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Revier im Aufbruch

Klaus Ulrich
18. Dezember 2018

Die Menschen im Ruhrpott haben sich den Wandel weg von der Steinkohle seit Jahrzehnten zu eigen gemacht - "fast schon als Marke", sagt Eric Weik von der IHK Mittleres Ruhrgebiet im DW-Gespräch.

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Bildergalerie Bergbau Ruhrgebiet
Bild: privat

Deutsche Welle: Am 21. Dezember wird die letzte Kohle gefördert, dann schließt die letzte Zeche im Ruhrgebiet. Die Region ist mit mehr als fünf Millionen Einwohnern der größte Ballungsraum Deutschlands und der fünftgrößte in Europa: Mehr als 150.000 Unternehmen, darunter drei Dax-Konzerne, dazu fast zwei Dutzend Hochschulen mit insgesamt rund 270.000 Studenten und Sie mit ihrer Industrie- und Handelskammer mittendrin. Was ist das für ein Gefühl?

Eric Weik: Das ist tatsächlich ein tolles Gefühl, weil wir bei uns im Zentrum Europas sitzen und gerade den Aufbruch in eine spannende Zukunft mit vielen Herausforderungen erleben.

Sie sind seit drei Jahren bei der IHK Mittleres Ruhrgebiet in Bochum und haben von Anfang an auch den Wandel im eigenen Haus vorangetrieben. Was wollten Sie damit erreichen?

Das war sehr spannend. Wir haben uns zunächst selbst in Frage gestellt. Ich glaube, dass das heute jeder tun muss - jede Organisation, aber auch jede staatliche Institution. Die Zeit ist vorbei, in der die Menschen uns akzeptieren, nur weil wir da sind.

Erik Weik
Eric Weik, Hauptgeschäftsführer der IHK Mittleres Ruhrgebiet Bild: IHK Mittleres Ruhrgbiet Bochum

Sie haben Ihr Haus reformiert, indem Sie Hierarchien abgeschafft haben. Vor allem diejenigen, die am oberen Ende einer Hierarchie sitzen, werden in der Regel nicht wirklich begeistert sein von solchen Plänen. Wie ist es Ihnen gelungen, diese Kolleginnen und Kollegen zu überzeugen?

Jetzt sind wir mitten im Thema Wandel und bei der Veränderungsbereitschaft der Menschen im Ruhrgebiet. Als ich angeregt habe, uns selbst in Frage zu stellen und zu überlegen, was für uns die optimale Organisationsform wäre, um maximalen Mehrwert für unsere Mitgliedsunternehmen zu erzielen, waren alle bereit, daran mitzuarbeiten - auch die, die wussten, dass sie ihre Funktion, ihre Klappen auf der Schulter verlieren werden, haben mitgemacht und sind bis heute dabei.

Ruhrgebiet: "Wandel als Marke"

Wie lange hat der Prozess gedauert?

Dieser Prozess der Umwälzung ist nie zu Ende, weil die Welt sich weiter dreht und sich alles ständig verändert - und zwar immer schneller. Das gilt natürlich auch für so eine Institution wie die Industrie- und Handelskammer. Wir arbeiten jetzt seit anderthalb Jahren praktisch ohne Hierarchien. Es gibt lediglich noch eine einzige hierarchische Ebene in unserer Kammer. Vor allem arbeiten wir immer interdisziplinär.

Es gibt fünf Kompetenzfeld-Manager. Ich bin einer davon. Die Aufgabe der Kompetenzfeld-Manager ist es ausdrücklich, nicht mehr so wie früher die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter anzuweisen und zu kontrollieren. Das machen wir nicht mehr. Stattdessen unterstützen wir unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter - aber nur, wenn die das auch wollen.

Sie bewegen sich im wahrsten Sinne des Wortes auf historischem Gelände. Spüren Sie in Ihrer täglichen Arbeit dass das Ruhrgebiet jahrzehntelang das Herz der europäischen Stahl- und Energieversorgung sowie eine wichtige Innovations-Schmiede war?

Ich war vor wenigen Tagen im Stadion unseres Fußballvereins VfL Bochum. Wenn vor Spielbeginn das Steiger-Lied angestimmt wird, dann spüren Sie das. Und wenn sie bereit sind, in so einer altehrwürdigen, traditionellen Organisation wie der Industrie- und Handelskammer alle alten Türme und Grenzen einzureißen, dann werden sie auch mit der Geschichte konfrontiert - vielleicht bei manchem mit dem verzweifelten Blick in den Rückspiegel.

Welche Projekte betreiben Sie zurzeit?

Mein Lieblingsprojekt besteht darin, das Thema "Zukunft" in die Unternehmen und in die Köpfe der Menschen zu tragen. Es geht darum, Freiräume für die Verwirklichung von unternehmerischen Ideen zu schaffen - beispielsweise mit dem Projekt "Mark 51°7". Der Name bezeichnet die Koordinaten eines zentral gelegenen Geländes in Bochum, wo früher das große Opel-Werk 1 mit zur Hochzeit mehr als 20.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern als Produktionsstandort beheimatet war.

Das ist schon seit vielen Jahren Geschichte. Wir entwickeln aus der Geschichte "Zukunft". Auf diesem Gelände siedeln sich sehr hochwertige Dienstleister an. Vielleicht zieht sogar ein Max-Planck-Institut für IT-Sicherheit an diesen Standort. In zwei bis drei Jahren sollen dort mehr Arbeitsplätze geschaffen worden sein, als Opel am Ende dort hatte. Unser Ziel sind fünf- bis sechstausend neue Jobs.

Schicht im Schacht

Wie schwer ist die Vermarktung dieser geschichtsträchtigen Gewerbefläche? Vor Opel war dort der Bergbau beheimatet.

Unternehmen und Institutionen zeigen reges Interesse. Das ist übrigens im ganzen Ruhrgebiet und nicht nur in Bochum der Fall. Viele Investoren aus ganz Deutschland oder aus dem Ausland haben das Signal verstanden. Da ist eine Bevölkerung, die den Wandel kennt und die sich den Wandel sozusagen als Marke zu eigen gemacht hat. Diese Menschen sagen: 'Wir wollen Zukunft gestalten und sind bereit, neu zu denken.' Deshalb kommen die Investoren zu uns.

Das klingt ja fast schon euphorisch. Warum hat das Ruhrgebiet aber trotz aller Zuversicht eine höhere Arbeitslosigkeit als strukturschwache Gegenden Deutschlands und teilweise immer noch ein schlechtes Image?

Zum einen gibt es so eine Art Denkmal-Romantik, die wir alle mit uns herumschleppen. Wir sehen die Fördertürme und haben sofort ganz bestimmte Assoziationen. Wenn wir ein modernes Bürogebäude sehen, assoziieren wir damit erst mal nichts, weil es ja keine inhaltliche Aussage hat. Was uns aber auffällt, sind die Fördertürme und sofort denken wir an früher zurück.

Das passiert auch oft in den Köpfen der Menschen, die im Ruhrgebiet leben. Sie denken an Thyssen-Krupp oder an die RAG, also große Gesellschaften, die früher das Leben der Menschen praktisch von der Schule bis zum letzten Tag begleitet und für alles gesorgt haben.

Diese großen Konzerne werden aber nicht die Zukunft des Ruhrgebietes sein. Viele kleinere, unterschiedliche Unternehmen werden die Zukunft gestalten. Diese Umstellung findet gerade auch in den Köpfen statt, dafür spricht übrigens auch die Statistik. Die Arbeitslosenzahlen sinken kontinuierlich. Wir sehen in den letzten Jahren im ganzen Ruhrgebiet eine sehr erfreuliche Entwicklung. Da ist zwar noch Luft nach oben. Aber wir sind auf dem richtigen Weg.

"Glück auf 4.0" oder "Der Steiger geht der Gründer kommt" - zwei pointierte Schlagzeilen zum Strukturwandel im Ruhrgebiet aus jüngster Zeit. Mögen Sie solche Etiketten?

Ich würde immer den ersten Teil weglassen. Ich mag den Steiger, aber ich würde ihn nicht in die Überschrift packen. Ich würde einfach nur sagen: 'Der Gründer kommt.' Dafür brauche ich den Steiger nicht. Der Steiger ist schon weg. Er ist zwar ein wichtiges historisches Kulturgut. Aber den Steiger gibt es nicht mehr.

Eric Weik ist seit 2015 Hauptgeschäftsführer der IHK Mittleres Ruhrgebiet in Bochum. Nach dem Studium arbeitete der Jurist zunächst bei verschiedenen Unternehmen. Von 2004 bis 2015 war er hauptamtlicher Bürgermeister der Stadt Wermelskirchen.