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Pegida polarisiert Dresden

Sabine Kinkartz, Dresden19. Oktober 2015

Zehntausende Demonstranten haben in der Dresdner Innenstadt für und gegen die ausländerfeindliche Pegida-Bewegung demonstriert. 1900 Polizisten konnten Gewaltausbrüche - auch gegen DW-Journalisten - nicht verhindern.

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Dresden - Pegida-Anhänger versammeln sich zum Jahrestag (Foto: Getty Images)
Bild: Getty Images/AFP/S. Gallup

Für ein paar Minuten sah es so aus, als würde die Lage völlig eskalieren, noch bevor die Pegida-Kundgebung auf dem Dresdner Theaterplatz überhaupt angefangen hatte. Seit 16 Uhr hatte sich ein breites Bündnis, das unter dem Motto "Herz statt Hetze" zum Protest gegen Fremdenfeindlichkeit aufgerufen hatte, in vier langen Zügen aus verschiedenen Richtungen auf den Weg gemacht, um möglichst nah an den Theaterplatz heranzukommen. Den hatte die Polizei allerdings schon frühzeitig bis auf einen schmalen Korridor weiträumig abgesperrt, um ein Aufeinanderprallen von Pegida-Anhängern und -Gegnern zu vermeiden.

Doch die meisten Anhänger waren gerade erst auf dem Weg zur Kundgebung, als die Gegendemonstranten in der Altstadt ankamen und sich die Wege kreuzten. Ohrenbetäubender Lärm aus Trillerpfeifen ertönte, dazu laute Rufe "Schämt Euch" und "Nie wieder Deutschland".

Es wurde gerempelt und geschubst. DW-Korrespondent Jaafar Abdul Karim wurde bei seinen Recherchen vor Ort angegriffen. Als wie aus dem Nichts plötzlich ein Block Schwarzvermummter auftauchte, der "Hier marschiert der nationale Widerstand" skandierte und explodierende Böller in die Menge warf, schien die Polizei für einen Moment sogar gänzlich die Kontrolle zu verlieren, setzte dann aber Pfefferspray ein und konnte Schlimmeres verhindern.

Politiker als "Volksverräter"

Für 18.30 Uhr hatten die "Patriotischen Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes" ihre Anhänger zur "Jubiläumskundgebung" eingeladen. Die ersten Demonstranten versammelten sich schon zwei Stunden vorher vor der Semperoper, an deren Fassade aus Protest gegen Pegida eine LED-Tafel angebracht war, auf der "Wir sind kein Bühnenbild für Fremdenhass" stand. "Antidemokratische, linksgrünfaschistische Hetze" sei das, schäumte Pegida-Organisator Lutz Bachmann auf seiner Facebook-Seite.

Dresden - Gegendemonstration zum Pegida Jahrestag (Foto: dpa)
14.000 Gegendemonstranten waren in Dresden unterwegsBild: picture-alliance/dpa/J. Woitas

Immer offener und immer unverhohlener hetzt der vorbestrafte Bachmann vor tausenden applaudierenden und jubelnden Anhängern seit einem Jahr nicht nur gegen Flüchtlinge, sondern auch gegen Politiker. "Wir werden siegen", rief Bachmann diesmal in die Menge, um dann wieder seine üblichen Hetz- und Hassparolen zu wiederholen. Migranten werden als "nutz- und kulturlose Asylschmarotzer" bezeichnet, die "raubend" und "vergewaltigend" durch deutsche Städte zögen. Politiker werden als "Volksverräter" verunglimpft.

Während am vergangenen Montag ein Galgen hochgehalten wurde, an dem zwei Plakate baumelten, auf denen "reserviert Siegmar das Pack Gabriel" und "reserviert Angela Mutti Merkel" zu lesen war, fiel diesmal ein Plakat ins Auge, auf dem die Bundeskanzlerin in einer an eine Nazi-Uniform angelehnte Militäruniform gezeigt wurde. Auf einer roten Armbinde war allerdings ein Euro-Zeichen abgebildet.

Der Kaffee kommt auch nicht von hier

Plakate hatten auch die Gegendemonstranten dabei. Witzig wie "Dor Gaffee kommt och ni von hier", aber auch ernstgemeinte wie "Tu was gegen Rechts und Pegida-Versteher". Das forderten die sächsischen Grünen, deren Protestzug die Vorsitzende der Bundespartei, Simone Peter, mit anführte. Sie verlangte in Dresden "klarer Kante" gegen ausländerfeindliche Hetze. "Die Hassparolen von Pegida sind der Nährboden für rechte Gewalt, von brennenden Flüchtlingsunterkünften bis Mordanschlägen wie dem auf Henriette Reker", sagte Peter mit Blick auf das Attentat auf die Kölner OB-Kandidatin. Es müsse Schluss sein mit der Verharmlosung des Bündnisses.

Dresden - Gegendemonstration zum Pegida Jahrestag (Foto: Getty Images)
Auch satirisch wurde gegen Pegida demonstriert, wie hier durch "Die Partei"Bild: Getty Images/S. Gallup

Das sehen auch viele Dresdner so. Sie sind wütend, dass Pegida den Ruf ihrer Stadt ruiniert hat. Der Tourismus ist die zweitwichtigste Einnahmequelle, und zunehmend fragen sich ausländische Besucher, ob sie in Dresden noch erwünscht und sicher sind. Wohl auch deswegen haben sich an diesem Montag so viele Menschen mobilisieren lassen und sind gegen Pegida auf die Straße gegangen. Großen Erfolg hat auch eine Protest-Kampagne in den sozialen Netzwerken. Unter dem Hashtag #Ich bin Dresden machen Einwohner ihrem Unmut Luft und bekennen sich zu einer weltoffenen Stadt.

Bürgermeister zwischen Tatendrang und Resignation

Was nicht heißt, dass nicht auch in Dresden die Sorge wächst, ob und wie Politik und Gesellschaft die Flüchtlingskrise bewältigen können. Während die Bundeskanzlerin unbeirrt an ihrer Aussage "Wir schaffen das" festhält, schwenken Bürgermeister und Landräte längst die weiße Fahne. Bundesweit sollen immer noch 28.000 Flüchtlinge in unbeheizten Zelten wohnen."Das halten wir nicht durch", fasste Gerd Landsberg vom Deutschen Städte- und Gemeindebund die Stimmung am Montagvormittag auf einem Pressetermin in Dresden zusammen.

An allen Ecken und Enden fehle es an Platz und Personal. Zudem werde die Unterbringung der Flüchtlinge immer teurer. Das sei eben so in der Marktwirtschaft, sagt Landsberg. Container kosteten heute 40 bis 50 Prozent mehr als noch vor einem halben Jahr.

Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städte- und Gemeindebundes, Gerd Landsberg

Auch die Mieten für leer stehende Hallen oder Grundstücke seien explodiert. Der sächsische Städte- und Gemeindetag hat errechnet, dass die Versorgungskosten pro Flüchtling von durchschnittlich 6.440 Euro im Jahr 2014 auf aktuell 10.552 Euro gestiegen sind. Pauschal werden vom Bund aber nur 7.600 Euro pro Jahr erstattet.

Die Kostenrechnung gilt auch nur für die laufenden Asylverfahren. Ist ein Flüchtling anerkannt, dann bezieht er entweder Hartz IV oder, wenn nicht arbeitsfähig, weil beispielsweise traumatisiert, Sozialhilfe. Die aber muss die Kommunen bezahlen, so wie sie auch für die Unterbringung von anerkannten Asylbewerbern zuständig sind. "Es gibt in der Flüchtlingskrise keine schnellen Lösungen, das wird uns über Jahre beschäftigen", sagt Gerd Landsberg. Gerade für die Integration der Menschen müsse aber schon jetzt finanziell vorgesorgt werden, um die Fehler der Vergangenheit nicht zu wiederholen.