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Politik

Die Waffen des IS

28. Februar 2018

Der sogenannte Islamische Staat war bestens mit Waffen und Munition versorgt. Auch aus europäischer Fertigung. Nach dreijähriger Forschung lässt sich der Weg der Waffen nachzeichnen.

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IS Kämpfer Archivbild 2013
Bild: picture alliance/ZUMA Press/M. Dairieh

Militärisch ist der sogenannte Islamische Staat weitestgehend besiegt. Das zwischenzeitlich rund 100.000 Quadratkilometer breite Herrschaftsgebiet in Syrien und im Irak ist bis auf einige Widerstandsnester befreit. Um die Terrormiliz zu besiegen, brauchte es aber eine über 60 Nationen umfassende Koalition und mehr als drei Jahre Zeit. Vor allem die Zivilbevölkerung in den befreiten Gebieten zahlte einen hohen Preis. Zehntausende sind gestorben. Die IS-Hauptstadt Rakka in Syrien liegt in Trümmern, ebenso Mossul, Ramadi oder Tikrit im Irak.

Dass sich der IS so lange halten und seine Herrschaft so blutig verteidigen konnte, hatte nicht nur mit dem Fanatismus seiner Anhänger zu tun. Mindestens so wichtig war der stete Strom von Waffen und Munition an die Dschihadisten. Ein beträchtlicher Teil dieser Waffen kam aus NATO-Ländern in Europa – auf Umwegen über die USA und Saudi-Arabien. Das hat die internationale Organisation Conflict Armament Research (CAR) in dreijähriger gefährlicher Kleinarbeit dokumentiert.

Dokumentation an der Frontlinie

Wenn sich zwischen Juli 2014 und November 2017 die Frontlinie verschob, waren Expertenteams von CAR vor Ort. Sie nahmen Waffen und Ausrüstung unter die Lupe, die der Anti-IS-Koalition beim Kampf gegen die Terrormiliz in die Hände gefallen waren. Zwischen Kobane an der syrisch-türkischen Grenze und der irakischen Hauptstadt Bagdad stellten die CAR-Experten dabei knapp 2000 Waffen und mehr als 40.000 Stück Munition sicher. Und sie machten sich daran, anhand von Herstellerhinweisen und Seriennummern die Lieferwege nachzuzeichnen. Finanziert wurde die Untersuchung von der Europäischen Union und dem deutschen Außenministerium.

Damian Spleeters ist Leiter der CAR-Operationen in Syrien und im Irak und der Hauptautor des veröffentlichten Berichts. Im DW-Interview erklärt Spleeters, was ihn besonders erstaunt hat: "Wie schnell einzelne Waffen nach ihrem Export den Weg in die Arsenale des IS gefunden haben." Als Beispiel nennt Spleeters eine Anti-Panzer-Rakete aus bulgarischer Fertigung. Die war im Dezember 2015 an die USA verkauft worden. Noch nicht einmal zwei Monate später wurde sie nach der Rückeroberung Ramadis von irakischen Soldaten bei zurückgelassener IS-Ausrüstung sichergestellt.

Wertlose Endverbleibserklärung

Ob der IS die Waffen auf dem Schlachtfeld erbeutet hat, ob er sie von übergelaufenen Kämpfern erhielt oder von konkurrierenden Gruppen gekauft hat, ist unbekannt. Der Weg der Anti-Panzer-Waffe lässt sich nur zum Teil zurückverfolgen. Immerhin: Bulgarien hat gegenüber CAR den Export in die USA bestätigt. Die Anti-Panzer-Rakete war dort an die US-Firma Kiesler Police Supply geliefert worden. Dem Antrag auf die Exportlizenz war vorschriftsgemäß eine Endverbleibserklärung des US-Militärs beigefügt. Die hätte eigentlich garantieren sollen, dass die US-Streitkräfte das Kriegsgerät nicht an Dritte weitergeben. Die USA aber hielten sich nicht daran. Die Waffen landeten umgehend im Mittleren Osten. CAR-Experte Spleeters sieht darin einen Beleg, dass "sehr wichtige Importeure wie Saudi-Arabien und die USA, die wichtige Kunden europäischer Waffenhersteller sind, die Grundlagen europäischer Waffenexporte nicht respektieren: eben die Endverbleibserklärungen".

Das ist aber möglicherweise nur die halbe Wahrheit. Nach Überzeugung von Patrick Wilcken wussten entlang der Vertriebskette alle Beteiligten darüber Bescheid, dass die Waffen trotz anderslautender Papiere letzten Endes für das syrisch-irakische Kriegsgebiet bestimmt waren. Der Waffenkontrollspezialist von Amnesty International sagte der DW, es wäre "sonderbar, wenn die beteiligten Staaten nicht das Ziel der Waffen gekannt hätten". 

Milliardenschwere "Waffen-Pipeline"

Das gilt auch für die umfangreichen Exporte von speziell osteuropäischen Waffen an Saudi-Arabien – und die Weitergabe an bewaffnete Gruppen in Syrien. Vor dem syrischen Bürgerkrieg hatte Saudi-Arabien noch nie Interesse an Waffen aus osteuropäischer Fertigung gezeigt. Sie passen nicht zur Ausrüstung der saudischen Truppen. Die werden mit Waffen aus den USA und Westeuropa ausgerüstet. CAR konnte dennoch eine ganze Reihe von IS-Militärmaterial auf Exporte von Bulgarien an Saudi-Arabien zurückführen. 

Bereits 2016 belegten Recherchen des "Balkan Investigative Reporters Network" sowie des "Organized Crime and Corruption Reporting Project" einen florierenden Waffenhandel zwischen acht ost- und südosteuropäischen Ländern auf der einen Seite und Saudi-Arabien, Jordanien, den Vereinigten Arabischen Emiraten und der Türkei auf der anderen Seite. Kalaschnikows, Maschinengewehre, Raketenwerfer und Flugabwehrsysteme im Wert von 1,2 Milliarden Euro flossen demzufolge ins Krisengebiet. Für den Amnesty-Waffenexperten Wilcken untermauert der CAR-Bericht denn auch "Untersuchungen anderer über die aktive Beteiligung der USA und osteuropäischer Staaten an der sogenannten Waffen-Pipeline, die bis nach Saudi-Arabien und dann in den Konflikt reichte." 

Bulgarische Waffen für den Dschihad

Im DW-Gespräch ergänzt Wilcken, im Syrien-Konflikt sei der rege Transfer von Waffen in der ganzen Region frühzeitig erkennbar gewesen. "Und es hat keine Möglichkeit gegeben, zu kontrollieren, wo die Waffen enden würden, nachdem sie einmal in der Region waren." Für CAR-Waffeninspekteur Damian Spleeters zeigen die Ergebnisse: "Wenn eine dritte Partei Waffen an irgendeine Gruppe im Konflikt in Syrien und Irak verteilt, wird sie damit letztendlich die IS-Kriegsmaschine füttern." 

"Unser größtes Problem sind unsere Alliierten"

Der frühere US-Vizepräsident Joe Biden äußerte sich ähnlich, als er vor Studenten in Harvard die Rolle der US-Verbündeten Türkei, Saudi-Arabien und Vereinigte Arabische Emirate im Syrien-Konflikt beleuchtete – und die der USA dabei geflissentlich verschwieg. In derFrage-und-Antwort-Runde am Ende eines Vortrags sagte Biden am 2. Oktober 2014, dass die US-Verbündeten das größte Problem in der Region gewesen seien: "Was haben die Türken, die Saudis, die Emiratis gemacht? Sie waren so entschlossen, Assad zu Fall zu bringen, dass sie einen Sunni-Shia-Stellvertreterkrieg entfesselt haben." Die Verbündeten hätten Hunderte Millionen Dollar und Tausende Tonnen Waffen an jeden verteilt, der bereit war, gegen Assad zu kämpfen. Bidens Fazit: "Nur dass die Leute, die da ausgestattet wurden, Al-Nusra, Al-Kaida und extremistische Dschihadisten aus anderen Teilen der Welt waren". 

Fest steht: Der IS war stärker als er hätte sein müssen. Und der Kampf gegen ihn dauerte länger und forderte deutlich mehr Opfer als nötig. Weil auswärtige Mächte massenhaft Waffen in die Region lieferten, die ihren Weg in die Hände des IS fanden. Und weil europäische Endverbleibserklärungen das Papier nicht wert waren, auf dem sie standen. 

Matthias von Hein
Matthias von Hein Autor mit Fokus auf Hintergrundrecherchen zu Krisen, Konflikten und Geostrategie.@matvhein