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Der lange Weg nach Europa

Volker Witting10. Mai 2016

Georgien ist das Land im Kaukasus, das sich am stärksten nach Europa orientiert. Doch nun sorgt ein geplantes NATO-Manöver für neuen Ärger mit dem mächtigen Nachbarn Russland. Volker Witting berichtet aus Georgien.

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Die georgische Landesfahne (r.) und die Fahne der EU (Foto: Ralf Hirschberger/dpa)
Bild: picture-alliance/dpa

Das also ist das "Joint Training And Evaluation Center" der NATO in Georgien: schmucklose Container auf einem Trainingsgelände vor den Toren von Tiflis. Im grau gefliesten Briefing-Raum sitzt Verteidigungsministerin Tinatin Khidasheli; eingerahmt von Offizieren in verwaschener Camouflage. Die Soldaten sprechen deutsch, die junge Ministerin englisch. Die Offiziere sind in Deutschland ausgebildet worden.

Auf die Frage, was die wichtigste Lektion dort gewesen wäre, antworten sie im Einklang: "Die innere Führung." Also das Konzept des mündigen, demokratisch orientierten Bürgers in Uniform. In diesem Sinne wollen sie Verantwortung für ihr Land übernehmen und ebenso wie ihre Ministerin endlich rein in die NATO.

Der schwierige und unbeliebte Nachbar Russland

Im "Joint Training And Evaluation Centre" wird dafür schon einmal geprobt, zusammen mit norwegischen, dänischen, litauischen, schwedischen, finnischen und deutschen Soldaten. Und ab Mittwoch wieder zusammen mit britischen und amerikanischen Kollegen in einem großen Manöver. 1300 Soldaten werden bis zum 26. Mai an der Operation "Noble Partner 2016" teilnehmen. Der mächtige Nachbar Russland hat die Übung in der Ex-Sowjetrepublik schon jetzt als Provokation bezeichnet und hält die Annäherung Georgiens an das westliche Verteidigungsbündnis für einen Affront.

Georgiens Verteidigungsministerin Tinatin Khidasheli (Mi.) (Foto: DW/V.Witting)
Georgiens Verteidigungsministerin Tinatin Khidasheli (M.)Bild: DW/V. Witting

Die Verteidigungsministerin spart ihrerseits auch nicht mit deftigen Worten: "Die russische Außenpolitik, das ist tägliche Aggression." Sie spricht von den abtrünnigen Regionen Abchasien und Südossetien, die eigentlich zum Staatsgebiet von Georgien gehören aber seit dem Krieg von 2008 durch russische Truppen quasi besetzt sind. "Täglich", so die Khidasheli, würden dort "Geiseln" genommen. Das scheint übertrieben. Aber Abchasien und Südossetien befeuern das Bild des schwierigen Nachbarn Russland. "Zu denen wollen wir nicht mehr gehören, nur mit ihnen im Frieden leben", sagt sie bestimmt.

Warten und hinten anstellen

Zwar stellt Georgien zum Beispiel bei Auslandsmissionen in Afghanistan oder in Mali schon lange Truppen. Nur: Den Mitgliedschaftsaktionsplan hat das Land noch nicht zugebilligt bekommen. Dieser Status wäre aber die Vorstufe zur vollen NATO-Mitgliedschaft.

Georgies Premierminister Giorgi Kvirikashvili (Foto: imago)
Georgiens Premierminister Giorgi KvirikashviliBild: Imago/ZUMA Press

"75 Prozent unserer Bürger sind für eine NATO-Mitgliedschaft und 80 Prozent pro EU", sagt Premierminister Giorgi Kvirikashvili. Er zählt alle Errungenschaften auf, die sein 3,7 Millionen-Einwohner-Land schon auf dem Weg Richtung EU erreicht hat: Korruption ist Geschichte, die Pressefreiheit garantiert, die Wirtschaft gut in Schwung, die Menschenrechte würden geachtet.

Bislang nur ein EU-Assoziierungsabkommen

Damit hat er Recht. Und die EU hat dem kleinen Land im Kaukasus auch deshalb nun eine Visa-Liberalisierung wie der Türkei versprochen, die im Sommer kommen soll. "Für uns ist das eine Bestärkung, die unser Land verdient."

Aber Kvirikashvili bleibt nur die Hoffnung, bald richtig dabei sein zu können. Vor seinem Amtssitz flattert schon längst die EU-Flagge neben der georgischen Flagge im Wind. So als wäre die Mitgliedschaft schon längst vollzogen. Dabei gibt es bislang nur ein EU-Assoziierungsabkommen, wie es auch Georgien und Moldau 2014 zugestanden wurde.

Häuser in der Altstadt von Tiflis (Foto: DW/V.Witting)
Die Altstadt von Tiflis - alt neben neuBild: DW/V. Witting

Problem organisierte Kriminalität

Georgien ist ein Land im Aufbruch Richtung Westen. Kein Land im Süd-Kaukasus ist so west-orientiert wie Georgien. Kein Land in der Region pflegt so gute Beziehungen zu Deutschland. Ein Wermutstropfen ist die organisierte Kriminalität. Nach Erkenntnissen des Bundeskriminalamtes sind zunehmend Banden aus Georgien für Wohnungseinbrüche in Deutschland verantwortlich.

Schon 2014 hatte das Bundeskriminalamt darauf aufmerksam gemacht, dass Georgier in ihrer Heimat gezielt angeworben werden, um in Deutschland bandenmäßig zu stehlen. Lange hat es gedauert, bis die georgische Regierung das Problem ernst genommen hat.

Geduld als einzige Alternative

Am 15. April verkündeten der deutsche und der georgische Innenminister gemeinsam, dass 21 ausreisepflichtige Georgier in ihre Heimat abgeschoben worden sind. "Dabei sprechen wir auch von georgischen Staatsangehörigen, die das lange andauernde Verfahren der Bearbeitung von Asylanträgen (…) für gesetzeswidrige Aktivitäten (…) nutzen", heißt es in einer Pressemitteilung. Nun ist ein Aktionsplan beschlossen, um den Kriminellen endlich das Handwerk zu legen.

Georgien braucht Geduld bei der Annäherung an den Westen und Demut. Premierminister Kvirikashvili sieht es deshalb gelassen. Ihm bleibt wohl auch keine Alternative. Sein Land, sagt er, habe sich schon im Laufe des Wartens zum Positiven verändert. Und: "Wir bleiben einfach geduldig."