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Deutschland in Zeiten des Terrors

Christoph Strack20. November 2015

Die Attentate in Paris haben auch das politische und gesellschaftliche Leben in Deutschland verändert. Mit welchen Folgen, ist noch unklar.

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Polizisten patroullieren auf dem Weihnachtsmarkt in Frankfurt am Main. Die Aufnahme stammt aus dem Jahr 2014.
Bild: picture-alliance/dpa/F.von Erichsen

Und plötzlich werden Weihnachtsmärkte zum Zeichen der Freiheit. Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) rief die Deutschen am Mittwoch auf, weiterhin öffentliche Veranstaltungen zu besuchen, in Fußballstadien zu gehen, über Weihnachtsmärkte zu flanieren. Die Sicherheitsbehörden seien "wachsam und gut aufgestellt". So kündigen landauf, landab die Betreiber von Weihnachtsmärkten eigene Sicherheitsmaßnahmen an bis hin zum Verbot von Rucksäcken. Es kämen, heißt es beispielsweise in Berlin, verstärkt Polizeistreifen zum Einsatz.

Die Zeiten ändern sich. In den vergangenen Jahren vermeldeten die Behörden der deutschen Hauptstadt schon fast routiniert stolz den Einsatz von Polizisten in Zivil gegen "Banden von Taschendieben" im adventlichen Rummel. Nun sollen gerade die Uniformen Besucher beruhigen.

Gauck spricht von einer "neuen Art von Krieg"

Mag sein, dass Weihnachtsmärkte überall im Land den Tourismus ankurbeln und längst ein Milliardengeschäft sind. Aber vor allem sind sie nach dem Terror von Paris und der Angst von Hannover ein Symbol. Symbol von Normalität und von Freiheit, Erinnerung an ein Leben vor der Angst. Damit stehen sie ein wenig auch für die Linie der Bundesregierung. Deren Kurs lässt sich, knapp eine Woche nach den Anschlägen im Herzen der französischen Hauptstadt, am Umgang mit einem Wort festmachen: Krieg.

Bundespräsident Joachim Gauck am Volkstrauertag
Bundespräsident Joachim Gauck am Volkstrauertag im Berliner ReichstagsgebäudeBild: Getty Images/AFP/T. Schwarz

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und ihre Kabinettsmitglieder sprechen von vielem. Nicht aber von Krieg. Dabei hatte Bundespräsident Joachim Gauck keine 48 Stunden nach Paris genau diesen Begriff verwendet. Von "Zeiten, in denen wir Opfer einer neuen Art von Krieg beklagen" sprach er beim Gedenken zum Volkstrauertag im Reichstag. Auch von Kriegsführung. Kaum zu vermuten, dass die angesichts der aktuellen Nachrichten neu formulierte Redepassage in der Kürze der Zeit mit irgendjemandem in der Bundesregierung abgestimmt wurde.

Merkel spricht lieber von der "Jagd auf die Täter"

Die Bundeskanzlerin setzte seit dem Beginn der aktuellen Krise auf einen anderen Kurs. Als sie sich am Morgen nach - so Merkel - "einer der schrecklichsten Nächte, die Europa seit langer Zeit" erlebt hat, öffentlich äußerte, sprach sie von der "Jagd auf die Täter" und dem gemeinsamen "Kampf gegen die Terroristen". Und sagte fast beschwörend: "Wir wissen, dass unser freiheitliches Leben stärker ist als jeder Terror." Vier Tage später äußerte sich die Regierungschefin erneut. Da hatte bei ihr das "Sicherheitskabinett" schon mehrfach getagt, da war das Länderspiel der deutschen Elf gegen die Niederlande in Hannover in einer Atmosphäre höchster Nervosität abgesagt worden, da lief in Paris ein martialischer Einsatz der Sicherheitskräfte gegen Terroristen.

Kanzlerin Angela Merkel am Morgen nach den Pariser Attentaten
Kanzlerin Angela Merkel am Morgen nach den Pariser AttentatenBild: picture-alliance/dpa/K. Nietfeld

Die 20 Zeilen des Statements von Merkel erläutern das "Spannungsfeld von Freiheit und Sicherheit". Dem folgen all ihre Minister. Ob der gelegentlich unsicher in der Wortwahl wirkende Thomas de Maizière, ob Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU), ob der auf allen Kanälen redende Heiko Maas (SPD). Im DW-Interview spricht er von Anschlägen "auf alle und auf die Art, wie wir leben, in einer freien Gesellschaft, mit Meinungsfreiheit, mit Religionsfreiheit, mit Respekt und Toleranz gegenüber anderen". Maas wirkt da sprachlich wie der Musterschüler Merkels.

Wieder eine große Koalition

Dass sich am Donnerstag aus dem fernen Maputo im südlichen Afrika der deutsche Außenminister förmlich zu Wort meldete, zeigt, dass der deutsche Kurs "Sicherheit, Freiheit - kein Krieg" Gegenwind bekommt. Da beschwor Frank-Walter Steinmeier (SPD) den deutsch-französischen "Schulterschluss" und mahnte: "Worte der Solidarität sind wichtig, aber nicht genug." Deutschland könne "in vielen Punkten Seite an Seite mit Frankreich schnell vorankommen". Steinmeier nennt unter diversen Punkten zwar auch den Einsatz der Bundeswehr (im so unruhigen Mali), spricht aber nicht von Krieg oder Einsätzen rund um Syrien. Das wird eine kritische Sicht aus Paris auf Deutschland kaum besänftigen.

Aber immerhin ist die Große Koalition, die sich vor Wochenfrist im Zank um den Umgang mit dem Flüchtlingsthema steigerte, wieder eine große Koalition. Selbst bei der CSU, die sich mit ihrer Kritik wegen der Öffnung der Grenzen auf Merkel eingeschossen hatte, wird die Kanzlerin beim Parteitag in München am Freitagabend ernsthaft angehört werden. Und gewiss wird sie so lange von der notwendigen Sicherung der Schengen-Außengrenzen reden, bis die Christsozialen ihr zustimmen.

Die Sorge wächst - auch die Angst?

Es ist ihr erster großer öffentlicher Auftritt nach Paris. Am Freitag zeigte der ARD-Deutschlandtrend, dass Terror und Länderspiel-Absage nur zu marginalen Verschiebungen in der Wählergunst führten. Und dass die Deutschen mit überwältigender Mehrheit für verschärfte Sicherheitsmaßnahmen im Inland plädieren. Daraus spricht Besorgnis, auch Angst. Aber man kann fast wetten, dass viele Minister in den kommenden Wochen Weihnachtsmärkte besuchen werden.