1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Journalisten kritisieren Reporter-Datenleak

Roman Goncharenko11. Mai 2016

Eine ukrainische Webseite hat gehackte Daten über Journalisten veröffentlicht, die in den prorussischen Separatistengebieten akkreditiert wurden. Ukrainische und ausländische Reporter protestieren.

https://p.dw.com/p/1IltB
Symbolbild Tastatur Internet (Foto: Nicolas Armer/dpa)
Bild: picture-alliance/dpa/N. Armer

Empört, entsetzt, zutiefst schockiert. So die Reaktionen der Journalisten auf die Veröffentlichung ihrer persönlichen Daten. Betroffen seien diejenigen, "die unter Einsatz ihres Lebens in ukrainischen und internationalen Medien über die Ereignisse in den besetzten Gebieten in der Ostukraine objektiv berichtet haben", heißt in einer am Mittwoch in Kiew veröffentlichten Erklärung. Anlass ist eine von der ukrainischen Webseite "Mirotworez" (Friedensstifter) ins Netz gestellte gehackte Liste von allen Journalisten, die in der selbsternannten ostukrainischen "Donezker Volksrepublik" akkreditiert waren.

Russische und westliche Reporter in einem Topf

Die Datei enthält mehr als 4000 Namen, Telefonnummern und Emails von Reportern, Fotografen, Producern oder Dolmetschern. Die Liste der Medien liest sich wie ein "Who is who": von CNN und New York Times über das deutsche Nachrichtenmagazin "Der Spiegel" bis zu regionalen Medien in Belgien oder China. Auch DW-Reporter sind dabei. Das Portal "Mirotworez" stellt sowohl russische Journalisten, die für ihre Propaganda bekannt sind, als auch ukrainische und westliche Reporter unter Generalverdacht, mit den "Kämpfern der terroristischen Organisation zusammenzuarbeiten".

Wie heikel die Sache ist, ist den Autoren offenbar nicht bewusst. "Wir wissen nicht, welche Konsequenzen die Veröffentlichung der Liste haben wird", schreiben die Macher von "Mirotworez". Auch die journalistische Praxis ist ihnen offenbar unbekannt. Dass Reporter westlicher Medien wie der britischen BBC durchaus russische Namen und Vornamen haben, kommt ihnen "seltsam" vor. Dabei ist es für Medien weltweit nicht unüblich, Journalisten einzusetzen, die aus der Region stammen.

Logo der Organisation "Reporter ohne Grenzen" (Foto: Britta Pedersen/dpa)
Die "Reporter ohne Grenzen" kritisieren die Offenlegung persönlicher DatenBild: picture alliance/dpa/B. Pedersen

"Reporter ohne Grenzen": gefährlicher Vorgang

Johann Bihr von der in Paris ansässigen Menschenrechtsorganisation "Reporter ohne Grenzen" verweist darauf, dass die Medienvertreter auf der Liste "nur ihren Job gemacht haben". Eine Akkreditierung in Separatistengebieten sei "keinesfalls ein Zeichen der Unterstützung", sagte Bihr der DW. Er findet die Veröffentlichung "nicht nur entsetzlich, sondern auch gefährlich". Es sei sehr ernst, wenn jemandem vorgeworfen werde, ein Helfershelfer der Terroristen zu sein, so Bihr. Das könne zur Konsequenz haben, dass immer weniger Reporter in die Separatistengebiete reisen und die Welt immer weniger über sie erfährt.

Die Veröffentlichung habe bereits zu Drohungen gegen Reporter geführt, heißt es in der Journalisten-Erklärung. Auch Aufrufe mancher ukrainischer Politiker, die Journalisten auf der Liste als "Feinde der Ukraine" zu brandmarken, werden kritisiert. Das sei ein Verstoß gegen die ukrainische Verfassung und das Gesetz über den Schutz persönlicher Daten. Die Unterzeichner der Erklärung fordern deshalb strafrechtliche Konsequenzen und die sofortige Entfernung der Datei aus dem Netz. Auch Bihr von den "Reportern ohne Grenzen" verlangt von den ukrainischen Behörden, "sofort gegen die Webseite vorzugehen".

Separatisten-Datenbank für Geheimdienste

Das Portal "Mirotworez" ging im Dezember 2014 online, fast ein Jahr nach der Annexion der Krim durch Russland und dem Beginn des bewaffneten Konflikts in der Ostukraine. Dahinter steht die Idee einer "Separatisten-Datenbank", die für jeden zugänglich ist und auch den ukrainischen Geheimdiensten und dem Innenministerium helfen soll. Das Ziel ist nach eigenen Angaben, "Vaterlandsverräter, Kämpfer, Freischärler, Terroristen und russische Militärs" zu entlarven. Dies geschieht durch die Veröffentlichung persönlicher Profile mit Fotos, Namen, Geburtsdatum, Anschrift, Telefon und Email. Wer wie auf die schwarze Liste kommt, ist dabei unklar. Dass auch Unschuldige dabei in Gefahr geraten können, wird in Kauf genommen.

Als Gründer des Projekts gilt Heorhij Tuka, ein bekannter früherer freiwilliger Helfer der ukrainischen Armee. Tuka war zwischen Juli 2015 und April 2016 Gouverneur des Gebiets Luhansk, beziehungsweise von dessen Teilen, die unter Kiews Kontrolle stehen.

Portrait von Heorhij Tuka (Foto: Heorhij Tuka)
Heorhij Tuka, Gründer der Webseite "Mirotworez"Bild: DW/G. Tuka

Ein anderer Prominenter, der hinter "Mirotworez" steht, soll Anton Heraschtschenko sein. Er ist Parlamentsabgeordneter der regierenden Partei "Volksfront" des früheren Ministerpräsidenten Arseni Jazenjuk und Berater des Innenministers Arsen Awakow. Heraschtschenko kündigte die Veröffentlichung der Journalisten-Liste in seinem Profil auf Facebook an und lobte die Hacker.

Zwischen Kritik und Verständnis

"Mirotworez" ist seit langem umstritten. Kritiker werfen der Website vor, die Privatsphäre zu verletzen und indirekt zu Lynchjustiz aufzurufen. So hat das Portal persönliche Daten des prorussischen Schriftstellers Oles Busina veröffentlicht, der im April 2015 vor seinem Haus in Kiew erschossenen wurde. Die Menschenrechtsbeauftrage des ukrainischen Parlaments, Valeria Lutkiwska, appellierte vor rund einem Jahr an die ukrainischen Behörden, "Mirotworez" zu schließen.

Beobachter gehen davon aus, dass die Internetseite bestehen bleibt, auch wenn die umstrittene Journalisten-Liste gelöscht werden sollte. Dafür plädiert zum Beispiel Viktoria Siumar, ehemalige Journalistin, stellvertretende Fraktionsvorsitzende der "Volksfront" und Vorsitzende des Ausschusses für Medienfreiheit. "Man muss die privaten Daten aus dem Netz entfernen", sagte sie der DW. Eine solche Offenlegung sei inakzeptabel. Gleichzeitig bittet Siumar um Verständnis. Die Ukraine sei ein Land im Krieg und der Umgang mit Separatisten ein sehr sensibles Thema.