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Flucht in die EU über Weißrussland

Ales Petrowitsch / mo10. August 2016

Der Zustrom von Flüchtlingen in die EU über die weißrussische Stadt Brest nimmt zu. Antreffen kann man sie täglich in einem Eisenbahnzug zwischen Weißrussland und Polen. Woher kommen die Menschen und was wollen sie?

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Neue Migrantenwelle aus dem Kaukasus. Bahnhof in Brest. (Foto: DW)
Bild: DW/A.Petrowitsch

Schwierig ist es in letzter Zeit geworden, eine Fahrkarte für den morgendlichen Zug Brest-Terespol zu bekommen. Mit der Eisenbahn kann man schnell und günstig von Weißrussland den ersten Bahnhof auf polnischem Territorium erreichen. Früher bestand der Zug auf dieser Strecke aus drei bis vier Waggons. Doch inzwischen ist er auf acht erweitert worden. Mehr als die Hälfte aller Tickets kaufen jeden Tag Menschen, die aus dem Kaukasus und einigen zentralasiatischen ehemaligen Sowjetrepubliken kommen.

Der Andrang hat nicht nur Auswirkungen auf die Eisenbahner. So mussten die Kontrollen durch Grenzschützer an den Passierstellen am Bahnhof im weißrussischen Brest verstärkt werden. Auch am Eingang zur Bahnhofshalle, wo die Zollkontrolle stattfindet, sind zusätzliche Polizisten im Einsatz. Ähnliche Maßnahmen gibt es auch bei der Ankunft der Züge aus dem polnischen Terespol. Mit ihnen kommen die meisten Menschen wieder zurück, die in Polen vergeblich versucht haben, Asyl zu erhalten.

Bahnhof im polnischen Terespol (Foto: DW)
Ziel der Flüchtlinge ist der Bahnhof im polnischen TerespolBild: DW/A. Petrowitsch

Flüchtlinge statt Kleinhändler

Nach Angaben des weißrussischen Grenzschutzes war im ersten Halbjahr 2016 die Strecke nach Polen die beliebteste Reiseroute. Insgesamt überquerten 3,6 Millionen Menschen die Grenze. Während der Kleinhandel weiter zurückgeht, nimmt der Zustrom von Flüchtlingen zu, die über Weißrussland in die EU gelangen wollen. Allein zwischen Januar und Juli dieses Jahres passierten die Grenze zu Polen bei Brest mehr als 17.000 Personen, die als Flüchtlinge betrachtet werden können. Das sind vor allem Menschen aus Tschetschenien.

Dem Pressesprecher des weißrussischen Grenzschutzes, Alexander Tischtschenko, zufolge darf seine Behörde nicht überprüfen, ob die Reisenden über Schengen-Visa verfügen. "Wir haben keinen Grund, russische Staatsbürger, egal welcher ethnischer Zugehörigkeit, die legal mit gültigen Papieren nach Weißrussland einreisen, keine Verbrechen begangen haben und nach denen nicht gefahndet wird, nicht wieder aus Weißrussland ausreisen zu lassen. Das gleiche gilt zum Beispiel für Bürger Georgiens. Mit diesem Land haben wir Visafreiheit", sagte Tischtschenko. Er betonte, Weißrussland habe keinen Einfluss darauf, wenn Menschen in ein EU-Land einreisen und dort um Asyl bitten würden.

Menschen warten im Bahnhof von Brest auf die Fahrt nach Polen (Foto: DW)
Familien aus dem Kaukasus warten im Bahnhof von Brest auf die Fahrt nach PolenBild: DW/A.Petrowitsch

Auf der polnischen Seite

Wenn der Zug von Brest in Terespol ankommt, steigen als erste die Passagiere aus, die ein gültiges Schengen-Visum haben. Sie werden an der polnischen Grenze in der Regel schnell und unkompliziert abgefertigt. Diejenigen, die kein Visum haben, werden in einen speziellen Raum geführt.

Ein 30jähriger Mann, der sich Achmad nennt und wahrscheinlich aus Tschetschenien kommt, sagt, man könne vor der Abfahrt aus Weißrussland nie wissen, wem es gelingen werde, in Polen einen Asylantrag zu stellen, oder wer umgehend wieder zurück nach Brest geschickt werde. "Für mich ist das die achte Fahrt. Manche unternehmen 30 bis 40 Versuche, bis die polnische Seite einen Asylantrag erlaubt und die Person in ein Flüchtlingslager bringt", so Achmad. Ihm zufolge hatten früher Familien, die mit mehreren Kleinkindern die polnische Grenze überquerten, bessere Chancen in der EU zu bleiben, als Einzelpersonen. Doch jetzt werde kein Unterschied mehr gemacht. "Familien mit Säuglingen werden sogar sehr häufig zurückgeschickt", berichtet Achmad.

Nach Angaben des polnischen Grenzschutzes hat sich seit Anfang dieses Jahres die Zahl der Tschetschenen, die an der Grenze in Terespol um Asyl gebeten haben, mehr als verdoppelt. In den ersten sechs Monaten des Jahres 2015 gab es etwa 2000 Anträge. Im gleichen Zeitraum dieses Jahres waren es schon über 4000.

Das Geschäft mit den Flüchtlingen

Die Menschen aus Tschetschenien, die im Zug zurück ins weißrussische Brest sitzen, sprechen ungern mit Fremden. Nur wenige sind bereit, anonym über die Lage in ihrer Heimat zu berichten. Sie verschlechtere sich zunehmend, sagen die Tschetschenen. Ständige Jobs gebe es keine, die psychische Belastung nehme zu und die Abgaben an die lokalen Behörden würden immer weiter steigen. "Wenn man die Möglichkeit hat, dort wegzukommen, dann sollte man sein Hab und Gut verkaufen und versuchen, nach Europa zu gelangen, erst recht, wenn dort schon Verwandte sind", sagt eine Rentnerin. Hinzu kommt, dass die Tschetschenen befürchten, Polen könnte die Aufnahme von Menschen aus dem Kaukasus bald gänzlich stoppen.

Diejenigen, deren Versuch, in die EU zu gelangen, erst einmal gescheitert ist, werden bei ihrer Rückkehr im Bahnhof von Brest von Einheimischen umzingelt. Diese bieten ihnen Übernachtungsmöglichkeiten und andere Dienstleistungen an. So kann die Vermietung einer Wohnung an mehrere Familien dem Immobilienbesitzer bis zu 100 US-Dollar pro Tag bringen. Doch oft beschweren sich Nachbarn. "In der Wohnung neben meiner sind zehn bis zwölf Personen untergebracht. Warum müssen wir den ständigen Lärm ertragen", beklagt Irina Kusmitsch. Sie kritisiert, dass sich die Vertreter der städtischen Behörden sehr ungern mit solchen Beschwerden befassen.