Die Argumentation der Europäischen Kommission klingt einleuchtend: "Entweder exportieren wir Stabilität oder wir importieren Instabilität", fasst EU-Erweiterungskommissar Johannes Hahn regelmäßig den Antrieb der EU zusammen, den sechs Ländern des westlichen Balkan eine klare Beitrittsperspektive zu geben. Sie soll Anreiz für demokratische und wirtschaftliche Reformen sowie für die Lösung von zwischen- und innerstaatlichen Konflikten bieten. Was die Kommission nicht sagt, wiegt mindestens ebenso schwer: Die EU will dem wachsenden Einfluss Russlands und Chinas in der Region begegnen. Beide locken mit Geld und Investitionen, und im Gegensatz zur EU stellen sie keine unangenehmen Fragen nach dem Zustand des Rechtsstaates.
Die Erweiterungsmüdigkeit ist unübersehbar
Doch gegen eine Vollmitgliedschaft in absehbarer Zeit spricht nicht nur, dass die sechs Staaten die geforderten "Hausaufgaben" noch lange nicht gemacht haben, sondern auch grundsätzliche Erwägungen - ganz unabhängig vom Reformtempo auf dem Balkan.
Die EU ist im Moment viel zu sehr mit sich selbst beschäftigt, um Kraft für eine neue Erweiterungsrunde zu haben. Allein das Reden über ein Datum - die Kommission hat bei Serbien und Montenegro von 2025 gesprochen - löst in vielen Hauptstädten helle Panik aus. Und das aus gutem Grund.
Bei den jüngsten Beitrittsrunden haben letztlich politische Entscheidungen die Bedenken über mangelhafte Beitrittsfähigkeit beiseite gewischt. Von Rumänien und Bulgarien zum Beispiel würde man heute wohl mehr verlangen, bevor sie aufgenommen würden. Doch wer einmal Clubmitglied ist, gegen den hat man kaum noch einen Hebel in der Hand. Er profitiert von allen Vorzügen der EU und kann mitbestimmen - selbst wenn das Verhalten zu wünschen übrig lässt. An den Regierungen in Polen und Ungarn kann man sehen, wie schwierig es für Brüssel ist, Mitgliedsstaaten zu Wohlverhalten zu zwingen.
Der Nationalismus auf dem Balkan ist vielleicht sein größtes Problem. Die Kommission hofft, dass er sich bei einem EU-Beitritt der Länder bändigen ließe. Wahrscheinlicher aber ist, dass er dann nur IN statt außerhalb der EU wäre. Mit dem Ergebnis, dass sich die Union dann noch mehr selbst blockieren würde als ohnehin schon.
Es geht auch anders
Nicht zu vergessen ist das enorme wirtschaftliche Gefälle: Alle sechs Staaten liegen ökonomisch weit unter EU-Durchschnitt und wären damit auf Dauer Nettoempfänger. Für die Nettozahler wird die EU-Mitgliedschaft immer unattraktiver, je mehr Empfänger dabei sind. Das solidarische Prinzip ist ja grundsätzlich in Ordnung. Aber das Ungleichgewicht darf nicht zu groß werden. Außerdem würde die mit einer Vollmitgliedschaft verbundene Personenfreizügigkeit vermutlich zu weiteren Wanderungsbewegungen vom Balkan in wohlhabendere EU-Länder mit ihrem gut ausgebauten Sozialsystemen führen. Das ist verständlich aus Sicht der Menschen, aber würde die Fremdenfeindlichkeit im Norden noch weiter anheizen.
Was folgt aus alledem? Die EU darf den Westbalkan weder sich selbst noch dem Einfluss Russlands und Chinas überlassen. Das Ziel muss eine starke Anbindung bleiben. Allerdings nicht die Vollmitgliedschaft, sondern eine Partnerschaft unterhalb dieser Schwelle, ähnlich etwa wie zu den EFTA-Staaten. Das würde eine enge wirtschaftliche Kooperation und auch vielfältige Unterstützung bedeuten, aber eben keine Mitbestimmung in EU-Belangen.
Vermutlich denken viele EU-Regierungschefs so, sagen es aber bisher nicht. Stattdessen war auch beim Gipfel zwischen der EU und den Westbalkanstaaten in Sofia wieder die alte Leier zu hören, die Länder würden ja bestimmt in einigen Jahren dazugehören, aber jetzt sei es noch zu früh. Ehrlicher wäre, beiden Seiten eine realistische Perspektive mit konkreten Zeithorizonten aufzuzeigen.
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