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Julian Assange: Auslieferung an die USA naht

20. April 2022

Für den WikiLeaks-Gründer, der Berichte über mutmaßliche US-Kriegsverbrechen veröffentlichte, wird es eng. Um seine Auslieferung zu verhindern, hat Reporter ohne Grenzen eine neue Online-Petition gestartet.

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Großbritannien | Gericht entscheidet über Auslieferung von Assange an die USA
Unterstützung für Julian Assange vor dem Gericht in London, das seine Auslieferung an die USA für rechtens erklärte (2021)Bild: Henry Nicholls/REUTERS

Der 20. April 2022 ist ein weiterer Schicksalstag im Leben jenes Mannes, der in den Augen der USA wegen Verrats militärischer Geheimnisse über mutmaßliche Kriegsverbrechen in Afghanistan und im Irak ein gefährlicher Feind ist: Julian Assange. Seit April 2019 sitzt er im Londoner Hochsicherheitsgefängnis Belmarsh. Die Haftbedingungen werden von unabhängigen Experten als inhuman kritisiert. Jetzt ist die von den USA beantragte Auslieferung des Gründers der Enthüllungsplattform WikiLeaks noch wahrscheinlicher geworden.

Der Oberste Gerichtshof lehnte eine Berufung ab

Der Oberste Gerichtshof Großbritanniens hat den dafür benötigten formalen Beschluss auf den Weg gebracht. Empfängerin ist Innenministerin Priti Patel. Nun liegt Assanges Schicksal in ihren Händen, nachdem der Berufungsantrag des 50-Jährigen Mitte März erst gar nicht angenommen worden war. Begründung: fehlende Rechtsgrundlage. Damit platzte für ihn eine der letzten Hoffnungen auf eine Wende zu seinen Gunsten.

Wikileaks - Staatsfeind Julian Assange

Auch die weltweit für Presse- und Informationsfreiheit kämpfende Organisation Reporter ohne Grenzen (ROG) ist skeptisch. Da die britische Innenministerin das Auslieferungsverfahren überhaupt erst ermöglicht habe, "sehen wir keine großen Chancen, dass sie sich nun gegen eine Auslieferung entscheiden wird", sagt die politische Referentin der deutschen ROG-Sektion, Lisa-Maria Kretschmer, im DW-Interview.  

Keine Unterstützung der deutschen Regierung

Von der Bundesregierung erwarte sie, sich gegen Assanges Auslieferung auszusprechen - "auch öffentlich". Ziel müsse es sein, die Anklagepunkte fallen zu lassen, "damit eine Verfolgung auch in Zukunft nicht mehr möglich ist". Sollte dem Australier von einem US-Gericht der Prozess gemacht werden, droht ihm eine Verurteilung zu lebenslanger Haft, das Strafmaß könnte auf bis zu 175 Jahre lauten.

Trotz internationaler Kritik am Umgang mit Assange haben sich aber weder frühere Regierungen unter Bundeskanzlerin Angela Merkel für den prominenten Häftling eingesetzt noch die amtierende Koalition unter Olaf Scholz. Merkels letzter Außenminister, der Sozialdemokrat Heiko Maas, äußerte sich 2020 so: Der Bundesregierung lägen keine Informationen vor, aus denen hervorginge, "dass es sich um Verstöße gegen internationales Recht sowohl bei der Unterbringung als auch der Behandlung von Julian Assange handelt".

Annalena Baerbock forderte 2021 Assanges "sofortige Freilassung"

Von der neuen Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne), deren Wahlkampfteam 2021 im Namen der Oppositionspolitikerin seine "sofortige Freilassung" gefordert hatte, sind solche Worte nicht mehr zu vernehmen. Daran erinnerte die Linken-Bundestagsabgeordnete Sevim Dağdelen am 11. April, dem dritten Jahrestag der Inhaftierung von Julian Assange in Belmarsh. An die Adresse der militärisch Verantwortlichen in den USA fügte sie hinzu: "Nicht wer Kriegsverbrechen enthüllt, gehört ins Gefängnis, sondern wer sie befiehlt und begeht!"

Die Regierung aus Sozialdemokraten, Grünen und Freien Demokraten müsse im Zuge ihrer "sogenannten wertegeleiteten Außenpolitik gegenüber der britischen Innenministerin Priti Patel auf die Freilassung von Assange drängen und dem Journalisten und WikiLeaks-Gründer politisches Asyl in Deutschland anbieten".

Reporter ohne Grenzen befürchtet "furchtbaren Präzedenzfall"

Sevim Dağdelen hatte sich schon in der vergangenen Legislaturperiode in einer fraktionsübergreifenden Arbeitsgruppe für Assange engagiert. Der AG gehörten Abgeordnete aller Fraktionen außer der Alternative für Deutschland (AfD) an. Es gebe den "erklärten Willen", diese Arbeit fortzusetzen, teilte die Linke auf DW-Anfrage mit. Die andauernde Inhaftierung von Julian Assange "unter folterähnlichen Bedingungen" ist aus ihrer Sicht ein "humanitärer und rechtsstaatlicher Skandal sowie eine eklatante Verletzung der Pressefreiheit".  

Lisa-Maria Kretschmer von Reporter ohne Grenzen sagt, Assanges Auslieferung würde einen "absolut furchtbaren Präzedenzfall" für investigativen Journalismus schaffen. Als Konsequenz könnte dann jedem Journalisten, der an der Schnittstelle von Kriegsverbrechen, nationaler Sicherheit und Geheimdiensten arbeite, das gleiche Schicksal wie Assange drohen, warnt die Expertin für Pressefreiheit.

Auch im Ukraine-Krieg ist von Kriegsverbrechen die Rede

Informationen über Kriege seien "unglaublich wichtig", sagt Lisa-Maria Kretschmer mit Blick auf die von Julian Assange veröffentlichten Geheimdienst-Dokumente aus Afghanistan und dem Irak. Sie denkt dabei auch an mutmaßliche Kriegsverbrechen in der Ukraine . Wenn man das aufarbeite, werde man Informationen brauchen: "Da kann es natürlich sein, dass Informationen von öffentlichem Interesse über Whistleblowing ans Licht kommen; viele werden Verschlusssachen sein." Mit anderen Worten: Sie stammen aus Geheimdienst-Quellen.

Gefahren für digitale Whistleblower

Angesichts der Berichte über Gräuel in der Ukraine betont Lisa-Maria Kretschmer, "wie nahe uns solche Informationen gehen". Zugleich attestiert sie Großbritannien und den USA angesichts ihres Umgangs mit Julian Assange ein Glaubwürdigkeitsproblem. Denn deren Kritik an anderen Ländern und Regierungen pralle ab. Beispielhaft verweist die Fachfrau von Reporter ohne Grenzen auf China und Aserbaidschan, die Kritik am Zustand der Pressfreiheit in ihren Ländern mit dem Hinweis zurückwiesen: "Schaut ihr erstmal, wie ihr mit Menschen umgeht, die journalistisch arbeiten!"

Die letzte Chance für einen Sinneswandel

Sollte Großbritanniens Innenministerin Priti Patel der Auslieferung Julian Assanges an die USA erwartungsgemäß zustimmen, bliebe seinen Anwälten nur noch eine Möglichkeit: innerhalb von vier Wochen den Einspruch ihres Mandanten zu begründen. Es wäre die letzte Chance für einen Sinneswandel der politisch Verantwortlichen. Nach dem bisherigen Verlauf des Verfahrens ist kaum damit zu rechnen. Derweil hat Reporter ohne Grenzen eine neue Online-Petition gegen die Auslieferung gestartet. 

Dieser Artikel wurde am 20. April 2022 veröffentlicht und am 21. April 2022 aktualisiert.

Deutsche Welle Marcel Fürstenau Kommentarbild ohne Mikrofon
Marcel Fürstenau Autor und Reporter für Politik & Zeitgeschichte - Schwerpunkt: Deutschland