1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Neue Tests, aufgeweichte Grenzwerte

Bernd Riegert28. Oktober 2015

Dieselfahrzeuge werden künftig im echten Betrieb getestet. Die Grenzwerte dürfen aber weiter drastisch überschritten werden. Das Auto-Land Deutschland setzt sich durch. Bernd Riegert aus Brüssel.

https://p.dw.com/p/1Gw7o
Diesel Abgassonderuntersuchung (Foto: DPA)
Bild: picture-alliance/dpa/Jan Woitas

Nicht erst seit bekannt wurde, dass der deutsche Automobilkonzern "Volkswagen" bei den Abgastests für Diesel-Fahrzeuge massiv betrogen hat, sondern bereits im Mai 2015 hatte sich die EU darauf verständigt, die bisher üblichen Labortests durch Abgastests im realen Betrieb auf der Straße zu ergänzen. Diese im Fachjargon "Real Driving Emissions" (RDE) genannten Messungen waren in der EU-Kommission in Brüssel vier Jahre lang vorbereitet worden. Schon im Jahr 2011 hatte der wissenschaftliche Dienst der EU-Kommission in eigenen Untersuchungen festgestellt, dass die Labortests mit dem tatsächlichen Schadstoffausstoß von Dieselfahrzeugen wenig zu tun haben. Damals war festgestellt worden, dass die tatsächlichen Werte vier Mal so hoch liegen wie eigentlich erlaubt.

Keine Eile bei der Einführung neuer Tests

Dass es trotzdem so viele Jahre dauerte, bis die EU neue Testmethoden einführt, hat nach Ansicht von Umweltverbänden in Brüssel viel mit Lobbyismus zu tun. Die meisten Mitgliedsstaaten, in denen die Autoindustrie in Europa produziert, also Deutschland, Spanien, Italien und Tschechien, hatten kein großes Interesse an zügigen Vorgaben. Sie wollten die Autokonzerne schützen und ihnen mehr Zeit für die Umstellung der Testmethoden geben, vermuten Umweltexperten. Die deutsche Umweltministerin, Barbara Hendricks (SPD), streitet aber ab, dass die Deutschen in der EU auf die Bremse treten. Man könne ehrlicherweise von der Autoindustrie ja nicht mehr verlangen als das, was technisch auch wirklich umsetzbar und praktikabel sei. "Das ist nicht ehrlich und integer, das sollte man nicht tun", sagte Hendricks am Rande des Umweltministertreffens der EU am Montag dem Deutschlandfunk.

Mobile Abgasuntersuchung bei PKWs (Foto: DPA)
Messung in Zukunft: Am fahrenden AutoBild: EU

Die französische Umweltministerin, Ségolène Royal, kommt zwar aus einem Autos produzierenden Land, aber sie kritisierte die übrigen EU-Mitgliedsstaaten. Es habe viel zu lange gedauert, sich auf neue Testverfahren zu einigen. Ihr Appell, sich jetzt schnell zu verständigen, verhallte am Dienstag aber im zuständigen EU-Ausschuss ungehört.

Abweichungen von der Norm erlaubt

Offenbar hat sich die deutsche Bundesregierung jetzt im zuständigen "technischen Ausschuss für Kraftfahrzeuge" der EU mit ihren Forderungen in Brüssel durchgesetzt. Nach dem Beschluss von Dienstag sollen Ende 2017 die RDE-Tests verbindlich eingeführt werden. Allerdings sind auch danach noch enorme Abweichungen von den strengen Grenzwerten der europäischen Abgasnormen möglich.

Barbara Hendricks Bundesumweltministerin(Foto: Getty Images)
Barbara Hendricks: Nicht mehr verlangen als technisch möglichBild: Sean Gallup/Getty Images

Von 2017 bis 2019 sollen die Hersteller die Euro-6-Abgasnorm um mehr als 100 Prozent überschreiten dürfen. Vom Jahr 2020 an dann um 50 Prozent. Die EU-Kommission hatte ursprünglich vorgeschlagen eine Überschreitung von 60 Prozent bis 2019 bzw. 40 Prozent danach zuzulassen. Einige Länder wie Dänemark, die keine Autoindustrie haben, hatten eigentlich strengere Grenzwerte verlangt, wurden aber überstimmt.

EU-Parlament fordert mehr Strenge

Viele Umwelt-Experten im Europäischen Parlament argumentieren, dass Stickoxide und Feinstaub aus Dieselmotoren hunderttausende von Europäern krank machten und deshalb drastisch reduziert werden müssten. Der CDU-Abgeordnete Peter Liese führte Untersuchungen ins Feld, nach denen jährlich in der EU bis zu 400.000 Menschen wegen zu hoher Emissionen vorzeitig stürben. Die grüne Europa-Abgeordnete Rebecca Harms kritisiert insbesondere, dass die Automobilindustrie noch viele Jahre die Abgaswerte überschreiten dürfe. "Das ist eine zynische Entscheidung der Regierungen der EU-Mitgliedsstaaten. Allen voran die deutsche Bundesregierung hat offenbar Nichts aus dem Abgas-Skandal von Volkswagen gelernt", sagte Rebecca Harms. Wer jetzt noch solche Testverfahren gut heiße, nehme die europäischen Verbraucherinnen und Verbraucher nicht ernst.

Grüne Politikerin Rebecca Harms
Rebecca Harms: Verbraucher irregeführt (Foto: Wiktor Dabkowski)Bild: picture alliance/Wiktor Dabkowski

Das Europäische Parlament hatte am Dienstag eine nicht bindende Resolution zu Abgastests und dem Betrugsskandal rund um VW verabschiedet. Die Parlamentarier forderten die nationalen Aufsichtsbehörden, die für die praktische Durchführung der Tests verantwortlich sind, auf, keine Nachsicht mehr zu üben. Bislang waren wohl zum Beispiel das Abmontieren von Außenspiegeln, spezielle Reifen oder das Ausschalten von Klimaanlage und Lichtmaschine bei den Tests geduldet worden, um Treibstoff zu sparen.

Europäische Aufsicht?

Die grüne Abgeordnete Rebecca Harms forderte, den nationalen Prüfbehörden genauer auf die Finger zu schauen. Sie stehen im Verdacht, teilweise sehr eng mit den Autofirmen zusammen zu arbeiten. Das Parlament sprach sich mit knapper Mehrheit dafür aus, eine europäische Behörde zu gründen, die die Auto-Abgastests der nationalen Behörden überprüfen kann.

DUH Abgasuntersuchung beim Opel Zafira
Messung heute: Laborbedingungen für AutosBild: Holzmann/DUH

Der europäische Autohersteller-Verband "ACEA" unterstützt die neuen Prüfverfahren im wirklichen Straßenverkehr. Man brauche eine schnelle Entscheidung, um die Verfahren und die Herstellung der Fahrzeuge rechtzeitig anpassen zu können, sagte eine ACEA-Sprecherin in Brüssel.