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Merkels Verantwortung, Merkels Herausforderung

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Jens Thurau
16. August 2016

Noch ein Jahr bis zur Bundestagswahl: Wahrscheinlich sind es die vielen außenpolitischen Krisen, die darüber entscheiden, ob die Kanzlerin noch einmal Lust auf weitere vier Jahre hat, meint Jens Thurau.

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Angela Merkel (Foto: picture-alliance/dpa/W.Kumm)
Bild: picture-alliance/dpa/W.Kumm

Es gibt eine Faustformel für den Verlauf langer Kanzlerschaften in Deutschland: Der Start ist innenpolitisch, dann wird der Regierungschef irgendwann Staatsmann (in diesem Fall: -frau) und tummelt sich außenpolitisch. Das ist auch bei Angela Merkel so. Aber kaum ein deutscher Regierungschef hatte und hat es mit so vielen Brandherden zu tun wie sie. Und mit so viel tatsächlicher deutscher Verantwortung.

Denn das war doch lange die bequeme Lage der Deutschen: Fest eingebunden ins westliche Bündnis, militärisch unbedeutend, wirtschaftlich hoch potent. Wenn es Anforderungen gab an die deutsche Regierungszentrale, wurde in der Regel gezahlt.

Russland und die Ukraine: Das Schlimmste verhindern helfen

Doch damit ist es vorbei: Beispiel Russland und Ukraine. Als politisch und wirtschaftlich mächtigstes Land in Europa vermittelt Deutschland (mit Frankreich), so gut es geht. Minsk Eins und Zwei blieben bislang ohne durchschlagenden Erfolg, wobei offen bleibt, wie die Lage wäre, wenn Merkel zusammen mit Präsident Francois Hollande nicht aktiv geworden wäre.

Es gibt Nuancen in der Regierungspolitik. Wahrscheinlich wäre die SPD mit ihrem Außenminister Frank-Walter Steinmeier bereit, dem russischen Präsidenten Wladimir Putin eher entgegenzukommen, als die Kanzlerin. Aber im Grunde versucht die Regierung schlicht, mit den Mitteln der Diplomatie das Schlimmste zu verhindern. Aber weil sie jetzt nicht mehr am Rande steht, werden ihr auch der Stillstand und die fehlende Lösung angelastet: Immer wieder Treffen der Außenminister in Berlins Villa Borsig, ohne wirkliche Fortschritte.

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Merkels Hauptaugenmerk: Die EU

Beispiel EU: Merkel hat Polen gegen sich, auch Ungarn. Sie musste den Brexit miterleben, vorher die offene Anfeindung in Griechenland in der Euro-Krise. Ob ihre Politik der strikten Haushaltsdisziplin und der harten Reformen richtig oder falsch war, sei dahingestellt, aber hier lag auch ein Grund für die europäische Entfremdung.

Und durch Merkels vor allem anfänglich offene Haltung in der Flüchtlingsfrage ist die Lage nun eskaliert. Rechtspopulisten sind an vielen Orten auf dem Vormarsch. Mit der EU ist eine einheitliche, nach Quoten geteilte, geordnete Aufnahme von Flüchtlingen derzeit nicht zu machen. Das Resultat ist ein Deal mit einem Land wie der Türkei, dessen innenpolitische Entwicklung der nächste ganz große mögliche Sprengsatz auch für Merkel ist.

Da ist eigentlich zu viel auf einmal. Aber Angela Merkel wirkt nicht so, als ob sie die Nerven verliert. Im Gegenteil. Bei diversen Gelegenheiten hat sie klar gemacht: Die Flüchtlingskrise und deren Bewältigung sind für sie eine entscheidende Probe für die EU. Sinngemäß lautet ihre Formel: Was kann man mit einer EU mit 500 Millionen Einwohnern anfangen, die es nicht schafft, den Zustrom von Menschen (und seien es einige Millionen) aus Kriegsgebieten human zu organisieren?

Verabschiedet sich die EU als ernstzunehmender Player, weil sie in dieser Frage scheitert, dann verliert auch Deutschland dramatisch an Einfluss. Und deshalb ist es gut möglich, dass es diese Sackgasse ist, in der sich die Europäische Union derzeit befindet, die Angela Merkel motivieren könnte, noch einmal vier Jahre weiterzumachen. Jetzt abzutreten und die Scherben anderen zu überlassen, passt nicht so gut ihr.

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