Eine Stimme für die Ökumene
12. Mai 2015Selbst die Staatssicherheit der DDR hat sich für Roger Schutz, der am 12. Mai 1915 geboren wurde, interessiert. Der Gründer der ökumenischen Bruderschaft von Taizé in Burgund war ihr suspekt. Frère Roger, gebürtiger Schweizer, kam mitten in Zeiten des Kalten Krieges in den kirchenfernen ostdeutschen Staat und sorgte dort mit öffentlichen Auftritten für Aufsehen.
So findet sich der Name von Frère Roger auch in Unterlagen der Stasi. Im Sommer 1981 formulierte das Ministerium für Staatssicherheit einen dreiseitigen Auskunftsbericht. Der Text, der der Deutschen Welle mit anderen Stasi-Archivalien zu Schutz vorliegt, listet detailliert die Kontakte in den Vatikan, seine größeren Reisen und seine beiden Besuche in der DDR 1980 und 1981 auf. Am Ende heißt es zusammenfassend: "Roger Schutz wird als eine Persönlichkeit eingeschätzt, die eine starke gruppenbildende Anziehungskraft ausübt, er sei ruhig und könne den Menschen - besonders den jungen Menschen - lange zuhören."
Noch kritischer wurde Schutz in der damaligen Tschechoslowakei gesehen, die mit ihren Vorbehalten in Ostberlin vorstellig wurden. "Auf Grund seiner feindlichen Tätigkeit besteht gegen SCHÜTZ Einreisesperre in der CSSR", heißt es, mit falsch geschriebenem Namen, in einem Stasi-Vermerk vom Juni 1981. Die DDR-Sicherheitskräfte beäugten deshalb jene jungen Katholiken sorgfältig, die damals zu Begegnungen mit Schutz in die DDR reisten. So steht in den Akten: "Nach dem Gottesdienst wurden einzelne Leute in individuelle Gespräche durch Schutz verwickelt."
Offenheit für die Jugend der Welt
Offenheit für junge Menschen, die Überwindung von nationalen oder religiösen Grenzen, innere Ruhe - diese Aspekte zeichneten Roger Schutz in der Tat aus. "Bis ins hohe Alter", schreibt Klaus Hamburger in einer zum Jubiläum neu erschienenen Biographie, "verging kein Tag ohne Gespräche mit unterschiedlichsten jungen Frauen und Männern aus allen Himmelsrichtungen." All das ist bis heute für Taizé kennzeichnend, für jene ökumenische Brüderschaft im südlichen Burgund.
In diesem vergessenen Flecken unweit von Cluny hatte der junge Roger Schutz nach seinem Theologiestudium in Lausanne und Straßburg im August 1940 ein Haus gekauft. Während des zweiten Weltkriegs bot er dort Kriegsflüchtlingen Zuflucht und half auch jüdischen Flüchtlingen. Mit protestantischen Weggefährten wollte er eine Glaubensgemeinschaft gründen. Schon 1948 hatte der damalige Botschafter des Papstes in Frankreich, Erzbischof Angelo Giuseppe Roncalli, den protestantischen Brüdern die Nutzung der kleinen romanischen Dorfkirche gestattet. Jener Roncalli, der ein gutes Jahrzehnt später zum Papst gewählt wurde und als Johannes XXIII. das Zweite Vatikanische Konzil (1962-65) einberief. Für ihn blieb Taizé, wie er einmal sagte, "der kleine Frühling".
Über Konfessionsgrenzen hinweg
Längst hat die Kommunität – seit 1962 – ihre eigene große Kirche. Und sie bleibt dabei bewusst den verschiedenen christlichen Traditionen verbunden, vereint Brüder mit katholischer oder protestantischer Herkunft. In der Unterkirche feiern Katholiken die Eucharistie, jüngere Erweiterungen des Gotteshauses nahmen jeweils orthodoxe Elemente auf. Taizé gehört im engeren Sinne nicht einer Konfession. Es will im Sinne seines Gründers und ersten Priors offen sein für die Jugend Europas, die Jugend der Welt. Dazu hatte Frère Roger 1974 ein "Konzil der Jugend" mit zigtausend jungen Leuten einberufen. Seitdem leben Brüder aus Taize in vielen Teilen der Welt. In den Slums Lateinamerikas wie in den Brennpunkten afrikanischer oder asiatischer Metropolen. Und seit einigen Monaten auch in Kiew. Da sind manche Parallelen zum Werben des heutigen Papstes Franziskus für Barmherzigkeit, sein tiefes Mit-Leiden mit Flüchtlingen und Marginalisierten.
"Die Aussagen … bezogen sich ausschließlich auf religiöse Probleme. Zu Vorkommnissen kam es nicht", heißt es in einer vertraulichen Information der Stasi über einen Besuch Frère Rogers in Dresden 1984. Das zeigt, dass der Theologe, der in den 1970er und 1980er Jahren für viele junge Christen in Mitteleuropa zum Hoffnungsträger jenseits bürgerlicher Kirchenmauern wurde, nicht auf direkte politische Appelle setzte. Aber er wollte stets politische, soziale und konfessionelle Grenzen überwinden. Auch mit "Europäischen Jugendtreffen", die Taize seit 1978 jeweils zum Jahreswechsel initiiert und mit seinem globalen "Pilgerweg des Vertrauens" seit 1982. Immer wieder warb Frère Roger dabei für Gewaltlosigkeit und die Versöhnung der Völker, der Religionen und Konfessionen. Er ermutigte junge Leute zu ihrem eigenen Weg und redete Staatsmännern und politisch Verantwortlichen ins Gewissen.
Roger und Ratzinger
Zu jedem der römisch-katholischen Päpste hatte Schutz einen guten Draht. Und als er, bereits im Rollstuhl, auf dem Petersplatz an der Trauerfeier für Johannes Paul II. teilnahm, reichte der deutsche Kurienkardinal Joseph Ratzinger, der spätere Papst Benedikt XVI., dem reformierten Theologen die Eucharistie. Ein bleibendes, ein großes Bild.
Monate später, am 16. August 2005, fällt Frère Roger einem Gewaltverbrechen zum Opfer. In der großen Versöhnungskirche von Taize verletzt ihn eine offenbar geistig verwirrte Frau mit Messerstichen tödlich. Während des Abendgebet, mitten in der voll besetzten Kirche.
Frère Roger war einer der großen europäischen Christen der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg. Seine Botschaft der Versöhnung und der Offenheit prägt bis heute die Brüderschaft von Taizé, die seitdem von dem deutschen Prior Frère Alois geleitet wird. Jahr für Jahr kommen viele hunderttausend Menschen auf den Hügel, auffallend viele junge Leute aus Mittel- und Osteuropa. Und viele halten inne an einem schlichten Grab vor der alten kleinen Kirche des Dorfes. Seines Dorfes Taizé. „F. Roger“ steht auf dem schlichten Holzkreuz.
Literaturhinweis:
In diesem Jahr neu erschienen ist das Portraitbuch „Danke, Frère Roger – Persönliche Erinnerungen an den Gründer von Taizé“ von Klaus Hamburger. Der Autor lebte mehr als drei Jahrzehnte in Taize.