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PolitikAsien

Irans Sicherheitsapparat im Zwielicht

Shabnam von Hein
28. November 2020

Der Atomwissenschaftler Mohsen Fachrisadeh gehörte zu den bestgeschützten Personen im Iran. Seine Ermordung wirft ein schlechtes Licht auf den Geheimdienst der Revolutionsgarden im Iran.

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Iran I Mord an Mohsen Fakhrizadeh
Bild: Tasnim

Die Empörung in den sozialen Netzwerken ist groß: "Während die Geheimdienste und der Sicherheitsapparat mit der Unterdrückung der Studenten, Frauenaktivisten, Journalisten und Andersdenkenden beschäftigt sind, werden am helllichten Tag Atomwissenschaftler auf der Straße erschossen", liest man in zahlreichen Tweets und Kommentaren, die iranische User nach der Ermordung vom Mohsen Fachrisadeh im Netz gepostet haben.

Zum dritten Mal in weniger als einem Jahr haben offenbar die iranischen Sicherheitsapparate versagt. Sicherheitsapparate, die sich gerne damit brüsten, alles im Iran unter Kontrolle zu haben. 

Am 27. November war der Kernphysiker Mohsen Fachrisadeh, einer der wichtigsten iranischen Atomwissenschaftler, in der Nähe der Hauptstadt Teheran ermordet worden. Bis dahin konnte man kaum ein Foto vom ihm im Netz finden. Fachrisadeh, der auch als Vater des iranischen Atomprogramms gilt, gehörte zu den bestgeschützten Personen im Iran. Bereits 2008 hatte er ein Attentat überlebt. Damals hatte ein Motorradfahrer einen Sprengsatz an seinem Wagen befestigt. Fachrisadeh konnte gerade noch rechtzeitig aus dem Auto springen. Dieses Mal hatte er keine Chance.

Nach Angaben von Verteidigungsminister Amir Hatami wurde zuerst auf sein Auto geschossen. Zusätzlich soll kurz darauf ein Pickup-Truck mit Sprengstoff etwa 15 bis 20 Meter von seinem Auto entfernt explodiert sein. Kurz darauf sei der Kernphysiker seinen Verletzungen im Krankenhaus erlegen.

Mossad stahl 2018 brisante Dokumente

Fachrisadeh war Experte für die Herstellung von Raketen. Spätestens seit Mai 2018 kannte die Weltöffentlichkeit ihn als Schlüsselfigur des iranischen Atomprogramms. Damals präsentierte Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu während einer Pressekonferenz Material, das der israelische Geheimdienst Mossad im Iran erbeutet hatte. Netanjahu gab brisante Details über das iranische Atomprogramm bekannt und betonte dabei: "Merken Sie sich diesen Namen, Fachrisadeh". Nach israelischen Angaben hatte Fachrisadeh Anfang der 2000er Jahre das militärische Atomprogramm unter dem Namen "Amad" ("Hoffnung") geleitet.

Der Mossad hatte bei seiner Operation 2018 mehr als 55.000 Seiten geheimdienstlicher Dokumente in Teheran entwendet. Die Mossad-Agenten sollen mit speziellen Schneidbrennern mehrere Schließfächer in einer Lagerhalle geöffnet haben. Ohne Insiderwissen wäre die Ortung der Dokumente nicht möglich gewesen.

Vor der Presse warf Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu 2018 dem Iran vor, weiter nach Atomwaffen zu streben: "Merken Sie sich diesen Namen, Fachrisadeh"
Vor der Presse warnte Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu 2018: "Merken Sie sich diesen Namen, Fachrisadeh"Bild: Reuters/A. Cohen

Die Mossad-Operation in Teheran war eine Blamage für den iranischen Sicherheitsapparat, vor allem für den Geheimdienst der Revolutionsgarden. Die Revolutionsgarden (IRGC) sind zuständig für den militärischen Teil des iranischen Atomprogramms. Sie rekrutieren für dieses Programm Leute aus ihren engsten Kreisen.

Wie konnte Fachrisadeh zum Opfer werden?

Auch der 63-jährige Fachrisadeh gehörte den Revolutionsgarden an, und das seit seiner Jugend. Er stand unter dem Schutz der IRGC, der Organisation für Informationsschutz. Genau wie der Kommandeur der Al-Kuds Brigaden, Qassem Soleimani, der im Januar 2020 gezielt vom US-Militär getötet worden war. Hinweise auf Soleimanis Aufenthaltsorte in Irak soll ein Dolmetscher der Al-Kuds Brigaden in Syrien an CIA und Mossad geliefert haben, teilte die iranische Justiz im Juni mit. Ein gewisser Mahmud Mussawi Madschd, der im Juli hingerichtet wurde, soll nach Angaben einer Justizsprecherin "verschiedene Sicherheitsbereiche" für die Geheimdienste der USA und Israels, CIA und Mossad ausspioniert  haben. Im Gegenzug habe er hohe Geldsummen erhalten.

Die Tatsache, dass Mussawi Madsch laut offiziellen Angaben bereits im Oktober 2018 festgenommen wurde, lässt viele Fragen offen. Die Wichtigste: Wie soll er im Gefängnis zwei Jahre später Informationen über den Aufenthaltsort von General Soleimani erhalten und weitergegeben haben? Die Justiz und die IRGC Organisation für Informationsschutz lieferten darauf keine Antwort.

Immer wieder Sicherheitslücken im System

"Details über das Atomprogramm werden gestohlen; bestens geschützte Personen werden gezielt getötet; in den Atomanlagen wird sabotiert. Und die Sicherheitsbehörden können nichts tun außer höchstens die Journalisten zu verhaften und zu unterdrücken", schreibt Mehdi Mahdavi Azad, ein iranischer Journalist. Im Juni 2020 wurde die Atomanlage in Natans Ziel einer Sabotageaktion. Eine Explosion hinterließ in der Atomanlage große Schäden und behinderte die Herstellung von Zentrifugen für die Urananreicherung. Im August bestätigte der Sprecher der Atomenergiebehörde, Behrus Kamalwandi, im Staatsfernsehen: "Die Explosion in Natans war das Ergebnis von Sabotageaktivitäten. Die Sicherheitsbehörden werden zu gegebener Zeit die Ursache hierfür bekannt geben". Wer hinter dieser Aktion stand, ist aber bis heute nicht bekannt.

Nach der Ermordung vom Fachrisadeh schwört der Kommandeur der iranischen Revolutionsgarden, Hossein Salami, Rache. Eine Ankündigung, die in sozialen Medien vor allem bitteren Spott hinterlässt: "Genauso wie nach der Tötung von General Soleimei. Damals habt ihr allerdings leere US-Stützpunkte angegriffen, aber zugleich ein Passagierflugzeug mit unschuldigen Insassen abgeschossen", schreibt ein User auf Twitter - Bezug nehmend auf den Abschuss eines ukrainischen Passagierflugzeugs durch den Iran im Januar 2020 mit 176 Todesopfern.