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Assad, der Zyniker

DW Kommentarbild | Autor Kersten Knipp
Kersten Knipp
12. April 2016

Die syrische Regierung will mit russischer Hilfe die Stadt Aleppo von den Dschihadisten befreien. Damit bekämpft sie jene Extremisten, die sie vor Jahren aus der Haft entließ. Bodenloser Zynismus, meint Kersten Knipp.

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Gefecht in Aleppo, 02.10.2012 (Foto: picture-alliance/dpa/Maysun)
Aleppo - seit 2012 Schauplatz von Kämpfen im Syrien-Krieg, inzwischen vielerorts zerstörtBild: picture-alliance/dpa/Maysun

Sie fliegen wieder, die Kampfjets der russischen Luftwaffe. Ihre Raketen richten sie auf das Ziel Aleppo, die Metropole im Norden des Landes, deren östlichen Stadtteile immer noch von Kämpfern der Terrororganisation "Islamischer Staat" und anderen Dschihadistengruppen kontrolliert werden. Zwar gilt seit Ende Februar ein Waffenstillstandsabkommen zwischen der Regierung und der Opposition. Die dschihadistischen Gruppen sind davon aber ausdrücklich ausgenommen.

Zu erwarten ist, dass die Dschihadisten langfristig weichen und eine weitere Niederlage erleiden werden. Das ist erfreulich. Weniger bis überhaupt nicht erfreulich ist, dass das Assad-Regime mit der absehbaren Einnahme von Aleppo seine Macht wieder konsolidiert. Es mag sein, dass Assad selbst irgendwann sein Amt aufgeben, einen gesichtswahrenden Rückzug antreten wird. Die Mitte dieser Woche anlaufenden Friedensverhandlungen dürften sich zumindest inoffiziell auch mit diesem Thema beschäftigen.

Niedergang der politischen Kultur

Die Frage ist, was damit gewonnen ist? Eigentlich müsste mit Bashar al-Assad nicht nur seine gesamte Regierungsmannschaft ausgetauscht, sondern zudem die gesamte politische Kultur des Landes erneuert werden - nach über vierzig Jahren Assad-Herrschaft freilich ein völlig illusorischer Gedanke.

Vater und Sohn Assad sind verantwortlich für einen beispiellosen Niedergang der politischen Kultur, eine Verrohung und Brutalisierung des politischen Umgangs, die ihresgleichen sucht. Dies zeigt sich besonders deutlich am Beispiel eben jener Dschihadisten, die das Regime jetzt zu bekämpfen vorgibt.

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DW-Autor Kersten Knipp

Die Gotteskämpfer sind spätestens seit Beginn des neuen Jahrtausends für das Assad-Regime ein probates Mittel, seine Interessen durchzusetzen. Als 2003 die amerikanische Invasion in den Irak begann, schleuste das Regime hunderte dschihadistische Kämpfer in das Nachbarland.

Die berühmten Sinjar-Records, die im Herbst 2007 von US-Truppen gefundenen Aufzeichnungen in der gleichnamigen Stadt im Norden Iraks, dokumentieren die Reisewege von über 600 Kämpfern allein zwischen August 2006 und August 2007 - allesamt reisten die Dschihadisten über Syrien ein. Dort nahmen sie auch an entsprechenden Trainingskursen teil. Das Kalkül: Die Amerikaner sollten so hart bekämpft werden, dass sie keinesfalls auf den Gedanken kämen, nach dem Irak auch noch in Syrien zu intervenieren.

Geist aus der Flasche

Den dschihadistischen Geist ließ das Regime auch nach dem Ausbruch der Proteste im Frühjahr 2011 aus der Flasche. Ende Mai jenes Jahres erließ das Assad-Regime eine Amnestie. Ihr verdanken vor allem die blutigsten Dschihadisten ihre Freilassung. Das Kalkül hier: den demokratischen, von allen Bevölkerungsgruppen getragenen Aufstand als einen dschihadistischen hinzustellen.

Die Rechnung ging auf: Die schwerkriminellen sunnitischen Extremisten setzten vor allem den Schiiten, aber auch den Christen des Landes so sehr zu, dass diese von einer Zusammenarbeit mit den Sunniten nichts mehr wissen wollten.

Einziges Interesse: Machterhalt

Zugleich attackierte das Regime seinerseits die sunnitischen Zivilisten mit einer solchen Brutalität, dass Dschihadisten weltweit auf das Leid ihrer Glaubensgenossen aufmerksam wurden, nach Syrien kamen - und den säkularen Aufstand endgültig in einen dschihadistischen verwandelten. Das Regime konnte sich den Syrern und der Welt fortan als Schutzmacht gegen den sunnitischen Extremismus präsentieren.

Dieses zynische Kalkül hat bereits hunderttausende Syrer das Leben gekostet. Das Regime nimmt es hin. Mit einer Ruchlosigkeit sondergleichen opfert es die eigene Bevölkerung seinem einzigen Interesse, dem Machterhalt. Wie viele Bürger dafür sterben müssen, spielte und spielt in der Damaszener Machtzentrale keine Rolle. In Aleppo besiegt der Teufel den Beelzebub.

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Kersten Knipp Politikredakteur mit Schwerpunkt Naher Osten und Nordafrika