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Ein Leben über den Verhältnissen

Irene Quaile-Kersken8. August 2016

Wir haben bereits jetzt die Ressourcen der Erde für das Jahr 2016 komplett ausgeschöpft. Dr. Mathis Wackernagel vom Global Footprint Network, erklärt der DW, warum die Weltgemeinschaft schnell handeln muss.

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Windräder Braunkohlebagger
Bild: picture-alliance/dpa

Es war der 19. Dezember, als die Menschheit das ökologische Budget der Erde für das Jahr 1987 überschritt. Der vom Global Footprint Network ins Leben gerufene jährliche Welterschöpfungstag soll uns seitdem an die Grenzen unseren Planeten erinnern. Im Jahr 2016 lebt die Menschheit bereits seit dem 08. August über ihren Verhältnissen. Laut der Nichtregierungsorganisation Germanwatch haben wir in Deutschland unseren Anteil an den natürlichen Ressourcen schon am 29. April 2016 verbraucht.

Mathis Wackernagel, Präsident und Mitgründer des Global Footprint Network, erzählt der DW im Interview, was wir vom ökologischen Fußabdruck lernen können und warum die Weltgemeinschaft unabhängig von Ressourcen werden muss.

Deutsche Welle: Was ist gemeint, wenn wir vom ökologischen Fußabdruck sprechen?

Mathis Wackernagel: Der ökologische Fußabdruck ist ein sehr einfaches Rechnungssystem, das die Welt von einer materiellen Perspektive betrachtet, ein bisschen so wie ein Landwirt. Zunächst messen wir, wie viel ökologisch produktives Land wir haben, also wie groß unsere Farm als Land, Region oder Weltgemeinschaft ist. Dann vergleichen wir das mit unserem Fußabdruck, der misst, wie viel Land gebraucht wird, um alles was ich brauche zu produzieren, von Orangensaft zu Kartoffeln und Baumwolle, um das bei der Verbrennung von fossilen Brennstoffen entstandene CO2 zu absorbieren, und um die Städte, in denen wir leben, unterzubringen. Dadurch können wir den Bedarf der Menschen an die Natur mit den Kapazitäten, die die Natur tatsächlich hat, vergleichen.

Mathis Wackernagel, Founder and CEO, Global Footprint Network
Mathis Wackernagel entwickelte das Konzept des ökologischen Fußabdrucks im Rahmen seiner DoktorarbeitBild: M. Wackernagel

Wie passt der CO2-Fußabdruck in das Gesamtkonzept des ökologischen Fußabdrucks?

Der CO2-Fußabdruck macht heutzutage einen immer größeren Teil des ökologischen Fußabdrucks aus. Wenn wir das 2-Grad-Ziel von Paris verfolgen, dann bräuchten wir einen CO2-Fußabdruck, der bis 2050 bei Null liegt. Aber das Problem, das uns dabei limitiert, ist die Fähigkeit der Erde, sich zu erholen. Wir haben Nutzungsformen, die um diese Kapazität zur Erholung konkurrieren. Eine davon ist für Nahrungsmittel. Doch wenn wir die CO2-Konzentration in der Atmosphäre nicht erhöhen wollen, müssen wir Platz übrig lassen für die Abscheidung von CO2, zum Beispiel durch Wälder. Das steht in Konkurrenz zueinander.

Aktuell macht der CO2-Fußabdruck über 60 Prozent des ökologischen Fußabdrucks des Menschen aus. Unsere Wirtschaft basiert sehr stark auf fossilen Brennstoffen, und das ist die Herausforderung, mit der wir uns konfrontiert sehen. Wir haben uns darauf geeinigt, dass es inakzeptabel für die Menschheit ist, die globale Erwärmung über zwei Grad Celsius ansteigen zu lassen. Und das führt dann ganz klar dazu, dass wir uns materiell beschränken müssen.

Symbolbild Globalisierung
Um den Bedarf der Menschheit an den Ökosystemleistungen der Erde zu decken, wären 1,6 Planeten nötigBild: picture-alliance/dpa

Was würde das in der Praxis bedeuten?

Das bedeutet, dass wir nicht mehr als 20 Jahre bei dem aktuellen Emissionsniveau bleiben können. In einem sehr kurzen Zeitfenster müssen wir aus der Nutzung von fossilen Brennstoffen aussteigen.

Dieses Jahr ist der 8. August bereits Welterschöpfungstag. Was heißt das?

Der Welterschöpfungstag sagt aus, dass wir dieses Jahr gerade so viel an natürlichen Ressourcen vom 1. Januar bis zum 8. August genutzt haben, dass es der Erde möglich ist, diese für ein Jahr zu erneuern. Es ist so, als hätten wir unser ganzes Geld, das uns für das Jahr zur Verfügung steht, bis zum 8. August bereits ausgegeben.

Wie funktioniert das? Wie lässt sich das berechnen?

Wir nutzen UN-Statistiken, um alle Bedürfnisse der Menschheit, wie zum Beispiel nach Nahrungsmitteln, Textilien und Energie, zu addieren und auf die Fläche umzurechnen, die es braucht, um die Ressourcen zu erneuern. Wir vergleichen das dann damit, wie viel Land verfügbar ist auf der Erde, um eine Erneuerung zu gewährleisten. Im Moment brauchen wir die Materialien und Energie, die uns die Natur liefert, um 60 Prozent schneller auf, als diese wieder nachwachsen kann.

Wo stehen wir im Jahr 2016 im Vergleich zu vorherigen Jahren?

Die globale Überlastung ist dieses Jahr etwas höher als letztes Jahr, so zeigen es unsere Berechnungen bisher. Der Anstieg ist langsamer als noch vor 10-15 Jahren, aber es ist immer noch ein Anstieg. Selbst wenn wir die Überlastung verringern, können wir nicht sehr lange bei solch einem Überlastungszustand bleiben.

Ölfeld in China
Der CO2-Fußabdruck macht 60 Prozent des ökologischen Fußabdrucks aus - auch dank ÖlförderungBild: picture-alliance/dpa/W. Hong

Wenn wir weiter die Erde überlasten, wird dann irgendwann der Zeitpunkt kommen, an dem nichts mehr übrig ist, oder können wir unheimlich viel zerstören ohne die Konsequenzen direkt zu spüren - bis es vielleicht zu spät ist?

Das ist ein bisschen so wie beim Geld: Wenn du ein großes Vermögen hast, kannst du viel ausgeben und für eine Weile über deine Verhältnisse leben. Und die Natur hat einiges an Vermögen. Deswegen sind die Konsequenzen nicht unmittelbar zu spüren und oft weit weg. Ein Aspekt ist, wie viel CO2 wir ausstoßen können. Dann sind da noch andere Aspekte, wie die Überbeanspruchung von frischem Wasser und Fischgründen. Wir leben in einer globalisierten Welt, in der wir Lebensmittel von weit entfernten Orten bekommen, weswegen wir die Übernutzung in unserem Leben nicht zwingend mitbekommen. Wir sind durch hohe Einkommen abgeschirmt.

Doch die Frage ist: Werden wir immer diesen Einkommensvorteil haben, um die Extra-Ressourcen zu bekommen? Das relative Einkommen in der Schweiz zum Beispiel, wo ich aufgewachsen bin, und die Schweiz ist nicht viel anders als Deutschland, ist im Vergleich zum Rest der Welt am schwinden, weil China und Indien viel größere Wachstumsraten haben. Relativ gesehen bekommen die Schweizer immer weniger vom globalen Einkommenskuchen ab. Aber was heißt das? Wenn die Schweiz nicht so viel verdient wie andere, könnte es für sie schwierig werden die Ressourcen von irgendwo anders herzubekommen.

Wenn wir nicht nur Länder wie Deutschland und die Schweiz in Bezug auf Gerechtigkeit und Chancengleichheit betrachten, ist es da nicht verständlich, dass die Menschen in Entwicklungsländern sagen, "reduziert ihr euren Konsum zuerst, wir müssen noch wachsen"?

Natürlich will jeder ein besseres Leben haben und jeder sollte das Recht darauf haben. Dem sind wir auch verpflichtet mit den nachhaltigen Entwicklungszielen der Vereinten Nationen. Aber wir müssen das auf eine Art machen, die uns nicht zerstört. Manche Länder sind in ziemlich schwierigen Positionen. Indien hat eine sehr geringe Biokapazität im eigenen Land, und ein geringeres Einkommen. Der Bedarf in Indien ist jetzt schon doppelt so groß, als das Land das selbst zur Verfügung hat. Das macht Indien extrem verwundbar.

Indien Dürre ausgetrockneter Wasserreservoir in Gujarat
Indien hat eine geringe Biokapazität, doch Bevölkerung und Bedarf steigenBild: Getty Images/AFP/S. Panthaky

Es wäre für jeden fantastisch ein besseres Leben zu haben, aber unser Entwicklungsmodell ist sehr ressourcenintensiv. Wir bringen uns selbst und die Menschen mit dem niedrigsten Einkommen in Gefahr, weil wir einen Fortschritt schaffen, den wir nicht beibehalten können.

Gibt es irgendwelche Länder, die ein gutes Beispiel sind beim Anpacken des Problems, dass unser Fußabdruck zu groß ist, und die ihren eigenen Ressourcenverbrauch einschränken?

Deutschland ist ein Pionier gewesen in der Energiewende und startet langsam damit sein Energiesystem umzubauen. Aber das Land ist immer noch zu sehr von Ressourcen aus dem Ausland abhängig. Würde jeder so leben wie in Deutschland, würde es etwa drei Planeten brauchen, um diese Art des Lebens zu unterstützen. Costa Rica dekarbonisiert sein Stromnetz, und macht ziemlich viele Fortschritte. Aber insgesamt würde ich sagen, dass Geschwindigkeit und Größenordnung des Wandels bisher nicht ausreichen, um innerhalb des 2-Grad-Ziels zu bleiben.

Mit jeder Entscheidung, die wir treffen, z.B. über die Entwicklung von Infrastruktur, sollten wir uns immer die Frage stellen: Hilft uns unser Handeln, unabhängiger von Ressourcen zu werden? Und machen wir das auf eine Art, die uns besser dastehen lässt? Worauf wir wirklich mehr Wert legen müssen, ist, wie wir unsere Länder stärker machen in einer Welt, die weniger ressourcenabhängig ist. Ich denke, wir haben den gemeinsamen Glauben, dass wir etwas Gutes für die Erde machen müssen. Aber niemand will sein Leben aufgeben für unseren Planeten. Der entscheidende Punkt ist, dass der Wandel ein Vorteil für jeden einzelnen Akteur ist.

Das Interview führte Irene Quaile-Kersken.