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Politik

Kommentar: Trump entfesselt

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Miodrag Soric
12. Oktober 2016

Donald Trump wütet auf Twitter gegen führende Republikaner: Die haben sich nach dem Video mit sexistischen Äußerungen von ihrem Präsidentschaftskandidaten distanziert. Das wurde auch Zeit, meint Miodrag Soric.

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USA Republikaner Wahlkampf Donald Trump in Reno, Nevada
Bild: Reuters/M. Segar

Wir alle lagen daneben. Ein großes Missverständnis. Wahlkämpfer Donald Trump ist alles andere als ein vulgärer Choleriker oder gar ein Macho! Vielmehr hat er sich bislang zurückgehalten mit seinen Aussagen, er agierte sensibel - für seine Verhältnisse. Lange nahm der Wahlkämpfer Rücksicht auf das Parteiestablishment. Seitdem sie ihm die Gefolgschaft verweigert, will der Immobilienmilliardär die Samthandschuhe ausziehen, lässt er uns wissen. Jetzt erleben wir "Trump entfesselt".

Wer glaubte, der US-amerikanische Wahlkampf habe seinen moralischen Tiefpunkt erreicht, der irrt.

Trump fühlt sich verraten. Ein einmaliger Vorgang, dass die Parteiführung sich von ihrem Spitzenkandidaten abwendet. Völlig unberechtigt, aus Trumps Sicht. Schließlich habe er sich für sein "Männergequatsche in der Umkleidekabine" entschuldigt. Schwamm drüber! Doch nach der Veröffentlichung von Trumps sexistischen Äußerungen riss vielen Republikanern der Geduldsfaden. Der Präsidentschaftskandidat stürzt die Partei in eine tiefe Krise.

Das Establishment ist schuld

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Miodrag Soric, DW-Korrespondent in Washington

Daran kann aus der Sicht von Trump nicht Trump schuld sein. Er zeigt mit dem Finger auf das Establishment, welches von Anfang an gegen seine Kandidatur war. Wenn Trump über die fehlende Unterstützung klagt, hat das etwas Theatralisches an sich. Wie bei einer Reality Show. In Wirklichkeit versucht der Sprecher des Repräsentantenhauses Paul Ryan zu retten, was zu retten ist: die Ehre der Partei, möglichst viele Sitze im Kongress. Der Kampf ums Präsidentenamt scheint verloren.

Trump hat inzwischen nicht nur die Parteiführung gegen sich: Die Finanzhaie von Wall Street, Lobbyisten, die Schönen und die Reichen aus Hollywood - alle haben sich gegen ihn verschworen. Vor allem die Medien. Bei der jüngsten TV-Debatte mit zwei Moderatoren und Hillary Clinton druckste Trump - wie ein beleidigter Bub auf dem Schulhof - ins Mikro: "Drei gegen einen, das ist unfair."

Späte Medienschelte

Als ob Trump die Inkarnation der Fairness wäre! Dabei hat er die Debattenkultur seines Landes in nie gekannte Tiefen gezogen, sich regelmäßig Schlammschlachten mit dem Gegner geliefert. Damit sorgte er zu Beginn seiner Kandidatur für Schlagzeilen. Trump, der sich jetzt über die Medien beklagt, hat gerade ihnen seinen Aufstieg zu verdanken. Fast widerspruchslos ließen sie ihn schwadronieren vom Bau der Mauer an der Grenze zu Mexiko, vom Schließen der Grenzen für Muslime, vom Ende des Freihandels. Mit seinen Eskapaden sorgte er für hohe Zuschauerquoten. Bei den TV-Networks klingelten die Kassen. Lange schien an "Teflon-Trump" nichts Negatives kleben zu bleiben.

Endlich hat sich der Wind gedreht. Trumps Verhalten wird vor laufenden Fernsehkameras hinterfragt, seine Wortwahl getadelt, seine Steuermodelle und andere politische "Lösungen" als Luftnummern entlarvt.

Warum hat die republikanische Parteiführung, warum haben die Medien so lange gebraucht?

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