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"Nur mit Lateinamerika gelingt der Kampf ums Klima"

12. Juli 2023

Entwicklungsministerin Svenja Schulze will die Partnerschaft mit Lateinamerika intensivieren. Im Mittelpunkt der Kooperation steht der Klimaschutz.

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Lateinamerika und Karibik | Entwicklungsministerin Svenja Schulze
"Gemeinsam für ökologischen Wandel und soziale Gerechtigkeit " - Bundesentwicklungsministerin Svenja SchulzeBild: Janine Schmitz/photothek/IMAGO

Seit einem halben Jahr flitzt jeden Tag ein wenig Bonn durch die höchstgelegene Metropole der Welt. "Médico en tu casa", "Arzt in Deinem Haus" prangt auf den Türen der sechs türkisgrünen E-Autos, die mittlerweile zum festen Straßenbild von La Paz gehören. Mediziner kommen damit auch in die entlegensten Winkel der bolivianischen Stadt, und bringen so ambulante Gesundheitsversorgung mit Klimaschutz zusammen. Ein Vorzeigeprojekt der kommunalen Partnerschaft zwischen La Paz und Bonn, mit Mitteln des Bundesministeriums für Wirtschaftliche Zusammenarbeit, BMZ.

"Die Menschen hier haben großes Vertrauen, weil sie wissen, dass die Autos bei einem Notfall sofort zur Stelle sind. Die Stadt Bonn hat uns sehr geholfen, wir wollen das Thema nachhaltige und elektrische Mobilität in der Stadt unbedingt weiterverfolgen", sagt María del Carmen Rocabado vom Planungssekretariat der Stadt La Paz.

Ärztin mit Mundschutz gibt Frau Spritze
Elektroautos mit Ärzten bringen die Medizin zu den Menschen in La PazBild: María del Carmen Rocabado/Stadtregierung La Paz

Der Klimaschutz und die Klimaanpassung stehen im Mittelpunkt der bilateralen Kooperation, wie zum Beispiel die großflächige Installation von Photovoltaikanlagen auf den Dächern von La Paz. Aber auch Pilotprojekte zum drohenden Wassermangel, zur Errichtung von Frühwarnsystemen bei drohenden Erdrutschen oder auch zum Recycling für Glas, Papier und Plastik für ein verbessertes Abfallmanagement gehören dazu.

Im November wird wieder eine Delegation aus Bolivien in der alten Bundeshauptstadt erwartet. La Paz und Bonn wollen wie viele der 130 kommunalen Kooperationen zwischen Deutschland und Lateinamerika die Zusammenarbeit auf eine neue Stufe heben. Rocabado sagt: "Wir haben vor, einen effektiven Klimaplan aufzusetzen, der auch zuverlässig den Treibhauseffekt misst. Außerdem sind wir sehr daran interessiert, die Kooperation zu einem Trio zu machen, mit Bonns britischer Partnerstadt Oxford."

Lateinamerika nicht mehr von Deutschland vernachlässigt

Es sind Erfolgsgeschichten wie diese, auf die Bundesentwicklungsministerin Svenja Schulze gerne verweist, wenn sie von neuen Perspektiven der Zusammenarbeit mit den Staaten Lateinamerikas und der Karibik spricht. Dazu passt, dass sich deutsche Politiker gerade in der Region die Klinke in die Hand geben: Kanzler Olaf Scholz war Anfang des Jahres in Argentinien, Brasilien und Chile, Außenministerin Annalena Baerbock und Arbeitsminister Hubertus Heil sind gerade aus Kolumbien und Mexiko zurückgekehrt und auch Schulze selbst reiste jüngst nach Brasilien.

Zwei Männer geben sich die Hand
Bundeskanzler Olaf Scholz zu Besuch beim brasilianischen Präsidenten Luiz Inacio Lula da SilvaBild: Kay Nietfeld/dpa/picture alliance

Jahrelang hatte Deutschland immer wieder die enge Verbundenheit mit Lateinamerika gepriesen, jetzt scheint die Regierung den Worten endlich Taten folgen zu lassen. Was viel damit zu tun hat, dass sich Deutschland mehr Unterstützung Lateinamerikas für die Ukraine nach dem Angriff Russlands erhofft. Aber auch mit dem deutschen Fachkräftemangel, vor allem im Pflegebereich, den Deutschland mit Krankenpflegerinnen und -pflegern aus Lateinamerika bekämpfen will. Und dem neuen Gold im Energiesektor, Lithium, das für Deutschlands Umstieg auf Elektromobilität unabdingbar ist.

Svenja Schulze treibt allerdings eines der dringlichsten Probleme unserer Zeit um, der Klimawandel, weswegen sie ein neues Kapitel in den Beziehungen aufschlagen will.

"Deutschland ist gut beraten, die Partnerschaft mit Lateinamerika zu pflegen und zu intensivieren, denn unsere Weltordnung wird zunehmend multipolar sein. Dabei ist uns klar, wie sehr wir aufeinander angewiesen sind. Ohne die Länder Lateinamerikas werden wir globale Probleme wie den Klimawandel nicht in den Griff bekommen", sagte Schulze in Berlin bei der Vorstellung eines Lateinamerika-Positionspapiers ihres Hauses.

Gemeinsamer Klimaschutz als ultimative Herausforderung

Lateinamerika trifft der Klimawandel gerade mit voller Wucht: Uruguays Hauptstadt Montevideo geht das Trinkwasser aus, Waldbrände vor allem in Chile und Argentinien treiben die CO2-Emissionen auf den höchsten Stand seit 20 Jahren und in Mexiko starben jüngst bei Temperaturen bis zu 50 Grad Celsius mehr als 100 Menschen an Hitzschlag und Dehydrierung.

Die Bundesentwicklungsministerin will deswegen Brasilien dabei unterstützen, die illegale Abholzung des Regenwaldes zu stoppen. Und mit Klima- und Entwicklungspartnerschaften wie zwischen La Paz und Bonn will sie den Ausbau der erneuerbaren Energien hin zu einer klimaneutralen Wirtschaft forcieren.

"Das heißt, dass ein Partnerland bestimmte Ziele zum Ausstieg aus fossilen Energieträgern verfolgt und im Gegenzug Unterstützung aus Deutschland erhält", sagt Schulze, die mit den Klimaschutzvorhaben auch die ärmere Bevölkerung erreichen will: "In Peru fördern wir Radschnellwege in der Hauptstadt Lima als auch in den großen Provinzstädten, denn gerade die Bevölkerungsgruppen aus den benachteiligten Stadtteilen sind auf das Fahrrad angewiesen. Sie können sich das Pendeln mit den Bussen oft gar nicht mehr leisten."

"Entwicklungsbooster": Stärker auf Frauen setzen

Neben gemeinsamen Anstrengungen für mehr Klimaschutz will die deutsche Entwicklungshilfe den Interamerikanischen Gerichtshof für Menschenrechte fördern, um Lateinamerika und die Karibik im Kampf gegen die hohe Gewaltkriminalität zu unterstützen - jeder dritte gewaltsame Todesfall weltweit kommt aus der Region.

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Mit einer feministischen Entwicklungspolitik soll zudem die strukturelle Benachteiligung von Frauen bekämpft werden. Ein Ziel: die gegenwärtige Frauenerwerbsquote in Lateinamerika und der Karibik, die derzeit bei rund 49 Prozent und damit dem niedrigsten Wert der vergangenen zehn Jahre liegt, sukzessive zu erhöhen.

Bundesentwicklungsministerin Svenja Schulze fordert: "Frauen müssen gleichberechtigt in Führungspositionen, Ämtern und Gremien vertreten sein und sie brauchen den gleichen Zugang zu finanziellen Ressourcen wie Landbesitz oder Krediten. Stärker auf Frauen zu setzen, kann zu einem echten Entwicklungsbooster für Lateinamerika werden."

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Oliver Pieper DW-Reporter und Redakteur