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Politik

Nur eine Verschnaufpause

Porträt eines Mannes, der eine Brille trägt
Bartosz Dudek
19. Dezember 2018

Auf den ersten Blick hat die EU-Kommission vor dem Europäischen Gerichtshof einen Sieg über die nationalkonservative Regierung Polens errungen. Doch deren Nachgeben ist taktisch motiviert, meint Bartosz Dudek.

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Polen | Proteste gegen Zwangsruhestand für Richter
"Wir haben (noch) Recht" heißt es auf dem Transparent von Demonstranten vor dem Obersten Gericht in WarschauBild: Reuters/Agencja Gazeta/S. Kaminski

Der Europäische Gerichtshof hat seine Eilentscheidung vom Oktober bestätigt: Die Zwangspensionierung der Richter des obersten Gerichtshofs Polens ist nicht rechtens. Zeitgleich hat der polnische Präsident eine entsprechende Neufassung des vom Gericht in Luxemburg kritisierten Gesetzes unterschrieben. Polen gibt nach. Vorerst.

Die Entscheidung der Luxemburger Richter ist zwar immer noch kein endgültiges Urteil, aber ein Etappensieg für die Europäische Kommission. Denn die seit 2015 in Polen mit absoluter Mehrheit regierende national-konservative Partei PiS und Staatspräsident Andrzej Duda (ebenfalls von der PiS) mussten ein Teil ihrer Justizreform aussetzen. Es geht darum, das Renteneintrittsalter der Obersten Richter des Landes von 70 auf 65 Jahren abzusenken. Die Europäische Kommission sieht darin den Versuch, unliebsame Richter, darunter Malgorzata Gersdorf, die Präsidentin des Obersten Gerichtshofes, loszuwerden. Nach Lesart des Staatspräsidenten geht es allein um eine "Verjüngung" der Richterschaft und die Säuberung des Obersten Gerichtes von alten kommunistischen Kadern.

Ungeheure Machtkonzentration

Die Opposition befürchtet dagegen einen anderen Plan. Denn nach der polnischen Verfassung obliegt es ausgerechnet dem Obersten Gericht die Wahlergebnisse zu bestätigen. Würde die PiS tatsächlich die bisherigen Richter gegen treue Parteisoldaten auswechseln, würde das eine ungeheure Machtkonzentration bedeuten. Denn neben der absoluten Mehrheit in beiden Kammern des Parlamentes stellt die PiS bereits sowohl den Staatspräsidenten als auch den Generalstaatsanwalt - der in Personalunion zugleich Justizminister ist.

Dudek Bartosz Kommentarbild App
Bartosz Dudek leitet die Polnische Redaktion

Nachdem bereits das Verfassungsgericht und die öffentlich-rechtlichen Medien mit PiS-Leuten besetzt sind, bleibt der Oberste Gerichtshof die letzte wirklich unabhängige Institution des Landes. Deswegen sieht die EU-Kommission in der Zwangspensionierung der obersten Richter zu Recht eine Gefahr für Rechtsstaat und Gewaltenteilung. Denn noch dazu ist die PiS eine Partei, in der nur ein einziger Mann das letzte Wort hat: Es ist der Parteigründer und Vorsitzende Jaroslaw Kaczynski, der formal nur ein einfacher Abgeordneter ist. Solch eine Machtkonzentration in einer Hand ist in der demokratischen Welt selten. Und sie ist auch gefährlich.

Dass Warschau im Streit mit Brüssel nun nachgibt, ist dabei nur ein Teil einer Wahlkampfstrategie. Denn 2019 ist in Polen ein Doppelwahljahr: Im Frühling findet die Europawahl, im Herbst die Parlamentswahl statt. Nachdem sie den Staat radikal nach ihren Vorstellungen umgebaut, ihn sich geradezu angeeignet hat, wirbt die PiS jetzt mit gemäßigten und europafreundlichen Tönen um die Mitte der Gesellschaft. Man muss sich glatt die Augen reiben: Ausgerechnet "Polen, das Herz Europas" lautete das Motto des jüngsten Parteitages der PiS. 

Die PiS als europafreundliche Partei

Diese Taktik ist nichts Neues. Schon 2015 präsentierte sich die PiS als gemäßigte, volksnahe Partei der Mitte. Das ging so weit, dass die radikaleren Politiker, darunter Jaroslaw Kaczynski, damals "versteckt" wurden. Auch jetzt fürchtet die PiS offenbar, dass der Konflikt mit Brüssel und der Vorwurf der Opposition, die Regierung strebe einen "Polexit" an, das Wahlergebnis negativ beeinflussen könnten. Denn Polen ist das Land, das von den EU-Geldern am meisten profitiert. Und deswegen kann es auch niemanden überraschen, dass die Sympathie für die EU im Volk nach wie vor sehr hoch ist. 

Dass die Zwangspensionierung der Obersten Richter vorerst ausgesetzt ist, darf also nicht darüber wegtäuschen: Wenn die PiS noch einmal die Wahlen gewinnt, wird der radikale Umbau des Staats fortgesetzt. Vorerst gibt es nur eine kleine Verschnaufpause.

Porträt eines Mannes, der eine Brille trägt
Bartosz Dudek Redakteur und Autor der DW Programs for Europe