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Deutschland steht vor "Coronavirus-Epidemie"

26. Februar 2020

Gesundheitsminister Spahn warnt angesichts neuer Infektions- und Verdachtsfälle im Westen und Südwesten Deutschlands und spricht von einer bevorstehenden Epidemie. Auch in anderen europäischen Ländern gibt es neue Fälle.

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Deutschland Düsseldorf | Uni-Klinik Infektionsstation | Thema Coronavirus
In der Düsseldorfer Uni-Klinik liegen die ersten Corona-Patienten Nordrhein-WestfalensBild: picture-alliance/AP Photo/M. Meissner

Deutschland steht laut Gesundheitsminister Jens Spahn "am Beginn einer Coronavirus-Epidemie". Die Situation habe sich binnen Stunden geändert. Die Infektionsketten könnten teilweise nicht mehr nachvollzogen werden, sagte Spahn. "Das ist eine neue Qualität." Im Südwesten beziehungsweise im Westen Deutschlands sind am Mittwoch fünf neue Fälle bestätigt worden, während die Lage in Italien weiter angespannt bleibt und weitere europäische Länder Infektionen mit dem Coronavirus vermelden. Nichtsdestotrotz sind "Reisebeschränkungen im Moment nicht nötig", so Spahn.

"Das Virus ist uns deutlich nähergerückt", sagte Regierungssprecher Steffen Seibert. Spahns Gesundheitsministerium bildete gemeinsam mit dem Innenministerium unter Horst Seehofer einen Krisenstab.

Weitere Fälle in Baden-Württemberg

Im südwestlichen Bundesland Baden-Württemberg erhöhte sich die Zahl der bestätigten Corona-Fälle auf vier. Die Universitätsklinik Tübingen vermeldete zwei Patienten, die positiv auf das Virus getestet wurden. Am Dienstag war im Landkreis Göppingen ein erster COVID-19-Fall bestätigt worden. Der 25-Jährige hatte sich laut Behörden vermutlich während einer Italienreise in Mailand angesteckt. Der Patient habe nach seiner Rückkehr grippeähnliche Symptome gezeigt und daraufhin Kontakt mit dem örtlichen Gesundheitsamt aufgenommen. Nach Angaben des Landratsamtes hatte der Patient 13 Personen genannt, mit denen er nach seiner Rückkehr Kontakt hatte. Sie alle sind inzwischen kontaktiert worden. Bei den beiden Tübinger Fällen handelt es sich laut dpa um die Reisebegleiterin des Mannes und um ihren Vater, der selbst Oberarzt am Klinikum Tübingen ist. Ein vierter Patient hatte sich Berichten zufolge in Italien infiziert.

Italien: Menschen mit Anti-Coronavirus-Masken in Rom
Atemschutzmasken - auch im deutschsprachigen Raum sieht man sie inzwischen öfterBild: picture-alliance/M. Nardone

Sorge vor Ausbreitung in NRW

In NRW wurde am Mittwochmittag ein zweiter Fall bestätigt, nachdem ein Mann aus dem Kreis Heinsberg nahe der Grenze zu den Niederlanden positiv getestet worden war. "Bei der zweiten Person, aus dem engen persönlichen Umfeld des Patienten, liegt nun auch ein positives Testergebnis vor", teilte die Universitätsklinik Düsseldorf mit. Nach Angaben von NRW-Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann handelt es sich um seine 46-jährige Ehefrau. Die Frau arbeite als Kindergärtnerin - die Kinder aus der Einrichtung und deren Eltern wurden laut Laumann angewiesen, zu Hause zu bleiben.

Der 47-Jährige wird nach Angaben des zuständigen Klinikdirektors weiter künstlich beatmet. Sein Zustand habe sich aber über Nacht nicht verschlechtert und gehe "tendenziell eher in eine positive Richtung", sagte der Arzt. Bislang ist nicht bekannt, wo der Mann sich angesteckt haben könnte.

Bei der Überprüfung von Kontaktpersonen des Mannes wurden zwei weitere Infektionen bekannt. Es handelt sich um eine Mitarbeiterin des schwer Erkrankten und deren Lebensgefährtin, wie ein Behördensprecher mitteilte.

Der Mann war zudem im Februar zu zwei regulären Nachsorgeuntersuchungen in der Universitätsklinik Köln. Dort war er mit 41 Personen in Kontakt gekommen, von denen nun auch eine Mitarbeiterin Symptome der Atemwegserkrankung COVID-19 zeigt. Das Ergebnis des Coronavirus-Tests stehe noch aus, sagte der Direktor der Virologie-Abteilung, Florian Klein.

Erster Fall in Rheinland-Pfalz

Auch in Rheinland-Pfalz trat das Virus bei einem Patienten auf. Es handele sich um einen Soldaten, der im Bundeswehrkrankenhaus in Koblenz behandelt werde, teilten die Streitkräfte mit. Die Bundeswehr riegelte kurzzeitig auch den Stützpunkt der Luftwaffe am Kölner Flughafen teilweise ab. Bis zur Klärung der Lage seien die Kasernentore zu gewesen, sagte der Sprecher. "Diese Sperrung ist mittlerweile aufgehoben", sagt er weiter. Bei dem Verdachtsfall handelt es sich um einen Soldaten, der laut dpa an Karneval Kontakt zu einem Infizierten aus NRW hatte.

Hotel-Quarantäne für über 100 Deutsche

Auf der Kanaren-Insel Teneriffa müssen nach einer Entscheidung der spanischen Behörden rund 1000 Touristen zwei Wochen lang im abgeriegelten Hotel H10 Costa Adeje Palace bleiben. Nach Einschätzung des Auswärtigen Amts ist davon auch eine "niedrige dreistellige Anzahl Deutsche" betroffen. "Unser Konsulat in Las Palmas de Gran Canaria und auch der Honorarkonsul auf Teneriffa verfolgen die Entwicklungen genau und standen bereits mit einigen Betroffenen telefonisch in Kontakt", teilte das Ministerium mit.

Frankreich | Coronavirus in Paris
Frankreich meldet Coronafälle, weiß jedoch nicht, wo die Männer sich anstecktenBild: picture-alliance/NurPhoto/J. Gilles

Neuer Todesfall in Frankreich

In Frankreich ist ein zweiter Patient an den Folgen der Atemwegserkrankung gestorben. Nun suchen die Gesundheitsbehörden im nordfranzösischen Département Oise nach dem Ursprung des dortigen Corona-Herds: Ein 60-Jähriger aus der Region war an COVID-19 gestorben, ein fünf Jahre jüngerer Patient ist in schlechtem Zustand. Der Verstorbene war Lehrer, er hatte jedoch schon seit mehreren Wochen nicht mehr gearbeitet. Beide galten zunächst nicht als Verdachtsfälle und hatten sich laut Behörden zuvor in keiner der betroffenen Regionen aufgehalten. In Oise wurde ein Krisenstab eingerichtet.

Mehr neue Fälle außerhalb als innerhalb Chinas

Die Weltgesundheitsorganisation WHO verkündete am Mittwoch eine neue Entwicklung bei den Neuerkrankungen: Erstmals wurden mehr neue Fälle in anderen Ländern registriert als in China. China meldete am Dienstag 411 neue Infektionen, alle anderen Länder zusammen 427. Die Atemwegserkrankung hatte in der Millionenstadt Wuhan ihren Ursprung genommen und sich zunächst in China ausgebreitet, inzwischen gelten neue Krankheitsherde in Südkorea, Iran und Italien als besonders betroffen. In Italien sind inzwischen 12 der gut 320 bestätigten Corona-Patienten gestorben.

Wissenschaft gegen Coronavirus

Zuletzt meldeten neben weiteren europäischen Ländern auch Staaten in Asien, Afrika und Südamerika neue Fälle. Das brasilianische Gesundheitsministerium bestätigte offiziell den ersten Corona-Fall Lateinamerikas, außerdem stehen 20 Verdachtsfälle unter Beobachtung. Auch in Südosteuropa ist das Virus auf dem Vormarsch: Am Mittwoch meldeten Griechenland und Nordmazedonien erste Fälle, zuvor waren bereits zwei Fälle in Kroatien bekannt geworden.

Die USA haben ihre Hinweise für US-Bürger, die in betroffene Regionen reisen, verschärft. Am Abend (Ortszeit) will US-Präsident Trump eine Pressekonferenz zum Corona-Thema abhalten. US-Gesundheitsbehörden zählen bislang 59 infizierte Staatsbürger, darunter Passagiere des Kreuzfahrtschiffs "Diamond Princess". Derweil rief Litauens Regierung, obwohl in dem baltischen Land noch keine Fälle aufgetreten sind, vorsorglich den Notstand aus, um rasch reagieren zu können.

81.000 Patienten weltweit

Laut WHO sind weitweit inzwischen knapp 81.000 Corona-Patienten registriert; 96,5 Prozent davon in China. Weltweit sind bislang mehr als 2700 Menschen an der durch das Virus ausgelösten Atemwegserkrankung COVID-19 gestorben. 

Italien Coronavirus Casalpusterlengo
Aus Sorge vor Engpässen gibt es in Italien immer mehr Hamsterkäufe - mit Masken Bild: picture-alliance/dpa/C. Furlan

Die Gesundheitskommissarin der Europäischen Union, Stella Kyriakides, beteuerte, die EU setze alles daran, ihre Bürger vor dem Virus zu schützen. Die Lage könne sich jedoch rasch ändern. "Die Europäische Union ist noch in der Eindämmungsphase, es ist wichtig, das zu unterstreichen", sagte Kyriakides. Alle Mitgliedsstaaten sollten sich auf einen größeren Ausbruch einstellen, sagte Kyriakides. Sie sollten ihre Pandemiepläne überarbeiten und Maßnahmen mit der EU-Kommission abstimmen.

ehl/ml (dpa, afp, rtr, Bild, Tagesspiegel)