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"Mazedonien braucht Neuwahlen"

Adelheid Feilcke27. Mai 2016

Seit 40 Tagen protestieren Bürger in Mazedonien gegen eine Amnestie von Politikern. Der deutsche Diplomat Johannes Haindl spricht im DW-Interview darüber, wie er zwischen Regierung und Opposition vermittelt.

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Anti-Regierungsproteste in Skopje (Foto: Getty Images/AFP)
Mit Wasserpistolen gegen das Justizministerium: Anti-Regierungsproteste in SkopjeBild: Getty Images/AFP/R. Atanasovski

Deutsche Welle: Mazedonien befindet sich seit Wochen im Ausnahmezustand. Die Proteste ebben nicht ab, auch nicht, nachdem die für den 5. Juni geplanten vorgezogenen Neuwahlen verschoben worden sind. Auslöser der Proteste war eine Amnestie. Der Unmut der Bevölkerung zeigt aber einen tiefergehenden Vertrauensverlust. Was sind die Ursachen der Krise?

Johannes Haindl: Die Ursachen sind sicherlich vielfältig. Da kommt vieles zusammen. Aber entscheidend ist nun, einen Ausweg aus dieser Krise zu finden. Und eben genau deswegen verfolgen die EU und Deutschland die Entwicklungen mit so großer Sorge. Wir wollen dem Land aus dieser Krise helfen, aber den Weg muss es selbst gehen, und das bedeutet, dass alle politischen Akteure zusammenarbeiten und die Interessen ihres Landes in den Vordergrund stellen müssen.

Was sind die Konfliktfelder?

Es geht um die Umsetzung der zentralen Elemente des Przino-Abkommens für demokratische Neuwahlen. Hier gibt es leider Dissens zwischen den politischen Akteuren - trotz der Unterschrift, die sie unter dieses Abkommen gesetzt haben. Und was dieses Abkommen sagt, ist eindeutig: Diejenigen, gegen die im Zusammenhang mit dem Abhörskandal Vorwürfe erhoben werden, sollen strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden. Zu diesem Zweck haben die Parteien sich auf die Schaffung einer Sonderstaatsanwaltschaft verständigt. Sie soll ungehindert und mit voller Unterstützung der mazedonischen Institutionen ihrer Arbeit nachgehen können.

"Strafrechtliche Verfolgung ermöglichen"

Die im April von Präsident Gjorge Ivanov angeordnete Amnestie für Politiker untergräbt diese Bemühungen und ist nicht mit dem Przino-Abkommen vereinbar. Es muss deshalb dringend eine Lösung gefunden werden, die eine strafrechtliche Verfolgung ermöglicht. Es muss ferner faire und freie Neuwahlen nach internationalen Standards geben, und dazu müssen die entsprechenden Voraussetzungen geschaffen werden, indem zum Beispiel die Wählerlisten bereinigt und die Unabhängigkeit und Unparteilichkeit der Medien und der gleiche Zugang der politischen Kräfte zu den Medien gewährleistet werden.

Muss die Regierung zurücktreten oder soll es eine Technische Regierung als Zwischenlösung geben?

Das Przino-Abkommen hat auch hierauf eine Antwort gegeben. Der Geist des Przino-Abkommens muss auch in der heutigen Situation erhalten bleiben, und das bedeutet: Die Regierung muss so zusammengesetzt sein, dass sie die Voraussetzungen für die Abhaltung fairer und freier Wahlen schaffen sowie für die der vereinbarten Reformen entschlossen umsetzen kann.

Johannes Haindl zu Besuch in Skopje (Foto: AP)
Sonderbeauftragter Johannes Haindl zu Besuch in SkopjeBild: picture-alliance/AP Photo/B. Grdanoski

Mazedonien hat latent ein ethnisches Konfliktpotential. Viele Beobachter sehen hier die größte Gefahr, bis hin zum Auseinanderbrechen des Staates. Als langjähriger Kenner des Landes und der Region: Wie bewerten Sie die aktuelle Situation zwischen den Ethnien?

Man sollte die Dinge nicht vermengen und alles vermeiden, was inter-ethnische Konflikte schüren könnte. Auch in diesem Zusammenhang erscheint mir besonders wichtig, dass das Land rasch auf den Weg der euro-atlantischen Annäherung zurückfindet.

Sie verhandeln mit der Regierung und der Opposition - warum ist die Zivilgesellschaft nicht involviert?

Wir sind mit der Zivilgesellschaft natürlich in Kontakt. Aber: Diejenigen, die ihre Unterschrift unter das Przino-Abkommen gesetzt haben, tragen die Verantwortung für seine Umsetzung. Sie stehen in der Pflicht, ein zentrales Anliegen der Zivilgesellschaft voranzutreiben, nämlich dass auf der Grundlage des Przino-Abkommens freie und faire Wahlen stattfinden, in denen die Bevölkerung ihren Willen artikulieren kann.

Welches sind die Lösungsansätze für die oben genannten Konfliktfelder?

Der Lösungsansatz ist das Przino-Abkommen, das ganz klare Parameter setzt, auf die sich die Parteien vergangenen Sommer verpflichtet haben.

"Deutschland fühlt sich Mazedonien verbunden"

Deutschland - zuletzt Staatsminister Michael Roth - hat sich sehr besorgt über die Lage in Mazedonien geäußert. In Mazedonien gibt es Unzufriedenheit mit der zu ungenauen Position der EU in der Krise. Deutschland hat da klar Position bezogen. Warum?

Deutschland fühlt sich diesem Land in ganz besonderer Weise verbunden. Wir haben uns von Anfang an mit großem Nachdruck für seine Stabilität und seine euro-atlantische Zukunft Strukturen eingesetzt. Und genau deswegen verfolgen wir die aktuelle Entwicklung mit so großer Sorge: Weil hier die euro-atlantische Perspektive aufs Spiel gesetzt wird. Wir wollen helfen. Das ist der Grund, warum mich Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier zu seinem Sondergesandten ernannt hat.

Seit Wochen wird indirekt mit Sanktionen gedroht. Warum sind den Worten noch keine Taten gefolgt, obwohl sich die Regierung nicht zu bewegen scheint?

Ich würde Ihnen da gerne widersprechen. Es sind viele Taten gefolgt. Die Europäische Union, die USA, aber auch EU-Mitgliedsstaaten wie Deutschland bemühen sich mit aller Kraft darum, dem Land aus seiner Krise zu helfen. Und ich bin zuversichtlich, dass unsere mazedonischen Partner einen Weg finden werden, der das Land auf den euro-atlantischen Pfad zurückführt. Sollte dieser Pfad von einzelnen Politikern blockiert werden, hätte das natürlich ernste negative Folgen.

Wie sieht der Zeitkorridor aus? Staatsminister Roth sagt schon sinngemäß, die Geduld sei bald am Ende.

Der nächste Länderbericht, in dem die EU-Kommission die Fähigkeit des Landes bewertet, Beitrittsverhandlungen mit der EU zu beginnen, steht im Herbst an. Insofern ist die Zeit tatsächlich knapp. Aber sie ist lange genug, um die erforderlichen Fortschritte zu erzielen - unter der Voraussetzung, dass jetzt ohne weitere Verzögerungen mit den nötigen Reformen begonnen wird. Und wir stehen, wie gesagt, bereit, dabei zu helfen.

Der deutsche Diplomat Johannes Haindl ist Sondergesandter der Bundesregierung für Mazedonien und Botschafter der Bundesrepublik Deutschland in der Republik Österreich.

Das Interview führte Adelheid Feilcke.