Scharia fußenden Gesetzen hat in der Islamischen Republik der Mann die Vormundschaft über die Frau. Alle wichtigen Entscheidungen im Leben einer Frau werden folglich von Männern getroffen: Erst vom Vater, nach der Hochzeit vom Ehemann. Ob zum Beispiel eine Frau einen Reisepass beantragen darf oder nicht, hängt von ihrem Ehemann ab. Ob sie mit diesem Reisepass das Land verlassen darf oder nicht, kann ebenfalls der Ehemann nach Gutdünken entscheiden. Es braucht weder eine Begründung, noch muss die Frau überhaupt informiert werden. 

Ski alpin Weltmeisterschaft Iran
Training der iranischen Ski-AthletinnenBild: Michael Kappeler/dpa/picture alliance

Entsprechend ist auch nicht bekannt, warum der Ehemann der 37-jährigen Ski-Trainerin die Ausreise verboten hat. Eine Stellungnahme dazu liegt noch nicht vor, weder von ihr, noch vom iranischen Skiverband. Der Verband soll laut iranischen Medien "bis zum letzten Moment" versucht haben, Samira Sargari die Ausreise zu ermöglichen. Diese Meldung hatte einen Shitstorm in den sozialen Netzwerken ausgelöst. "Der Mann hat nicht einmal einen Namen. Wir kennen ihn nur als Ehemann von Samira Sargari. Nun sorgt er dafür, dass ihr Traum zerplatzt." 

Nicht der erste Fall

Samira Sargari ist nicht die erste iranische Spitzensportlerin, der kurz von einem wichtigen Sportereignis von ihrem Ehemann die Auslandsreise verboten wurde. Der bislang prominenteste Fall trug sich 2015 zu. Damals traf es Niloufar Ardalan, Kapitänin der Fußball-Nationalmannschaft. Kurz vor dem Abflug zur Asienmeisterschaft in Malaysia wurde ihr am Flughafen in Teheran das Ausreiseverbot ihres Mannes mitgeteilt, eines Sportredakteurs beim iranischen Staatsfernsehen. Später sagte sie in einem Interview, ihr Ehemann habe sie erpressen wollen: Für den Fall einer Scheidung sollte sie auf Unterhalt verzichten, sonst würde er ihr die Ausreise verbieten. Sie ließ sich darauf nicht ein.

Ski alpin Weltmeisterschaft Iran
Iranische Skiläuferin Marjan Kalhor bereitet sich auf den Start vorBild: Michael Kappeler/dpa/picture alliance

"Das kann jeder von uns passieren", beklagen Frauenaktivistinnen in sozialen Netzwerken. Sie versuchen seit Jahren, die Frauen über ihre Rechte im Rahmen der bestehen Gesetze aufzuklären. Eine Möglichkeit: Eine Sonderregelung im Rahmen eines Ehevertrags zu treffen. "Das nennt man ‚Bedingungen der Ehe‘. Sie erlauben es Frauen, nach der Eheschließung selbst über ihr Leben zu entscheiden", erklärt die Menschenrechtsaktivistin Shiva Nazar Ahari im Gespräch mit der Deutschen Welle. Nazar Ahari ist Mitglied des Komitees der Menschenrechtsberichterstatter und wurde in den vergangenen 17 Jahren wiederholt verhaftet und saß mehrere Jahre im Gefängnis. Seit Oktober 2018 lebt sie in Slowenien. Sie durfte den Iran verlassen, weil ihr Mann den Sondervertrag unterzeichnet hatte. "Die Frau darf bestimmte Rechte als Bedingungen für die Ehe von dem Mann verlangen, zum Beispiel das Recht auf Scheidung oder die Reisefreiheit. Viele Frauen im Iran haben leider keine Ahnung davon, nicht einmal Akademikerinnen oder erfolgreiche Sportlerinnen." 

Frauenrechte sollen geheim bleiben

Diese Rechte zu propagieren ist heikel. Emanzipierte und selbstbewusste Frauen sind den religiösen Machthabern ein Dorn im Auge. Wer sich für die Aufklärung der Frauen über diese Möglichkeiten einsetzt, riskiert seine Freiheit. So wie Soziologin Najme Vahedi und die Rechtsanwältin Hoda Amid. Sie organisierten Workshops für Frauen, um sie über ihre gesetzlichen Rechte und Möglichkeiten aufzuklären. Im Oktober 2019 wurden die beiden Frauen verhaftet und für über zwei Monate im Teheraner Evin-Gefängnis eingesperrt, bis sie gegen Kaution freigelassen wurden.

Iran Evin Gefängnis in Teheran
Das Evin-Gefängnis in TeheranBild: picture-alliance/dpa

Im Dezember 2020 wurden sie unter anderem wegen "Gefährdung des Friedens im Familienleben" und "Gefährdung der nationalen Sicherheit" zu langen Haftstrafen verurteilt: Die Anwältin Hoda Amid zu acht Jahren Gefängnis, zweijährigem "Entzug einiger gesellschaftlicher Rechte" und zwei Jahren Berufsverbot, die Aktivistin Najmeh Vahedi zu sieben Jahre Haft und zwei Jahren "Entzug einiger gesellschaftlicher Rechte". Damit dürfen sie auch nach ihrer Entlassung aus dem Gefängnis nicht im öffentlichen Dienst angestellt werden, keine leitenden Positionen in den Medien einnehmen, nicht in Gewerkschaften oder Parteien aufgenommen werden oder das Sorgerecht für ein Kind bekommen. Das Berufungsgericht hat das Urteil am Mittwoch bestätigt, als in den sozialen Medien der Shitstorm über das Reiseverbot für Ski-Trainerin Samira Sargari losbrach.