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Corona-App: Wichtig, aber nicht perfekt

22. Oktober 2020

Die Corona-Warn-App haben 19 Millionen Menschen in Deutschland auf ihrem Handy. Jetzt wird sie international besser verknüpft. Experten glauben, die App werde bei steigenden Infektions-Zahlen an Bedeutung gewinnen.

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Smartphone mit Corona Warn-APP
Bild: Imago Images/M. Weber

Seit Mitte Juni ist es eine Alltags-Routine von vielen Millionen Menschen in Deutschland: Morgens aufstehen, auf dem Handy die Corona-Warn-App (kurz CWA) öffnen und hoffen, dass es weiterhin auf grünem Grund heißt: "Niedriges Risiko, bislang keine Risiko-Begegnungen." Aber viele tausend Nutzer haben über die App eben auch erfahren, dass sie Kontakt mit einem Infizierten hatten. Wenn eine Gefahr besteht, sich angesteckt zu haben, leuchtet die App rot. Die Betroffenen können sich dann schnell testen lassen, den Arzt befragen oder sich in Quarantäne begeben.

Das alles geht auf jeden Fall weit schneller, als wenn die hoffnungslos überlasteten Gesundheitsämter allein die Nachverfolgung mühsam über Telefonate durchführen müssen. Ganz aktuell gibt es zwei prominente Bundespolitiker, die sich nach Warnungen über die App in Quarantäne begeben haben: Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) und sein Parteifreund, der Staatsminister im Auswärtigen Amt, Nils Annen.

Smartphone mit Corona Warn-APP
Hoffen auf die gute Nachricht: "Bisher keine Risiko-Begegnung"Bild: Imago images/R. Wölk

19 Millionen Mal heruntergeladen

Schnelle Information: Das war der Leitgedanke, als sich sehr früh während der Pandemie Politiker, Epidemiologen und Computer-Experten für die Erarbeitung einer Corona-Warn-App aussprachen, deren Nutzung anonymisiert und freiwillig sein sollte. Bis heute ist die App, die nach mühsamen Wochen der Erarbeitung am 16. Juni freigeschaltet wurde, in Deutschland rund 19 Millionen Mal heruntergeladen worden, von immerhin 16 Millionen Menschen wird sie auch aktiv genutzt. Betreiber der App ist das renommierte Robert-Koch-Institut in Berlin, die oberste Seuchen-Behörde des Landes. Technisch wird die Anwendung von der Telekom und dem Computer-Konzern SAP betreut, die die App auch gemeinsam entwickelt haben.

Berlin | Corona-Gipfel im Kanzleramt Markus Söder
Betrachtet App als "zahnlosen Tiger": Bayern Ministerpräsident SöderBild: Stefanie Loos/dpa/picture-alliance

Alles in allem sei sie ein Erfolg im Kampf gegen die Pandemie, befand nach einhundert Tagen Betrieb Ende September der Bundesgesundheitsminister. Jens Spahn (CDU) fügte aber auch hinzu: "Es ist ein wichtiges Werkzeug, aber eben ein Werkzeug unter vielen in dieser Pandemie." Denn von Anfang an war die App auch ein Gegenstand häufiger Kritik. Bis zuletzt: Erst vor wenigen Tagen urteilte Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU): "Die App ist leider bisher ein zahnloser Tiger. Sie hat kaum eine warnende Wirkung."

Ein holpriger Start

Tatsächlich war schon die Genese der App mehr als holprig: Erst wurde der Termin, bis wann die Anwendung nutzbar sein sollte, immer wieder verschoben. Im Betrieb selbst klagten Nutzer dann über häufige Abstürze, zwischendurch rieten die Betreiber, die App aktiv täglich zu öffnen, nur so sei ihre Funktion zu gewährleisten. Viele Experten bemängelten, die App sei erst nutzbar geworden, als die Infektions-Zahlen im Sommer auf einem niedrigen Stand angekommen seien. Der tägliche Blick aufs Handy mit der Entwarnung suggeriere den Menschen deshalb, die Pandemie sei im Wesentlichen überstanden.

Und die aktuelle Kritik Söders zielt auf eine Schwäche, die in der grundsätzlichen Freiwilligkeit und Anonymisierung der App liegt: Fast alle Nutzer informieren sich regelmäßig über ihr Handy, ob sie Kontakt zu Infizierten hatten, in der Bahn, in der Schlange im Supermarkt, im Restaurant.

Technisch geht das so: Die Corona-Warn-App registriert mit der Bluetooth-Technologie, wie lange sich Mobiltelefone wie nahe kommen. Das System funktioniert aber nur, wenn Nutzer, die positiv auf das Virus getestet wurden, diese Information auch in der App eintragen. Und das haben bislang nur 60 Prozent der Betroffenen tatsächlich getan. In Zahlen: Rund 15.000 Infizierte haben ihren positiven Test in der App hinterlegt: Jetzt, da die Ansteckungszahlen neue Höhen erklimmen, kommen täglich rund 500 hinzu.

Mehr Aufklärung nötig

Ist das viel, ist das wenig? Der SPD-Gesundheitsexperte und Bundestagsabgeordnete Karl Lauterbach, selbst Virologe, sagte dieser Tage im Gespräch mit der "Süddeutschen-Zeitung": "Die App funktioniert gut." Das System habe einige Kinderkrankheiten überwunden und werde jetzt, da die Infektionen wieder in der Höhe stiegen, seinen wahren Wert entfalten.

Auch die Digitalisierung-Expertin der Bundestagsfraktion der Linken, Anke Domscheit-Berg, sieht die Schwächen der App weniger in der Anwendung selbst, sondern im Umfeld. Sie sagt der DW: "Es fehlt an Aufklärung über Funktionen, Nutzen und den Prozess rund um die App, bei der Bevölkerung, aber auch bei Arztpraxen und Testzentren. Viele Ärzte fragen ihre Patientinnen und Patienten nicht, ob sie die CWA haben und setzen nicht das zwingend erforderliche Kreuz auf dem Laborbegleitschein, das Voraussetzung dafür ist, dass das Testergebnis in der App landet."

Deutschland Anke Domscheit-Berg ARCHIV
Brauchbare App, unzureichend genutzt: Linken-Abgeordnete Anke Domscheit-BergBild: Imago-Images/S. Zeitz

Drei Hauptfunktionen hat die App, nur die erste wird wirklich wahrgenommen. Die Nutzer erhalten Informationen darüber, ob man Infizierten nahe gekommen ist. Aber sie liefert auch Informationen über die Pandemie, und vor allem, so Domscheit-Berg: "Die App ist nicht nur dafür da, Menschen zu warnen, sondern auch dazu, ein Testergebnis viel schneller zu erhalten und um Dritte zu warnen, die man nicht einmal kennt, weil sie zum Beispiel nur im gleichen Bus saßen."

Auch die Linken-Politikerin glaubt, dass die App jetzt immer wichtiger wird: "Da die Gesundheitsämter immer öfter eine zeitnahe Kontaktverfolgung nicht mehr leisten können, kommt es mehr denn je auf die Corona-Warn-App an", so Domscheit-Berg.

App wird international

In diesen Tagen hat die App schon mal eine weitere Aufwertung erfahren, die ihre Attraktivität vielleicht steigert: Sie wird jetzt international. Seit Montag dieser Woche tauscht die deutsche Anwendung Warnungen mit den Apps aus Irland und Italien aus, später sollen etwa Dänemark, Lettland und Spanien folgen, noch etwas später zum Beispiel Österreich und die Niederlande. Klappt das alles, werden bis Jahresende 16 nationale Apps miteinander verbunden sein. Neu ist auch, dass Menschen, die sich mit dem Corona-Virus angesteckt haben, nun auch Informationen über Symptome und den möglichen Zeitpunkt ihrer Ansteckung hinterlegen können. Das erlaubt dann genauere Informationen in der App für die möglichen Kontaktpersonen.

Experten: Konzentration auf große Menschengruppen

Experten wie der mittlerweile bundesweit bekannte Virologe Christian Drosten von der Berliner Charite fordern außerdem, sich an der Nachverfolgung bei Ansteckungen in Japan ein Beispiel zu nehmen. Dort wird nach Ansteckungen gezielt danach gefragt, ob sich die Betroffenen in einer größeren Menschenansammlung befunden haben. Auch in Deutschland vermuten ja nicht wenige Experten, dass die Ansteckungen vor allem nach Feiern etwa mit vielen Menschen in die Höhe schnellen.

Der Sprecher des "Chaos-Computer-Clubs" (CCC), Linus Neumann, hat vorgeschlagen, auch in der Corona-Warn-App etwa Restaurant-Besuche besser zu erfassen. Das tun im Moment die Restaurants selbst, mit oft erheblichen Datenschutzproblemen. Es sieht also so aus, als wenn die Corona-App noch lange zum Alltag vieler Menschen in Deutschland gehören wird, und vielleicht auch noch mal richtig an Wert gewinnt.