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Russland geht das Geld aus

Andreas Becker14. April 2016

Geringe Öleinnahmen, Sanktionen und Strukturprobleme - die russische Wirtschaft steckt in der Krise, die Notreserven gehen zur Neige. Die Lage ist ernster, als Präsident Putin zugeben will.

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Russland Rubel Symbolbild Sanktionen Konsequenzen
Bild: picture-alliance/dpa/Christian Ohde

Auch wenn es Präsident Wladimir Putin während seiner großen "Bürgersprechstunde" am Donnerstag (14.04.2016) anders dargestellt hat: Russland leidet zunehmend unter der Wirtschaftskrise. Im vergangenen Jahr ist die Wirtschaftsleistung um 3,7 Prozent geschrumpft, für das laufende Jahr erwartet der Internationale Währungsfonds (IWF) einen weiteren Rückgang um 1,8 Prozent.

Es gibt gleich eine ganze Reihe von Problemen: Da ist zum einen der Ölpreis, der sich in den vergangenen zwei Jahren mehr als halbiert hat. Staat und Firmen nehmen deshalb deutlich weniger Geld ein.

"Bei dem niedrigen Öl- und Gaspreis ist es extrem schwierig, das Budget zu finanzieren", sagt Stefan Meister, Russland-Experte bei der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP), einer Berliner Denkfabrik. Die Regierung kann die Haushaltslöcher nur stopfen, indem sie den Reservefonds anzapft - eine Rücklage, die vor Jahren mit den damals noch sprudelnden Gewinnen aus dem Energiegeschäft angelegt wurde.

Die Sanktionen des Westens, eine Reaktion auf die Annexion der Krim und den Konflikt mit der Ukraine, sorgen für zusätzlichen Druck. Sie haben den Handel einbrechen lassen, auch deutsche Schlüsselbranchen wie Auto- und Maschinenbau leiden darunter. Noch schmerzhafter für Russland ist, dass die Sanktionen auch die Finanzierung von Investitionen erschweren.

Finanzierungsprobleme

"Die westliche Sanktionen haben unseren Banken und Firmen die Möglichkeit genommen, sich Geld im Ausland zu leihen, und zwar nicht nur in Europa, sondern in der ganzen Welt", sagt Wladimir Milow, Direktor des Moskauer Instituts für Energiepolitik, im DW-Gespräch. "Niemand leiht uns mehr Geld, auch China nicht." Milow ist auch Gründer und Vorstand der Oppositionspartei "Demokratische Wahl".

Kredite seien in den vergangenen zehn Jahren die Grundlage des russischen Wirtschaftswachstum gewesen. Durch die Sanktionen, sagt Milow, habe sich das Kreditvolumen von 700 Milliarden auf 470 Milliarden US-Dollar verringert.

Der gewaltige Kapitalabfluss hat dazu beigetragen, dass die Landeswährung Rubel gegenüber dem Dollar rund die Hälfte ihres Wertes verloren hat.

Armenspeisung in Moskau Bedürftige
Armenspeisung in Moskau im Januar 2016. Die Zahl der Armen in Russland wird in diesem Jahr steigen, so die WeltbankBild: DW/P. Anft

Hinzu kommen strukturelle Probleme. Die Wirtschaft wird von wenigen Großunternehmen aus dem Energiesektor beherrscht, die auf Anweisung der Politik handeln. "Es fehlt an Voraussetzungen für Wettbewerb und an Rechtsstaatlichkeit", sagt DGAP-Forscher Meister zur DW.

Strukturprobleme

Das sei schon 2013 deutlich geworden, also noch vor den Sanktionen und dem Ölpreisverfall, sagt Energie-Experte Milow. "Schon damals hat die russische Wirtschaft kein Wachstum produziert. Sie hängt von wenigen Staatsmonopolen ab, die nicht effizient sind. Und dann kamen noch die Sanktionen und der sinkende Ölpreis hinzu. Diese drei Faktoren geben uns keine Hoffnung, dass die Wirtschaft in den kommenden Jahren wieder wächst."

Die russische Führung will nun mit dem Verkauf von Staatsunternehmen gegensteuern und plant die größte Privatisierungswelle der letzten Jahre. Allerdings will sie keine Mehrheitsanteile verkaufen.

"Das Regime spielt hier auf Zeit", sagt Meister von der DGAP. "Es werden keine nachhaltigen Entscheidungen getroffen, um die wirtschaftliche Lage zu verbessern. Man versucht nur, Anteile von Unternehmen zu verkaufen, bis möglicherweise der Öl- und Gaspreis wieder steigt."

Leidtragender der Entwicklung ist die Bevölkerung. Nach Berechnungen der Weltbank wird die Zahl der Armen in Russland in diesem Jahr auf mehr als 20 Millionen ansteigen, bei einer Gesamtbevölkerung von rund 140 Millionen. Das ist der höchste Stand seit neun Jahren.

Die einst konsumfreudige Mittelschicht gibt nun weniger Geld aus. Die Inflationsrate liegt offiziell bei 12,9 Prozent. Für die Mittelschicht hat das russische Wirtschaftsmagazin RBK sogar eine Teuerung von rund 30 Prozent errechnet, auch wegen stark gestiegener Kreditkosten. Viele Kleinunternehmer haben laufende Kredite auf Euro- oder Dollar-Basis, die durch die Abwertung doppelt so teuer geworden sind.

Viktor Zolotov Chef der neuen russischen Nationalgarde
Viktor Solotow ist Kommandeur der neuen, 200.000 Mann starken Nationalgarde, die dem Präsidenten persönlich untersteht und auch gegen Demonstranten eingesetzt werden sollBild: Imago/M. Metzel/TASS

Repressionen

Die Arbeitslosigkeit hat zwar noch nicht zugenommen. Doch die Unzufriedenheit der Bevölkerung könnte für Präsident Putin zu einem Problem werden, auf das er sich jetzt schon vorbereitet.

"Wir beobachten den Ausbau des Repressionsapparates. Gerade erst wurde eine neue Nationalgarde geschaffen", sagt Meister. "Das Regime bereitet sich auf einen Konflikt mit der Gesellschaft vor." In Zukunft werde es in Russland sogar lokale Aufstände geben, glaubt der DGAP-Experte. "Aber ich sehe keine Opposition, die das führen kann. Und ich sehe auch nicht die Bereitschaft in der Bevölkerung zu Massendemonstrationen."

Die große Frage ist, wann Russland das Geld ausgeht. Die Mittel des staatlichen Reservefonds könnten Ende dieses Jahres aufgebraucht sein, hatte der russische Finanzminister Anton Siluanow bereits im Januar gesagt. Dann müsse die Regierung den Nationalen Wohlfahrtsfonds anzapfen, um die Haushaltslöcher zu stopfen. Der Wohlfahrtsfonds ist eine weitere Notreserve, die 2008 angelegt wurde.

Wenn die Ölpreise nicht steigen, könne Russland "noch zwei oder drei Jahre" so weitermachen, schätzt Stefan Meister. Doch "der Zug fährt auf die Wand zu". Ein Einlenken im Ukraine-Konflikt, um die westlichen Sanktionen zu beenden, sei dennoch nicht zu erwarten.

Ganz im Gegenteil, die Konflikte mit dem Westen könnten sogar zunehmen. "Das Regime wird versuchen, von der Wirtschaftskrise abzulenken", sagt Meister. "Es wird daher eher mehr außenpolitische Konflikte kreieren, anstatt Kompromisse zu machen oder Reformen durchzuführen."