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Politik

Der Post-Brexit versackt im Sommerloch

Barbara Wesel Kommentarbild App *PROVISORISCH*
Barbara Wesel
3. August 2020

Die Verhandlungen zwischen EU und Großbritannien über ihre künftigen Beziehungen sind festgefahren. Die Zeit läuft und bei den Europäern ist das Interesse an einer Einigung geschwunden, meint Barbara Wesel.

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Belgien Brüssel | Brexit | Handelsabkommen
EU-Chefunterhändler Michel Barnier (r) und der britische Europa-Berater David Frost (l) (Archivfoto)Bild: Reuters/O. Hoslet

"Die Zeit für eine Einigung läuft ab", mahnte EU-Chefunterhändler Michel Barnier nach der jüngsten Verhandlungsrunde in London. Wie oft haben wir das schon gehört? Ein lähmendes Gefühl von Déjà-vu steigt auf. Was im hitzigen Streit über den Brexit-Vertrag im vorigen Jahr noch für politische Aufregung sorgte, ruft jetzt nur ein müdes Achselzucken hervor. Die Briten sind raus aus der EU, und das wirtschaftliche Verhältnis danach interessiert nur noch Experten, so scheint es.

Boris Johnson pokert weiter

Die EU wirft der britischen Regierung vor, sie engagiere sich nicht ernsthaft für Fortschritt bei den Verhandlungen und sei nicht bereit zu den nötigen Kompromissen. Die Briten ihrerseits werfen den anderen Europäern Prinzipienreiterei und einen Mangel an Flexibilität vor. Das lässt Brüssel allerdings ziemlich ungerührt. Man kennt inzwischen Boris Johnson und erwartet, dass er wieder zockt bis kurz vor Schluss und dann einmal mehr unter großem Getöse nachgibt.

Der britische Premier wiederum nährt zu Hause weiter die Hoffnung, er könne die EU durch Sturheit erpressen und im Oktober in letzter Minute einlenken. Dabei spielt eine Rolle, dass noch nicht klar ist, welche Brexit-Fraktion in seiner Regierung und Partei am Ende die Oberhand gewinnt. Setzen sich die Gemäßigten durch, die einen praktikablen Handelsvertrag und ein freundschaftliches Verhältnis wollen? Oder siegen die Hardliner, die "Souveränität" auf ihre Fahnen schreiben und bereit sind, für diesen hehren Grundsatz in den selbst gebauten Schützengräben unterzugehen?

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Barbara Wesel ist Europa-Korrespondentin in Brüssel

Inzwischen sind die britischen Wünsche an das Abkommen auf ein Minimalmaß zusammengeschrumpft. Zur Diskussion steht nur noch ein Handelsvertrag der simpelsten, banalsten Sorte. Weiterreichende Forderungen für Sonderrechte haben die Briten zurückgeschraubt. Was bleibt, ist kaum mehr als der zoll- und quotenfreie Austausch von Gütern und ein halbwegs reibungsloser LKW-Verkehr.

Nicht einmal ein "Schrottvertrag"

Nicht einmal einem solchen "Schrottvertrag", wie ihn britische Kritiker nennen, ist man bisher allerdings nahegekommen. Die Europäer wollen mehr Sicherheiten gegenüber Großbritannien als beim Handelsvertrag mit Kanada. Sie fürchten Dumping und unfairen Wettbewerb, wenn sie ihren riesigen Binnenmarkt für britische Exporte öffnen - sie wollen faire Spielregeln für die Wirtschaft auf beiden Seiten.

Die EU will sich nicht bei Umwelt-, Arbeits- und Sozialstandards unterbieten lassen. Und sie will ihr weitgehendes Verbot von staatlichen Subventionen durchsetzen, was die Regierung in London bisher vehement ablehnt. Für die Briten nämlich liegt hier der eigentliche Grund für den Brexit - die totale Freiheit, wirtschaftlich und politisch zu machen, was sie wollen. Die Idee der totalen Souveränität aber verträgt sich nicht mit einem Handelsvertrag, der auf Kooperation basiert. Die britische Regierung wird sich entscheiden müssen, wohin sie will: einsam und frei sein oder ein gutes Verhältnis zu den großen Nachbarn pflegen.

Brexit? Die Corona-Pandemie hat vieles relativiert

Die EU hat der britischen Seite in den vergangenen Wochen Angebote gemacht, wie sich die unüberwindlich scheinenden Differenzen lösen ließen, etwa bei der rechtlichen Aufsicht und der Rolle des Europäischen Gerichtshofs. Jetzt wartet Brüssel auf Bewegung in London.

Dabei ist der politische Druck bei den Europäern gering. Man hat sich mit dem Brexit abgefunden. Wenn sich das neue Verhältnis gut regeln ließe, wäre das ein Plus. Wenn das nicht zustande kommt, ginge die Welt nicht unter.

Die Corona-Krise und der gemeinsame ökonomische Wiederaufbauplan haben in der EU die Verwerfungen durch den Brexit relativiert. Viele Mitgliedsstaaten sind begeistert, dass man sich auf Corona-Hilfen einigen und dabei näher zusammenrücken konnte. Der Abgang der Briten und die künftige Zusammenarbeit erscheint inzwischen eher als Fußnote.

Niemand ist mehr bereit, in ein Post-Brexit-Abkommen noch nennenswert politisches Kapital zu investieren. Das gilt besonders für Frankreich. Präsident Emmanuel Macron kann sich ein ungünstiges Abkommen etwa bei der Fischerei nicht leisten. "Kein Vertrag um jeden Preis", tönte schon sein neuer Europaminister.

Ein geopolitisches Armutszeugnis

Und das gilt auch für Bundeskanzlerin Angela Merkel, die als Ratspräsidentin in diesem Halbjahr noch etwas für den Erfolg eines Abkommens tun könnte. Aber auch sie hat oft betont, dass der europäische Binnenmarkt ihr wichtiger ist als Wohl und Wünsche der Briten. Wenn sich London wieder einmal Rettung durch die Bundeskanzlerin erhofft, kann das - wie schon in der Vergangenheit - die falsche Karte sein.

Dabei wäre es in dieser chaotischen und polarisierten Welt wichtig und notwendig, dass sich Europa mit den britischen Nachbarn in allen Bereichen von Wirtschaft und Politik auf eine gedeihliche Zusammenarbeit einigt. Geht das schief, wäre es ein Armutszeugnis für beide Seiten und ein geopolitisches Versagen. Dennoch wird die EU sich nicht krumm legen, um den Briten entgegen zu kommen. Es könnte sein, dass Boris Johnson erneut zu hoch pokert und sein Gewicht überschätzt. Niemand wird mehr darunter leiden als der britische Premier und seine Bürger. Er sollte vielleicht in den Sommerferien über die Kunst des Kompromisses nachdenken.

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