Martin Suter: Allmen und die Libellen
4. Februar 2011Gestatten, Johann Friedrich von Allmen, mit Betonung auf dem 'von'. Freunde dürfen ihn John nennen; Fremden stellt er sich bescheiden mit 'Herr Allmen' vor. Dass er mit ursprünglichen Vornamen nur Hans Fritz hieß und nicht zum echten Adel gehört, muss ja keiner wissen. Immerhin entstammt Allmen einem vermögenden Elternhaus, studierte auf den besten Universitäten, beherrscht mehrere Sprachen fließend, verfügt über beste Manieren und hat einen ausgesucht feinsinnigen Geschmack. Dass er mit seinem Aussehen und Charme bei den Frauen scheinbar mühelos punktet, versteht sich von selbst.
Gebildeter Dandy mit Geldsorgen
Zu dumm nur, dass Allmen meistens pleite ist. Seitdem er fast das gesamte Erbe verprasst hat, lebt er im Gärtnerhaus seiner früheren Villa zur Untermiete. Eine Schmach! Also eine richtige Arbeit suchen? Nein, das wäre viel zu bürgerlich! Obwohl ihm die Gläubiger unbarmherzig im Nacken sitzen, hält er sich lieber mit dem Verkauf von Antiquitäten über Wasser. Nur sein treuer Butler Carlos und das Verteilen üppiger Trinkgelder nach vorübergehender Begleichung seiner Schulden sorgen dafür, dass der schöne Schein erhalten bleibt. Aber keine Frage, diese prekäre Lage ist eines gebildeten Dandys wie Allmen unwürdig, und so geraten dessen moralische Kategorien allmählich ins Wanken:
'Carlos, darf man etwas Unehrliches tun, wenn man in Not ist?'
'Cómo no, Don John.'
‘Cómo no' war Carlos' Art, ja zu sagen. Es bedeutete mehr als ja. Es bedeutete: sicher, selbstverständlich, unbedingt. Die Antwort kam rasch wie die meisten von Carlos Antworten. Es war, als besäße er einen großen Vorrat an fixfertigen, abrufbaren Antworten auf alle Fragen des Lebens.
Amateurermittler auf Valium
Dann die Chance auf Besserung: Nach einer wilden Nacht mit einer Millionärstochter lässt er kurzerhand eine wertvolle Jugendstilvase in Libellenform aus der Villa ihres Vaters mitgehen. Der erste von weiteren folgenschweren Fehltritten, bis ein Geschäftspartner Allmens ermordet wird und er selbst nur knapp einen Anschlag überlebt. Allmen beginnt auf eigene Faust zu recherchieren und wird mit Hilfe seines Butlers vom Täter zum Ermittler.
"Allmen und die Libellen" ist allerdings alles andere als einer jener Thriller, in denen es auf der nach oben offenen Mord- und Totschlag-Skala vor allem darum geht, möglichst böse, brutal und blutig zu sein. Suters Held ist eher ein Amateurermittler auf Valium. Kein Mann der Tat; kein cleverer oder muskelbepackter Superdetektiv, sondern ein sympathisch genussvoller Melancholiker. Jemand, der auf dem Kanapee liegend Honoré de Balzac liest oder nach einem - natürlich - exzellenten Glas Rotwein selbstvergessen Piano-Etüden von Erik Satie spielt. Jemand, der gerne regelmäßige Auszeiten vom Alltagsleben nimmt:
Am Nachmittag pflegte Allmen sich eine halbe Stunde hinzulegen. Diese kleine Siesta erfrischte ihn nicht nur, sie machte ihm auch jeden Tag das Privileg bewusst, Privatier zu sein. Zu schlafen, wenn der Rest des Landes einer nützlichen Tätigkeit nachging, verschaffte ihm auch nach all den Jahren ein Glücksgefühl, das er sonst nur vom Schulschwänzen her kannte. Er nannte es 'Lebenschwänzen'.
Ähnlich wie Allmen wirkt auch die Welt, in der er lebt, auf eigentümliche Weise wie aus der Zeit gefallen. Wir lesen über Villen, luxuriöse Antiquitätengeschäfte, erlesene Abendgesellschaften sowie über plüschige Kaffee- und Opernhäuser. Fast glaubt man, Seidenbrokat rascheln zu hören oder erwartet, dass die Romanfiguren in Pferdedroschken reisen. Umso überraschender ist es, wenn Allmens Handy klingelt.
Entschleunigtes Lesevergnügen
Was den Wert dieses etwas anderen Krimis ausmacht, ist denn weniger der Versuch, atemberaubende Spannung zu erzeugen, als vielmehr wohlig prickelnde Unterhaltung im besten Sinne zu garantieren. Ein prima Lesevergnügen, das nicht auf-, sondern anregt. Und es wird nicht bei diesem einen Fall des Gentleman-Detektivs bleiben, denn sein Schöpfer Martin Suter will seiner Krimi-Premiere eine ganze Reihe weiterer Allmen-Fälle folgen lassen.
Mit seinem Gespür für Themen, die die Menschen bewegen, hat der ehemalige Werbetexter Suter oft den Nerv der Zeit getroffen. Oder war gesellschaftlichen Entwicklungen sogar voraus, wie mit seinen Geschichten aus der Manager- und Finanzwelt. Angesichts der Geschwindigkeitsrauschs politischer und gesellschaftlicher Entwicklungen haben viele Menschen zunehmend das Bedürfnis, Atem zu holen. Mit seinem entschleunigten Helden Allmen bietet ihnen Suter nun den alternativen Gegenentwurf - zumindest literarisch.
Martin Suter
Allmen und die Libellen
Diogenes 2011
ISBN 9783257067774
EUR 18.90