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Flüchtlinge: Not macht erfinderisch

Marcel Fürstenau, Berlin30. September 2015

Schnellere Integration, schnellere Abschiebung, mehr "sichere" Herkunftsländer, weniger Geld für Asylbewerber, mehr Geld für ihre Unterbringung. Marcel Fürstenau findet das geplante Gesetz richtig und falsch zugleich.

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Bundesregierung beschließt verschärftes Asyl-Gesetz, Foto: picture alliance
Bild: picture-alliance/F. May

Niemand verlässt ohne Not seine Heimat, wenn es ihm einigermaßen gut geht. Millionen Flüchtlingen in aller Welt geht es aber so schlecht, dass sie woanders Schutz suchen. Die allermeisten sind bedroht oder müssen sogar um ihr Leben bangen. Viele von ihnen wollen nach Deutschland. Weil es hier eine florierende Wirtschaft gibt. Weil es hier trotz brennender Flüchtlingsheime eine beeindruckende Unterstützung für die Neuankömmlinge gibt. Weil die Hilfsbedürftigen hier Freunde und Verwandte haben. Es gibt also viele Gründe und Anreize, nach Deutschland zu kommen.

Die Bundeskanzlerin, meinen ihre Kritiker, hat einen falschen Anreiz gegeben, als sie vorübergehend die Grenzen für alle öffnete. Ein gewagter Vorwurf, denn niemand weiß, wie sich die Lage ohne diese Entscheidung entwickelt hätte. In den Augen sehr vieler Flüchtlinge ist Angela Merkel eine Heilige, weil sie human und großzügig gehandelt hat. Dieser Eindruck wird zumindest bei Menschen aus Ländern wie Syrien, Irak oder Afghanistan bleiben - zu Recht.

Bundeswehrsoldaten dienen in sicheren Herkunftsländern

Asylbewerber aus Albanien, Kosovo und Montenegro werden - ebenfalls zu Recht - künftig anders über die deutsche Regierungschefin urteilen. Weil sie laut kurzfristig geänderter Klassifizierung aus angeblich sicheren Herkunftsländern stammen sollen. Dazu hat sie die Koalition aus Konservativen und Sozialdemokraten erklärt. Sie tat das nicht aus Überzeugung, sondern auf Druck politischer Hardliner und der Stammtische. Aber natürlich ist die Situation auf dem Balkan nach wie vor extrem angespannt - ethnisch und ökonomisch. Auch Bundeswehrsoldaten sorgen dort weiterhin so gut es geht für Ruhe und Ordnung zwischen den verfeindeten Bevölkerungsgruppen.

DW-Hauptstadtkorrespondent Marcel Fürstenau, Foto: DW
DW-Hauptstadtkorrespondent Marcel FürstenauBild: DW/S. Eichberg

Wenn die deutsche Regierung meint, von "Fehlanreizen" sprechen zu müssen, zielt sie auf Asylbewerber, die zwar aus Europa, aber nicht aus der Europäischen Union stammen. Die haben in der Tat kaum eine "Bleibeperspektive", wie es im Kabinettsbeschluss zur Flüchtlingspolitik heißt. Ihre Anerkennungsquote tendiert seit Jahren fast gegen Null. Vor diesem Hintergrund ist der vorgelegte Gesetzentwurf rechtlich betrachtet an dieser Stelle in Ordnung. Trotzdem erscheinen die geplanten Änderungen wie eine verängstigte Antwort auf eigene Versäumnisse. Denn auf einmal werden seit Jahren bekannte Defizite in der Anwendung und Umsetzung des Asylrechts angepackt - Stichwort schnellere Bearbeitung von Anträgen und schnellere Abschiebung im Ablehnungsfall.

Seehofer und Orbán können sich die Hände reiben

Das Fatale: Populisten werden sich bestärkt fühlen. Ihre Helden heißen Horst Seehofer und Viktor Orbán. Der bayrische Ministerpräsident verbrüderte sich vor wenigen Tagen bei seinem demonstrativen Empfang für den Rechtsausleger, der Regierungschef im EU-Land Ungarn ist. Das Duo machte damit gezielt Stimmung gegen Flüchtlinge und gegen Merkel. Ein bemerkenswerter Vorgang innerhalb der deutschen Koalition und der europäischen Staatengemeinschaft. Wer sich das gefallen lässt, muss sich den Vorwurf gefallen lassen, das Asylrecht auch aus Furcht vor Wahrerfolgen rechtsradikaler Parteien zu verschärfen. Selbstbewusste Demokraten handeln anders.

Das vom Bundestag noch zu verabschiedende Asylrecht steht trotz manch guter Ansätze also unter keinem guten Stern. Das liegt an den Begleitumständen und am Timing. Um es an einem Beispiel festzumachen: Es ist ja keinesfalls weltfremd und ist nicht automatisch entwürdigend, Flüchtlingen statt Taschengeld zunächst Sachleistungen zu gewähren. Aber warum kommen die Befürworter erst jetzt auf diese Idee? An den Finanzen kann es nicht liegen, denn auch Sachleistungen kosten Geld. Abgesehen davon könnte der bürokratische Aufwand am Ende sogar zu höheren Kosten führen.

Es bleibt dabei: Für Asylanträge gibt es keine Obergrenze

Man kann es drehen und wenden, wie man will: Die Verschärfung des Asylrechts steht in einem unmittelbaren Zusammenhang mit den steigenden Flüchtlingszahlen. Das Motiv ist klar: Der Zustrom nach Deutschland soll zumindest gedrosselt werden. Not, in diesem Fall auf Seiten des aufnehmenden Landes, macht eben auch erfinderisch. So wie die Flüchtlinge immer neue Wege und zuweilen auch Motive finden, in Deutschland Asyl zu beantragen. Und dafür gibt es keine Obergrenze, sagte Bundeskanzlerin Merkel - zu Recht.

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