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Auch wir können bunt

Daniel Heinrich Kommentarbild App PROVISORISCH
Daniel Heinrich
19. September 2015

Deutschland kann alles. Auch Flüchtlingskrise. Einmal in Gang gebracht haben wir das Zeug zu Stimmungskanonen und Integrationsweltmeistern. Dafür fehlt nur noch eines: der Startschuss, meint Daniel Heinrich.

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Deutschland Flüchtlinge am Münchener Hauptbahnhof unter Werbung für Oktoberfest
Bild: picture-alliance/dpa/N. Armer

Der Willkommensgruß prangt riesig über der Eingangshalle des Münchner Hauptbahnhofes. Blau-weiß bajuwarische Vorfreude auf das größte Volksfest der Welt. Die Vorbereitungen laufen seit Monaten. 35 Zelte mit knapp 800.000 Sitzplätzen. In Deutschland wird alles organisiert. Auch der Spaß.

Der Organisationsgrad hierzulande ist so groß, dass sogar der größte Feind der Organisation, die Spontanität, organisiert wirkt. Innerhalb weniger Tage hat sich - ebenfalls am Münchner Hauptbahnhof - aus einem "spontanen" Hilfstrupp für Flüchtlinge ein hocheffizientes "Willkommens-Team" gebildet. Jeder neu Ankommende bekam zu essen, Wasser, eine Isomatte mit Schlafsack und für die Kleinen einen Teddy. Luftballons gab's auch.

Der Zug muss einfach nur aufs Gleis

Auch und gerade wegen dieser vollkommenen Organisations-Versessenheit ist es so wichtig, dass die Politik, dass "die da oben" jetzt schleunigst aufwachen und die dauerhafte Integration der Flüchtlinge in die Hand nehmen. Denn eines lieben die Deutschen mindestens genauso wie die Organisation: Eine von oben vorgegebene Organisation.

Der Anlass ist fast schon egal - ob Notversorgung oder Oktoberfest, Katastrophe oder Spaß. Einmal aufs Gleis gesetzt, rollt der Zug, rollt die "deutsche Maschine". Das Problem ist: Das Problem muss erst einmal richtig in die Köpfe, muss realisiert, muss verstanden werden. Erst dann passiert etwas.

Lernen aus Fehlern

Denn was passiert, wenn nichts passiert, das zeigt sich bis heute in trauriger Häufigkeit immer noch quer durch die Republik: Wunderbar geschwungen prangt sie auf Kühlerhauben, oder Stoßstangen tiefer gelegter Luxuskarossen mit deutschen Kennzeichen - die Signatur des Gründers der türkischen Republik. Als Aufkleber. Auf Amazon ist das Ding ein Verkaufsschlager und hierzulande bei Weitem nicht die einzige Reminiszenz an Mustafa Kemal Atatürk. Eine massenhafte Huldigung des Staatsgründers eines fremden Landes durch deutsche Bürger.

Was für eine Skurrilität! Und dennoch ist diese Haltung gegenüber "Heymat" und "Almanya" verständlich. Denn im Umgang mit den Gastarbeitern hat die deutsche Politik dermaßen viel falsch gemacht, dass es für die jetzige Krise Warnung genug sein sollte. Die Gefahr ist groß, dass, wenn die Flüchtlinge genauso links liegen gelassen werden wie die Gastarbeiter damals, die Integration der Neuankömmlinge misslingt. Die Viertel, in denen sie wohnen, zu Ghettos werden, deren Bewohner Deutschland nicht nur ablehnen, sondern hassen. Atatürk auf einem Audi ist dann nichts dagegen.

Programmvolontäre der DW 2013-2015
DW-Redakteur Daniel HeinrichBild: DW/M. Müller

Ein Klassiker und doch wahr: Wehret den Anfängen

Genauso schlimm: Die Folgen einer nicht gelingenden Integration auf der "anderen" Seite, bei der "einheimischen" Bevölkerung, neuerdings "Bio-Deutsche" genannt. Franz Josef Strauß hat mal gesagt: "Rechts von uns ist nur die Wand." Bisher war das auch so, konnte man sich als Konservativer guten Gewissens in die Hände der Union begeben. Und bisher hatte Deutschland das Glück, dass sich die Rechten in diesem Land, ganz entgegen ihres Duktus, ganz und gar "undeutsch" - nämlich als unorganisierter Sauhaufen - präsentieren.

Das Dumme ist nur: Sollte Deutschland weiterhin mit Schnellschüssen und Panikreaktionen auf die Flüchtlingsdebatte reagieren, wird es nicht mehr lange dauern, bis die Leute irgendeinem rechten Wirrkopf hinterherlaufen. Und dann haben wir, um im Bayerischen zu bleiben, ein sauberes Problem.

"Wir schaffen das“ - Und zwar alle

Damit "wir" das verhindern, müssen "wir" "die" also schnellstmöglich raus aus den Turnhallen holen und rein in die Klassenzimmer setzen. Und vor allem müssen die Flüchtlinge unverzüglich die Chance erhalten zu arbeiten, um sich somit als Teil dieser Gesellschaft etablieren zu können.

Wenn die Politik, wenn die Gesellschaft sich dies zu Herzen nimmt, dann wird sich bewahrheiten was Angela Merkel und Thomas de Maizière schon vor Wochen gesagt haben: "Wir schaffen das!" Und wie. Denn eines ist uns Deutschen eigen: Wir können feiern. Wir können auch bunt. Wir können integrieren. Und das alles wunderbar organisiert. Es muss uns nur aufgetragen werden!

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