Meinungsmache im amerikanischen Radio
10. September 2015"Sie ist eine Schlampe. Sie ist eine Prostituierte. Sie will Geld dafür, dass sie Sex hat." Seine Stimme überschlägt sich fast, wie immer, wenn er sich aufgeregt. Und er regt sich oft auf. "Sie will, dass wir Steuerzahler dafür bezahlen, dass sie Sex haben kann. Sie will uns Steuerzahler zu Zuhältern machen." Sie, das ist Sandra Fluke, Jurastudentin an der Eliteuni Georgetown.
Fluke finanziert ihre Studiengebühren nicht etwa mit einem Nebenjob bei einem Escort-Service. Sie hat sich lediglich vor dem US-Kongress dafür eingesetzt, dass Verhütungsmittel von Arbeitgebern über die Krankenversicherung mitfinanziert werden. Und der Mann, der Fluke eine Schlampe nennt, sitzt nicht an einem Stammtisch in der amerikanischen Provinz. Er sitzt vor einem goldenen Mikrofon in einem Radiostudio in Palm Beach, Florida. Er ist der beliebteste Radiotalker der USA: Rush Limbaugh.
Jenseits von Fox News
Rush Limbaugh ist die Galionsfigur des konservativen Talkradios. Der 64-jährige politische Kommentator moderiert "The Rush Limbaugh Show" seit 1984, seit 1988 wird sie landesweit gesendet. Die Sendung läuft wöchentlich fünfmal und ist drei Stunden lang. Sie besteht aus losen Monologen zu den Nachrichten des Tages, Telefongesprächen mit Hörern, Comedy-Einsprengseln und Interviews. Glaubt man Limbaugh, so droht jedwege halbwegs liberal angehauchte Politik, den USA ihre Identität zu rauben.
Minderheitenrechte und politische Korrektheit sind ihm ein Dorn im Auge. Nicht nur Linke und Politiker der Demokratischen Partei stehen auf seiner Abschussliste - auch das Establishment der republikanischen Partei kriegen bei ihm ihr Fett weg. Die Beleidigungen gegen Fluke sind nur ein - wenn auch extremes - Beispiel für die Rhetorik der Talkers: Präsident Obama hat er auch schon mit Hitler verglichen.
Die Geburt des rechten Radiotalks
Wenn man derzeit über konservativ geprägte politische Berichterstattung in den USA redet, fällt vor allem ein Name: Fox News. Doch die Wurzeln rechtspopulistischer Berichterstattung liegen nicht im Fernsehen, sondern im Radio. Dort etablierte sich ein Jahrzehnt vor der Erstausstrahlung von Fox News das konservative Talkradio, angesiedelt irgendwo zwischen Hetze und Journalismus, Unterhaltung und politischer Einflussnahme.
Bis 1987 waren amerikanische Radiosender verpflichtet, eine ausgeglichene politische Berichterstattung zu bieten. Trat der Moderator einer Sendung für einen konservativen Standpunkt ein, so musste in derselben oder einer darauffolgenden Sendung ein progressiver Standpunkt vertreten werden. Dies verlangte die "Fairness Doctrine", eine Vorschrift von 1949, die unter Präsident Reagan abgeschafft wurde.
Auch vorher gab es konservative Talk-Formate. Doch nun konnten Radiosender mit einem ideologisch einseitigem Programm eine homogene Zielgruppe ansprechen und kontroversen politischen Kommentatoren wie Rush Limbaugh wesentlich mehr Raum geben.
Überraschungserfolg mit Nachahmer-Effekt
"The Rush Limbaugh Show" war eines der ersten landesweit ausgestrahlten Programme seiner Art - und ein einschlagender Überraschungserfolg. Es folgten dutzende Nachahmer, die regelmäßig Millionen Zuhörer finden. Der erfolgreichste nach Limbaugh ist wohl Sean Hannity, der seit 1996 auch zum Stammpersonal von Fox News gehört.
Die Vielfalt an Sendungen im Radioprogramm nahm in den 1990er-Jahren deutlich ab, während die erfolgreiche Radioshows wie "The Rush Limbaugh Show" ein größeres Publikum finden konnten. Ermöglicht wurde das durch eine Änderung im Telekommunikationsgesetz, durch die Besitzbeschränkungen für Radio- und Fernsehsender wurden 1996 aufgehoben wurden.
Während bis dahin die meisten Radiosender von kleinen Unternehmen lokal geführt wurden, entstanden nun Medienkonzerne, die heute landesweit die Radiolandschaft dominieren. Durch Aufkäufe kleiner Sender wurde der größe amerikanische Sendeverbund, Clear Channel Communications (seit 2014 in iHeartMedia umbenannt), zur Radioheimat von Rush Limbaugh und Sean Hannity.
Ein gutes Geschäft
Konservativer Radiotalk war und ist für Radiokonzerne höchst lukrativ. Talk-Formate sind billig zu produzieren (sieht man von den enormen Gehältern ab, die den erfolgreichsten Talkern gezahlt werden - Limbaugh bekam 2008 für einen Acht-Jahres-Vertrag 400 Millionen Dollar). Die Sendungen sind attraktiv für Werbekunden, denn Radiotalker genießen ein enormes Vertrauen bei ihrem Publikum und lesen die Werbung oft selbst vor, so dass sie wie eine persönliche Produktempfehlung wirkt.
Es gab mehrere Versuche, linksgerichtetes Talk Radio als politisches Gegengewicht zu etablieren - diese scheiterten bis auf wenige Ausnahmen daran, dass die Hörerzahlen zu niedrig und die Werbeeinnahmen dementsprechend gering waren. Konservative Meinungsmacher haben einen klaren Wettbewerbsvorteil gegenüber linken Kollegen: Konservative haben ein deutlich größeres Misstrauen gegenüber etablierten journalistischen Quellen. Überzeugte Konservative trauen halb so vielen Nachrichtenquellen wie überzeugte Liberale, befand eine Umfrage des Pew Research Centers von 2014.
87 Prozent der Hörer von "The Rush Limbaugh Show" halten die "normale" Nachrichtenberichterstattung für tendenziös - in der Gesamtbevölkerung misstraut nur gut die Hälfte den Medien. Limbaugh selbst behauptet in seiner Sendung immer wieder, dass die Mainstream-Medien befangen sind und konservative Ansichten vernachlässigen. Er und Kollegen wie Glenn Beck oder Laura Ingraham machten den Term "Lame Stream Media" (ein Wortspiel aus der englischen Worten für "lahm" und "Mainstream-Medien", das dem deutschen Term "Lügenpresse" nicht unähnlich ist) landesweit bekannt.
Der politische Einfluss
Konservatives Talkradio zieht ein enormes Publikum an: Quotengigant Limbaugh erreicht heute täglich ein Publikum von etwa 13 Millionen Hörern. Zum Vergleich: Weniger als drei Millionen Menschen schauen die erfolgreichste Show von Fox News, "The O'Reilly Factor". Das Publikum von Radiotalk ist ideologisch extrem homogen. Limbaughs Zuhörer sind laut Studien des Pew Research Centers zu 83 Prozent konservativ und zu je 76 Prozent Tea-Party-Unterstützer, christlich-konservativ und Anhänger der Waffenlobbygruppe.
Viele Medienexperten sehen den Einfluss von Talkern wie Limbaugh vor allem in den Reihen der republikanischen Partei. Sie beklagen, dass der Einfluss der politischen Kommentatoren zu einer Radikalisierung der republikanischen Partei geführt hätte. Für "New York Times"-Autorin Jackie Calmes geben konservative Medien wie das Talkradio mittlerweile wesentlich stärker den Kurs der Republikaner vor als die Führung der Partei.
"Disziplinierungsmaschine der Rechten"
Ben Adler nennt im Fachjournal "Columbia Journalism Review" Radiotalker gemeinsam mit Fox News die "Disziplinierungsmaschine der Rechten". Konservative Talker würden enormen Druck auf gemäßigte republikanische Politiker ausüben, um diese auf einen extremeren konservativen Kurs zu bringen, so Adler.
Politikwissenschaftler Brian Rosenwald spricht in einem Artikel für das Politik-Magazin "Politico" vom "Talkradio-Effekt". Radiotalker würden zunehmend extreme republikanische Kandidaten bei den Vorwahlen durch positive Berichterstattung oder sogar Wahlempfehlungen unterstützen, so Rosenwald. Dies würde dazu führen, dass es gemäßigten konservativen Politikern zunehmend schwer falle, für politische Positionen nominiert zu werden.
Bushs Nachteil gegenüber Trump
Die bisherige Berichterstattung zum Kampf um die republikanische Präsidentsschaftsnominierung bestätigt Rosenwalds Perspektive: Gemäßigten Kandidaten wie Jeb Bush gegenüber zeigen die Talker vor allem Skepsis. Laura Ingraham, Sean Hannity und Co. haben Donald Trump hingegen während der zahlreichen Kontroversen der vergangenen Wochen immer wieder verteidigt. Michael Savage bezeichnete den Unternehmer vor Kurzem sogar als "den Winston Churchill unserer Zeit".
Auch Rush Limbaugh hat sich immer wieder für Trump stark gemacht. Vielleicht keine Überraschung: Wie er hat "The Donald" gelernt, dass man mit möglichst einfachen und extremen politischen Ideen - eingepackt in derbe Sprache - die maximale Aufmerksamkeit auf sich zieht, und auch er verkauft sich trotz seines Erfolgs als Außenseiter abseits des "Lame Streams".