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Russland: Hilfe für Prigoschins Aufstand von den Militärs?

Mikhail Bushuev
30. Juni 2023

Wladimir Putin betont unentwegt, die russischen Sicherheitskräfte hätten geschlossen auf den Aufstand der "Wagner-Truppe" reagiert. Wieso konnten die Kämpfer dann fast bis nach Moskau gelangen?

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Ein Mitglied der Wagner-Gruppe steht vor einem Gebäude in Rostow am Don
Welche Hilfe hatte Jewgeni Prigoschins "Wagner-Gruppe" vom Militär in Moskau?Bild: AFP via Getty Images

Immer wieder hat sich Russlands Präsident Wladimir Putin nach dem Aufstand von Jewgenij Prigoschin und der von ihm kontrollierten "Wagner-Gruppe" öffentlich gezeigt. Und jedes Mal dankte er den russischen Strafverfolgungsbehörden, die "geschlossen" gehandelt und einen "Bürgerkrieg" in Russland verhindert hätten. Aber wie konnten dann die Kämpfer der Privatarmee nahezu ungehindert die Kontrolle über das Hauptquartier des südlichen Militärbezirks in Rostow am Don übernehmen? Wie konnten sie den Militärflugplatz in Millerowo sowie andere militärische Einrichtungen besetzen und in einer Kolonne fast bis in die Region Moskau fahren? Wer könnte an Prigoschins Plänen beteiligt gewesen sein? Hatte er Helfer unter den Militärs?

Wer hat Prigoschin unterstützt?

"Die Frage der Kollaboration steht im Raum. Die Wagner-Truppen setzte in ihrem Konvoi Großgerät der russischen Armee ein", betont Gustav Gressel, Militärexperte des European Council on Foreign Relations (ECFR). Die Wagner-Gruppe sei auf Nachschub durch die Armee angewiesen gewesen.

Dass niemand in der russischen Armee etwas über den geplanten Aufstand wusste, hält Gressel deshalb für unwahrscheinlich. Schließlich hätten die Wagner-Truppen nach ihrem Rückzug von der Front noch über Ausrüstung der regulären russischen Armee verfügt und beim Marsch auf Moskau auch verwendet.

"Der Konvoi fuhr durch Rostow und Woronesch - das sind wichtige Garnisonsstädte. Neben den regulären Armeeeinheiten, die dort ausbilden, erhalten auf den Garnisonsübungsplätzen auch die Truppen für den Kampfeinsatz in der Ukraine ihren letzten Feinschliff. Dass sich da niemand fand, um sich den 'Wagner'-Einheiten entgegenzustellen, ist sehr, sehr seltsam", bemerkt der Experte.

Was wusste General Surowikin?

General Sergej Surowikin erhält eine Auszeichnung von Präsident Wladimir Putin
Was wusste General Sergej Surowikin über den Aufstand? Bild: Alexei Nikolsky/IMAGO

Internationales Aufsehen erregt seit Dienstag ein Artikel der "New York Times" (NYT). Unter Berufung auf US-Geheimdienste heißt es in die Zeitung, General Sergej Surowikin und andere hochrangige Vertreter des russischen Militärs hätten von Prigoschins Aufstand wissen können. Surowikin war von Oktober 2022 bis Januar 2023 Kommandeur der russischen Truppen in der Ukraine. Doch dann bekam Generalstabschef Walerij Gerassimow diesen Posten und Surowikin wurde sein Stellvertreter. Nach Informationen der Zeitung untersuchen US-Vertreter derzeit, ob Surowikin vielleicht sogar an Prigoschins Plänen beteiligt war.

Diesem Verdacht begegnen Experten jedoch mit Skepsis. "Surowikin ist derzeit Kommandant der Luftstreitkräfte und diese waren die einzigen, die den Wagner-Truppen etwas entgegensetzten und sie aus der Luft angriffen. Das passt eigentlich nicht ins Bild eines Verräters", meint Gustav Gressel. Es reiche für einen Verdacht auch nicht aus, dass General "Armageddon", wie Surowikin genannt wird, keine hohe Meinung von Gerassimow habe und von Putin als Chef der sogenannten "Spezialoperation", wie der Krieg vom Kreml genannt wird, abgelöst worden sei. Surowikin habe Putin gegenüber stets seine Meinung geäußert, auch als es um den Rückzug aus Cherson gegangen sei, den der Staatschef abgelehnt habe.

Der britische Russland-Experte Mark Galeotti weist auf Twitter wie viele andere Beobachter darauf hin, dass Surowikin als erster öffentlich an Prigoschin und seine Truppen appelliert habe, den Aufstand zu stoppen. "Er gab eine klare Erklärung ab, in der er sich entgegen zuvor geäußerten Verdachts dem Kreml gegenüber loyal zeigte", so Galeotti.

Er meint, dies könnte Surowikin helfen, seinen Ruf "reinzuwaschen" und ihn erneut zu einem Kandidaten für den Posten des Chefs der "Spezialoperation" oder sogar für den Posten des Generalstabschefs nach Gerassimow zu machen. "Ich betone, dass dies nur Spekulation ist, aber der Verdacht einer Mitverantwortung für Prigoschins 'Verrat', um Putins Worte zu verwenden, könnte ein geschickter Schritt sein, um Surowikins Rückkehr zu verhindern", so Galeotti. Zudem wäre eine Stärkung seiner Position "eine schlechte Nachricht für die Ukraine", glaubt der Experte.

Schlechte Organisation oder Vereitelung?

So, wie der Aufstand ablief, spricht vieles dagegen, dass jemand aus der obersten Militärführung oder Surowikin persönlich an ihm beteiligt war. Das glaubt Tatiana Stanovaya, Senior Fellow am Carnegie Russia Eurasia Center in Berlin. Sie meint, Prigoschin habe Putin zwingen wollen, den Wagner-Truppen mehr Aufmerksamkeit zu schenken und sie zu unterstützen. Es habe keine normale Vorbereitung gegeben, man habe nicht darüber nachgedacht, ob der Weg nach Moskau frei sei oder in den sicheren Tod führen würde. Stanovaya schließt nicht aus, dass Surowikin von den Plänen gewusst hat. "Aber im richtigen Moment hat er sich klar auf die Seite des Staates gestellt", so die Expertin auf Telegram.

Stanovaya, die das Analyseunternehmen "R.Politik" gegründet hat, erinnert daran, dass die Spaltung der militärischen Führung zwischen Verteidigungsminister Sergej Schoigu und Generalstabschef Walerij Gerassimow auf der einen und Surowikin auf der anderen Seite längst bekannt sei. Dabei sei es weniger um einen Machtkampf gegangen, sondern darum, wie in der Ukraine gekämpft werde. Und wie die Beziehungen zu Privatarmeen aussehen sollen. Surowikin habe im Gegensatz zu Schoigu und Gerassimow zumindest ein Arbeitsverhältnis mit Prigoschin gehabt und sogar als Vermittler fungiert. Anfang Mai habe er am dringend benötigten Munitionsnachschub für die "Wagner-Truppe" mitgewirkt. "Diese Rolle war zweifelsohne mit Putin abgesprochen", meint Stanovaya.

Generalstabschef Walerij Gerassimow und Verteidigungsminister Sergei Schoigu sitzen nebeneinander bei einer Besprechung
Gehen Generalstabschef Walerij Gerassimow und Verteidigungsminister Sergei Schoigu gestärkt aus der Krise hervor?Bild: Sputnik/Aleksey Nikolskyi/Kremlin via REUTERS

Unterdessen berichtet das Wall Street Journal (WSJ)  unter Berufung auf westliche Geheimdienste, die Aufständischen hätten zunächst Schoigu und Gerassimow im Hauptquartier des Südlichen Militärbezirks in Rostow festsetzen wollen. Doch von diesen Plänen habe der Inlandsgeheimdienst FSB erfahren, woraufhin die Wagner-Kämpfer hätten "improvisieren" müssen. Prigoschin habe vielleicht eine Reihe führender Militärs in seine Pläne eingeweiht, darunter möglicherweise Surowikin, so die Zeitung. Es sei jedoch unklar, woher der FSB seine Informationen über den Aufstand erhalten habe.

"Säuberungen" in der russischen Armee

Unklar ist auch, wie sich Surowikins Nähe zur "Wagner-Gruppe" auf sein weiteres Schicksal auswirken wird. Das Zentrum "Dossier", ein nicht-kommerzielles Projekt von Michail Chodorkowski, berichtet im Zusammenhang mit dem Artikel der NYT, Surowikin sei bereits 2017 Ehrenmitglied der Söldnertruppe geworden. Entsprechende Nachweise würden vorliegen. So habe der General ein persönliches Abzeichen mit der Nummer M-3744 bekommen. Gerüchte, Surowikin sei unter Verdacht geraten, werden dadurch bestärkt, dass der General seit dem Aufstand noch nicht öffentlich aufgetreten ist.

Selbst kremlfreundliche Kriegsberichterstatter verzeichnen derweil ein wachsendes Misstrauen unter russischen Militärs. "Seit Tagen befassen sich Ermittler und Vertreter des Föderalen Dienstes für Bewachung sowohl mit der militärischen Führung als auch mit den Befehlshabern von Einheiten", schreibt der Telegram-Kanal "Rybar". Gleichzeitig betreffen die "Säuberungen" nach Angaben verschiedener Quellen nicht nur die Führung der Armee, sondern auch untergeordnete Offiziere und einfache Soldaten.

"Ich glaube, dass Prigoschin Sympathisanten in der Armee hatte. Richtiger wäre es, sie als Unzufriedene mit Schoigu und Putin zu bezeichnen. Aber kann man aus Sympathisanten Verschwörer machen und dies für Säuberungen nutzen?", fragt sich die Politologin Tatiana Stanovaya. Vor allem Verteidigungsminister Schoigu werde die Gelegenheit nutzen, vermutet sie, um mit "Säuberungen" seine Positionen zu festigen. "Ich habe den starken Verdacht, dass ausgerechnet Schoigu der Hauptnutznießer dieser ganzen Geschichte ist. Putin hat, seit er Prigoschin losgeworden ist, eine starke Immunität gegen Privatarmeen", meint Stanovaya. "Jetzt kann man sich mit der eigenen Armee befassen."

Adaption aus dem Russischen: Markian Ostaptschuk

Wie angeschlagen ist das System Putin?