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Politik

"Deutschland profitiert davon, dass es Europa gut geht"

18. Juni 2020

Vermitteln zwischen Ost und West und die Überwindung der Krise in Folge der Corona-Pandemie - im DW-Interview erläuterte Bundesaußenminister Maas die Hauptaufgaben Deutschlands für die anstehende EU-Ratspräsidentschaft.

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Heiko Maas
Bild: picture-alliance/dpa/M. Kappeler

DW-Interview mit Außenminister Maas: Auszug

DW: Herr Maas, bevor wir über die Ratspräsidentschaft sprechen: Wie schätzen Sie die aktuelleLage an der Grenze zwischen Indien und China ein?

Heiko Maas: Das macht uns schon besorgt, deshalb sind wir mit beiden Ländern auch in einem Dialog. Das sind zwei große Länder, bei denen ich mir nicht ausmalen will, was an Konflikt entsteht, wenn er in eine echte militärische Eskalation mündet. Deshalb versuchen wir, auf allen Ebenen auf beide Seiten einzuwirken, dass die Lage deeskaliert wird.

DW: Was ist Ihre Botschaft an die Konfliktparteien und wie kann Deutschland vermitteln?

Maas: Wir werden im Juli die Präsidentschaft im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen übernehmen. Es gibt die Erwartung in der gesamten internationalen Staatengemeinschaft, dass sich Indien und China nicht in einen Konflikt stürzen, der nicht nur beide Länder, sondern die ganze Region betreffen würde. Deshalb tun wir unser Möglichstes, um auf beide Seiten einzuwirken mit der klaren Botschaft, dass dieser Konflikt eingedämmt wird und es keine weitere Eskalation gibt, vor allen Dingen keine militärische.

"Europa ist ein großer Gewinn für Deutschland"

DW: Kommen wir zur deutschen EU-Ratspräsidentschaft, die im Juli beginnt: Was ist Deutschland bereit zu opfern, um Europa zu retten?

Maas: Ich glaube, dass Deutschland gar nichts opfern muss, sondern, dass Europa ein großer Gewinn für Deutschland ist. Als große Exportnation profitiert Deutschland davon, dass es Europa gut geht. Deshalb wollen wir dafür sorgen, dass die Länder, die ganz besonders hart von der Corona-Pandemie getroffen wurden, wie etwa Italien und Spanien, schneller aus der Krise kommen.

EU Merkel und Macron | Aufbauprogramm für Europa
Gemeinsame Initiative in der Corona-Krise: Frankreichs Präsident Macron und Bundeskanzlerin MerkelBild: REUTERS

DW: Diese massive finanzielle Hilfe aus Deutschland hat viele in Europa positiv überrascht. Ist das ein neues Deutschland, das wir gerade erleben?

Maas: Wir wissen, dass wir große Verantwortung haben in Europa. Wir haben uns dafür entschieden, einen Beitrag dazu zu leisten, damit die Konflikte, die es gab und die sich angedeutet haben, etwa zwischen Nord und Süd, nicht weiter ausgedehnt werden. Deshalb haben wir diesen Vorschlag zusammen mit Frankreich gemacht. Ich glaube, dieser Vorschlag wird die Basis für eine Einigung innerhalb der Europäischen Union sein. Das ist der Weg, den wir auch in unserer Ratspräsidentschaft weitergehen wollen.

"Deutschland kann eine Brücke sein zwischen West und Ost"

DW: Es gibt auch eine Konfliktlinie zwischen Ost und West in der Europäischen Union. Wollen Sie diese auch konsequent angehen?

Maas: Ja. Es gibt in Mittel- und Osteuropa viele Staaten, die vor allen Dingen sicherheitspolitisch anders aufgestellt sind als das westliche Europa. Dort gibt es Erinnerungen an die Sowjetunion, die übertragen werden auf das heutige Russland. Deutschland kann eine Brücke sein in Europa zwischen West und Ost. Deshalb bin ich dafür, dass wir eine neue Ostpolitik machen, die darauf ausgerichtet ist, die mittel- und osteuropäischen Nachbarstaaten in der Europäischen Union zu halten und zu verhindern, dass sie den Eindruck haben, Mitglieder zweiter Klasse zu sein.

DW: Gäbe es da nicht die rechtsstaatlichen Probleme, etwa in Polen und Ungarn. Wie wollen Sie damit umgehen in der Ratspräsidentschaft?

Heiko Maas: Es muss klar sein, dass die Rechtsstaatlichkeit eine der Grundwerte der Europäischen Union ist. Wir werden auch eine Diskussion darüber bekommen, ob die Einhaltung von Rechtsstaatlichkeit nicht auch stärker gekoppelt werden muss an die Finanzhilfen der Europäische Union. Auch das wird ein Thema sein in unserer Ratspräsidentschaft.

"Wir müssen mehr tun für unsere Sicherheit"

DW: US-Präsident Donald Trump hat einen Teil-Truppenabzug aus Deutschland angekündigt. Es scheint, als wäre auf die USA kein Verlass mehr. Was erwarten Sie noch von Donald Trump vor den US-Wahlen?

Maas: Der amerikanische Wahlkampf läuft nach seinen eigenen Gesetzen. Aber unabhängig davon, wer gerade im Weißen Haus sitzt, verbinden Europäer und Amerikaner gemeinsame Werte, die einer liberalen Demokratie und der Freiheit. Das ist bei anderen Regionen auf der Welt anders. Deshalb gibt es nach wie vor mehr, was uns mit den Vereinigten Staaten verbindet, als was uns trennt. Auch wenn die Beziehungen im Moment eher kompliziert sind.

DW: Müssen die Europäer in Zukunft ohne die Amerikaner klarkommen?

Maas: Ich glaube nicht, dass wir alleine klarkommen müssen. Ich glaube, auch die Vereinigten Staaten haben ein Interesse daran, dass sie außen- und sicherheitspolitisch sehr eng an Europa angebunden sind. Aber möglicherweise werden die Vereinigten Staaten nicht mehr der Schutzschild Europas sein, den wir aus der Vergangenheit kennen. Das wird dazu führen, dass wir mehr tun müssen für unsere Sicherheit, dass es einen europäischen Pfeiler in der NATO geben muss.

DW: Müsste Europa nicht anstreben, militärisch unabhängig zu werden?

Heiko Maas: Ich will gar nicht, dass Europa militärisch unabhängig wird.  Ich will, dass wir mit den Vereinigten Staaten als Verbündete in der NATO unsere Sicherheitsinteressen gemeinsam gewährleisten. Ich kann mir auch nicht vorstellen, dass die Vereinigten Staaten langfristig ein Interesse daran haben, dass die die USA und Europa sicherheitspolitisch entkoppelt werden.

"Wir haben bereits viel Verantwortung übernommen"

DW: Trotzdem hinterlassen die USA im Moment große geopolitische Lücken. Kann Europa sie füllen? In welcher Rolle?

Maas: Wir können nicht überall da, wo die Vereinigten Staaten sich zurückziehen, in die Lücke preschen. Wir haben bereits viel Verantwortung übernommen, z.B. in Afrika, gerade im Sahel, ebenso in Afghanistan, wo Deutschland jetzt auch eine Rolle spielen soll im innerafghanischen Friedensprozess. Es geht dabei immer um Sicherheit, aber auch um Diplomatie. Denn Kriege brauchen am Schluss Friedensverträge und die sind nur politisch zustande zu bringen und nicht nur militärisch.

Bundeswehr in Afghanistan
Bundeswehr in AfghanistanBild: picture-alliance/dpa/M. Kappeler

DW: Zum Schluss eine persönliche Frage: Wenn Sie sich die fragile Weltlage anschauen, können Sie nachts schlafen?

Heiko Maas: Wenn ich in der Welt unterwegs bin, treffe ich viele verantwortungsvolle Menschen. Diese Menschen sind in der großen Mehrheit, und das lässt mich nachts ruhig schlafen.

Das Interview führte Rosalia Romaniec.