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Ein neuer Eiserner Vorhang?

Barbara Wesel, Brüssel 17. September 2015

Brüssel versucht, die neuen Fronten zwischen den EU-Mitgliedsländern aufzuweichen. Doch ost- und westeuropäische Staaten sind weiterhin zerstritten über den Umgang mit Flüchtlingen. Barbara Wesel aus Brüssel.

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Flüchtlinge in Budapest Ungarn
Bild: DW/D. Hirschfeld

Bis zum nächsten Sondergipfel zum Thema Flüchtlingskrise hat die EU-Kommission noch fünf Tage Zeit, vor allem bei osteuropäischen Mitgliedsländern Überzeugungsarbeit zu leisten. Flüchtlingskommissar Dimitri Avramopoulos fuhr nach Budapest und kritisierte Ungarn für die Abriegelung seiner Grenze nach Serbien. Man sei sich zwar einig darüber, dass die EU-Außengrenze geschützt werden müsse - "aber wir waren uns nicht immer einig über die Mittel". Grenzzäune würden nur Spannungen schaffen und könnten zu Gewalt führen, sagte der Kommissar. Außerdem sei es "unsere Christenpflicht", den überwiegend syrischen Kriegsflüchtlingen zu helfen.

Doch gerade gegen die will der ungarische Premier Viktor Orban, wie er im Interview mit der Zeitung "Die Welt" darlegte, das christliche Abendland verteidigen. Seine Regierung schlug deswegen neue Projekte zum Schutz der EU-Grenzen vor: Man solle mit eigenen Sicherheitskräften die griechische Ostgrenze abriegeln und Flüchtlingslager außerhalb der Union bauen. Aufnahmequoten von Flüchtlingen lehnt Budapest weiterhin strikt ab. Ähnliche Töne kommen aus der Slowakei, wo Regierungschef Roberto Fico erklärt: "Niemand wird uns vorschreiben, was wir tun." Auf dieser Basis dürfte eine Einigung in der nächsten Woche schwer werden.

Europäische Hilfe für Mazedonien

Erweiterungskommissar Johannes Hahn war am Donnerstag auf dem Weg nach Skopje. Gerade das Kandidatenland Mazedonien brauche derzeit europäische Hilfe, sagte er im Interview mit der DW. "Sie mussten eine innenpolitische Krise überwinden (…) und brauchen jetzt Unterstützung in der Flüchtlingskrise, denn sie sind auch ein Opfer, nicht Auslöser dieser Probleme." Mazedonien soll vor allem Geld für Unterkünfte, Verpflegung und Versorgung der durchreisenden Flüchtlinge bekommen.

Grenzöffnung zwischen Ungarn und Österreich 1989
Das Foto von der Grenzöffnung zwischen Ungarn und Österreich 1989 hängt im Büro von Johannes HahnBild: DPA

Hahn befürchtet allerdings, dass derzeit einige osteuropäische Länder eine Art neuen Eisernen Vorhang durch den Kontinent ziehen wollen: "Das macht mich sehr traurig, weil viele von uns lange gekämpft haben, diese Art von eisernen Vorhängen niederzureißen." Alles, was man dagegen tun könne, sei, Überzeugungsarbeit zu leisten und zu erklären, wofür Europa steht: "Europa bedeutet Zusammenarbeit, füreinander da zu sein, sich zu unterstützen, einfach eine Familie zu sein. Und du kannst keine Familie sein, wenn du Zäune hast."

Abschottung in Osteuropa hat historische Gründe

"Ein Eiserner Vorhang wird jetzt um die EU herum hochgezogen, und im Inneren werden alle möglichen Mauern gebaut", sagt Judy Dempsey vom Politikinstitut Carnegie Europe. Sie sieht historische und kulturelle Gründe hinter der Verweigerungshaltung osteuropäischer Länder: "Das erste Mal seit 1938 sind die Osteuropäer mit der Idee konfrontiert, dass sie Fremde aufnehmen sollen." Polen zum Beispiel sei vor dem Zweiten Weltkrieg ein ethnisch buntes Land gewesen, und wurde nach 1945 ethnisch homogen und überwiegend katholisch. In der älteren Generation lebe daher eine "Angst vor dem Anderen". Polen, Slowaken, Tschechen und Ungarn insbesondere gingen davon aus, dass sie christliche Länder in einem christlichen Europa sind. Was bei ihnen fehle, sei die Erfahrung mit anderen Kulturen - auch in den Jahrzehnten des Kommunismus.

Judy Dempsey Carnegie Foundation Europe
Judy Dempsey: Üble Rhetorik aus Osteuropa gegen MerkelBild: Carnegie Foundation Europe

Was sollte die EU also tun? Dempsey rät vor allem von Zwängen ab: Das wäre schlecht für die Flüchtlinge, die dort leben sollten, und vor allem würde das als Übergriff Deutschlands gesehen. "Gegen Angela Merkel richtet sich ziemlich üble Rhetorik aus Osteuropa. Dabei hat sie diese Länder immer verteidigt und in Schutz genommen", so die Politik-Expertin. Sie erwarte jetzt ein bisschen Geben und Nehmen in der Flüchtlingsfrage, aber davon sei derzeit keine Rede. Die EU solle in der nächsten Woche die Nerven behalten und den Ländern ruhig erklären, wie komplex die Flüchtlingsproblematik sei - und dass sie zunächst noch schlimmer werde, bevor ein Abflauen zu erwarten ist. Notfalls werde es darauf hinaus laufen, dass die westeuropäischen Staaten die Last untereinander teilen.