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"IS will deutsche Muslime nach Syrien locken"

Nina Werkhäuser6. August 2015

Der "Islamische Staat" hat ein Propaganda-Video auf Deutsch veröffentlicht. Darin ruft der IS Muslime in Deutschland zum Mord an "Ungläubigen" auf. Die DW sprach mit dem Nahost-Experten Michael Lüders über das Video.

https://p.dw.com/p/1GB8z
Screenshot aus dem deutschsprachigen IS-Video
Bild: Propagandavideo Islamischer Staat

Deutsche Welle: Ist es das erste "IS"-Propaganda-Video dieser Art in deutscher Sprache?

Michael Lüders: Nein, es gab schon mehrere Propaganda-Videos in deutscher Sprache, unter anderem vom Rapper Denis Cuspert. Dass am Ende eine Hinrichtungsszene gezeigt wird, das hat es in einem deutschsprachigen Video so aber noch nicht gegeben. Insoweit ist es eine Steigerungsform.

Was wissen Sie über die beiden "IS"-Kämpfer, die in dem Video zu sehen sind?

Über die beiden Personen ist bislang wenig bekannt, die Hintergründe kennen wir noch nicht. Ich gehe aber davon aus, dass die Sicherheitsbehörden alles unternehmen werden, um ihre Identität zu klären.

Was sagen Sie zur Machart des Videos?

Die Machart ist, wie eigentlich alle Internet-Auftritte des "Islamischen Staates", professionell - in technischer Hinsicht und mit Blick auf eine Zielgruppe, die man in Europa zu gewinnen trachtet. Und natürlich beseelt von demselben Geist an Menschenverachtung, wie sie das Wirken des "Islamischen Staates" insgesamt in der Region durchzieht.

Kann man sagen, dass das Video offiziell von der IS-Führung kommt?

Das ist eine interessante Frage, die aber zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht beantwortet werden kann. Wir wissen nicht, ob eine bestimmte Gruppierung innerhalb des "Islamischen Staates" eigenmächtig gehandelt hat oder ob es eine Regieanweisung von ganz oben gab, dieses Video zu produzieren und ins Netz zu stellen.

In dem Video werden Muslime in Deutschland und Österreich aufgefordert, nach Syrien und in den Irak zu reisen und sich dem Dschihad anzuschließen. Der Dschihad wird als "Urlaub" und "Tourismus" bezeichnet. Wer soll damit angesprochen werden?

Das ist der Versuch, auf eine propagandistische Art und Weise den Kampf in Syrien und im Irak zu verklären als eine Art Betriebsausflug, eine Art gruppendynamisches Erlebnis. Man versucht, junge, seelisch nicht stabile, sich auf der Suche nach Identität befindende muslimische Jugendliche in Deutschland und Europa anzusprechen, um sie auf den Pfad zu locken in Richtung Syrien. Das ist Teil der Propaganda und des Rekrutierungsmechanismus des "Islamischen Staates".

Muslime in Deutschland und Österreich werden in dem Video aufgefordert, "Ungläubige" im deutschsprachigen Raum zu töten, mit dem Messer abzuschlachten. Wie bewerten Sie diese Aufforderung?

Die Aufforderung selbst ist nicht das Neue, sondern der Umstand, dass dies nun in deutscher Sprache geschieht. Das hat es in dieser Form so noch nicht geben. Man versucht offenbar, das Rekrutierungspotenzial gezielt auch im deutschsprachigen Raum anzusprechen. Das ist das Novum, aber nicht die Art der Propaganda an sich. Bemerkenswert ist dieses Insistieren auf das Köpfen von Gegnern, das sich mehr und mehr als eine Art "Markenzeichen" des "Islamischen Staates" herauskristallisiert.

Sieht der "IS" denn noch Rekrutierungspotenzial explizit in Deutschland?

Salopp formuliert könnte man sagen: Da ist noch Luft nach oben. Wenn wir uns vor Augen führen, dass etwa aus Frankreich oder Belgien Rekruten in deutlich vierstelliger Zahl in Richtung Syrien aufgebrochen sind, dass aus Zentralasien oder Tunesien etwa 5000 Kämpfer Richtung Islamischer Staat aufgebrochen sind, da sind die 700 Dschihadisten, die die Verfassungsschutzbehörden hierzulande ausgemacht haben, eine vergleichsweise kleine Zahl.

Michael Lüders (Foto: DW)

Das ist natürlich eine Frage der Interpretation. Man könnte sagen, wenn der "Islamische Staat" es nötig hat, jetzt schon in Deutschland um Rekruten zu werben, dann muss er aus einer Position der Schwäche heraus handeln. Es ist offenkundig, dass Deutschland nicht das ideale Rekrutierungsfeld für solche Dschihadisten ist. Andererseits könnte man auch sagen, sie schöpfen alle ihre Quellen aus, weil sie wissen: es gibt einen gewissen Bodensatz, den das anspricht.

In dem Video wird außerdem Bundekanzlerin Angela Merkel beschimpft und es wird ihr mit Rache gedroht, namentlich für die getöteten Muslime in Afghanistan. Wie ordnen Sie das ein?

Natürlich wissen auch diese Aktivisten, dass sie keine Chance habe, der Bundeskanzlerin zu schaden. Aber man macht, salopp formuliert, den "dicken Max", immer in der Hoffnung, naive, ungebildete, gutgläubige, desorientierte junge Muslime zu finden, die das gut finden - da zeigt endlich mal einer den Mächtigen wo es lang geht! Dieser psychologische Teil spielt eine wichtige Rolle. Man muss also die Botschaft insoweit ernst nehmen als sie eine sehr geschickte Propaganda darstellt. Aber man sollte sie nicht zum Nennwert nehmen in dem Sinne, dass nun das Leben der Bundeskanzlerin gefährdet wäre.

Diese Drohung mit Rache könnte man ja auch so verstehen, dass sie sich gegen die gesamte deutsche Regierung, gegen den deutschen Staat richtet. Ist das ernst zu nehmen?

Es ist wohl auch eine Reaktion darauf, dass die Bundesregierung die Peschmerga im Nordirak mit Waffen beliefert. Wahrscheinlich versteht sich diese Drohung auch als Hinweis: Wenn Ihr diesen Weg weiter beschreitet, werden wir entsprechend reagieren, indem wir beispielsweise unsererseits Kämpfer nach Deutschland schleusen, etwa im Flüchtlingstreck. Wir werden versuchen, Deutschland zu destabilisieren. Das ist unterschwellig der Kontext dieses Videos.

Der Islamwissenschaftler und Politologe Michael Lüders ist Publizist, Politik- und Wirtschaftsberater, Roman- und Sachbuchautor.

Das Interview führte Nina Werkhäuser.