Merkel nimmt sich Zeit
Bei der letzten Bundestagswahl 2013 war es ganz anders. Angela Merkel erklärte schon zwei Sommer zuvor, dass sie nicht gedenke, das Kanzleramt zu verlassen. Nun ist in Deutschland die Sommerpause schon fast vorbei. Und die Deutschen wissen noch immer nicht, ob Merkel im kommenden Sommer den Wahlkampf bestreiten wird. Merkel macht es dieses Mal also spannend. Sie kann aber auch nicht anders. Denn 2011 war die Welt im neo-biedermeierlichen Deutschland noch in Ordnung. Die damaligen Krisen waren weit weg - nämlich in anderen EU-Staaten. Merkels Beliebtheit war groß. Im Wahlkampf ging es einzig und allein um ihre Person.
Die Flüchtlingskrise vor einem Jahr hat alles verändert. Die Stimmung in der Bevölkerung ist gespalten, die Hälfte findet die Kanzlerin weiterhin gut. Die andere Hälfte ist kritisch bis feindlich ihr gegenüber eingestellt. Viele an der Basis in der eigenen Partei, der CDU, sind verstimmt oder gleich zur AfD übergelaufen. Super-Star Merkel? Das war einmal.
Partner CSU noch unsicher
Deshalb ist Merkel dieses Mal auch besonders auf ihre Schwesterpartei, die bayerische CSU angewiesen. Doch diese hat Merkel mit ihrer Füchtlingspolitik derart verärgert, dass einige aus der CSU-Führung mit einem eigenen Kandidaten drohen. Andere haben öffentlich geäußert, sie zumindest nicht unterstützen zu wollen. CSU-Chef Seehofer jedenfalls wartet derzeit noch ab und verweigert Merkel sein Ja-Wort. Denn er weiß noch nicht, ob er beim Rennen um das Kanzleramt auf das Pferd Merkel setzen soll oder nicht. Die politische Großwetterlage ist momentan einfach zu unsicher.
Unausgesprochen steht zum Beispiel die Frage im Raum: Bleibt die Terrorlage so ruhig wie bislang oder kommt es zu Anschlägen in Deutschland - womöglich durch einen ins Land gelassenen Flüchtling? Die Stimmung nach den Anschlägen im Juli hat gezeigt, wie stark die Umfragewerte für Merkel und die CDU dann noch weiter in den Keller rauschen können. Die CSU stünde vor der Gefahr, mit in die Tiefe gezogen zu werden. Dagegen helfen würde dann nur eine klare Abgrenzung zu Merkel.
In Kürze - im September - stehen zudem zwei Landtagswahlen an. Die Demoskopen meinen, es sei schwer zu sagen, wie stark CDU und AfD abschneiden werden. Gerade in Merkels Heimatland Mecklenburg-Vorpommern könnte die AfD sogar zur stärksten Partei werden. Es wäre ein Desaster für die CDU und Merkel.
Unsicher ist auch, wie sich die Flüchtlingszahlen weiterentwickeln. Neueste Prognosen gehen von "nur" 300.000 Flüchtlingen in 2016 aus. Also weitaus weniger als die eine Million Menschen im vergangenen Jahr, die nach Deutschland kamen. Doch sollte das Abkommen zwischen der EU und der Türkei doch noch löchrig werden, könnte der Migrationsdruck auch wieder steigen. Dann würde Merkels "Wir schaffen das" für noch mehr Unmut sorgen.
Deadline Parteitag im Dezember
Verlaufen aus Sicht von CDU/CSU die kommenden Wochen und Monate aber ruhig, dann steht einer neuen Kandidatur von Merkel eigentlich wenig im Weg. Einen Nachfolger, der sich schon warmläuft, gibt es nicht. In vielen Europa-Fragen von der Ukraine-Krise bis zum Brexit ist Merkel inzwischen ein Fixpunkt. Sie selber sieht das wohl auch so und zeigt bisher kaum Ermüdungserscheinungen.
Im Zeitplan gibt es allerdings einen Termin, den Merkel fest im Blick hat. Im Dezember kommt die CDU zu ihrem jährlichen Parteitag zusammen. Sie wolle zwei weitere Jahre Parteivorsitzende bleiben, heißt es schon vorab aus Berlin. In diesem Zusammenhang müsste sie die Frage ihrer Kanzlerdiktatur eigentlich beantworten.
Sollte Merkel auch nach der Bundestagswahl 2017 im Kanzleramt verbleiben, könnte sie in ihrer Kanzlerschaft an den "ewigen" Kanzler Helmut Kohl aufschließen, der Deutschland von 1982 bis 1998 ganze 16 Jahre regiert hat.