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Warum Unternehmen Kritik brauchen

Claudia Lasczak9. Dezember 2015

Die Compliance, zu Deutsch Regeltreue, hat bei VW im Abgasskandal offensichtlich versagt. Heute zum Welttag gegen Korruption stellen wir die Frage: Wie gehen große Konzerne in Deutschland mit dem Thema um?

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Symbolbild Bestechung
Bild: fovito/Fotolia

Compliance Management: Ein Feigenblatt?

Matthias Müller hat Großes vor: VW werde "die strengsten Compliance- und Governance-Standards der gesamten Branche entwickeln", verkündete der neue Volkswagen-Chef bei seinem Amtsantritt im September. Große Worte, große Versprechen - ein Interview zum Thema will uns bei dem Autobauer trotzdem niemand geben.

Die Fragen, die sich alle stellen: Warum blieben die Manipulationen so lange unbemerkt? Gab es keine Hinweise? Angeblich wussten viele Mitarbeiter im Unternehmen Bescheid, so die Ermittler. Sie schätzen die Zahl der Eingeweihten auf mehrere Hundert. Doch niemand sagte etwas. Zumindest nicht so laut, dass es gehört worden wäre. Warum ist es eigentlich so schwierig, zu widersprechen, sich gegen das System zu stellen?

Für die Ingenieure von Volkswagen war der Gruppendruck wohl zu hoch, die Angst vor Repressionen und Jobverlust zu groß. Es herrsche in dem Unternehmen eine Kultur des Schweigens, sagen die Kritiker. Wie Johannes Ludwig vom Verein Whistleblower-Netzwerk.

"Bei VW gab es Whistleblower, aber die wurden intern ausgebremst", sagt Ludwig, Vereinsvorstand und emeritierter Professor der HAW Hamburg. "Details kennen wir noch nicht, aber VW wäre besser dran gewesen, hätte man die Kritik zugelassen. Man würde sich jetzt Milliarden ersparen und vor allem den Imageschaden."

Siemens als Auslöser

"Es war wie ein Krieg", erinnert sich Klaus Moosmayer. Bei ihm wirkt der Schock heute noch nach. Er war dabei, als Ermittler von Polizei und Staatsanwaltschaft im Jahr 2007 vor der Siemens-Konzernzentrale in München vorfuhren. Sie durchsuchten Dutzende Büros und trugen die Akten kistenweise hinaus.

Klaus Moosmayer
"Ohne mich zu schämen" - Klaus MoosmayerBild: DW

Es war der Beginn einer der größten Schmiergeldaffären der deutschen Wirtschaft. Über Jahre hinweg hatten Siemens-Manager weltweit Millionenbeträge gezahlt, um an lukrative Aufträge zu kommen.

Niemand hatte geahnt, wie groß das Ausmaß der Schwarzen Kassen war und wie weit verzweigt das System der Korruption in einem deutschen Vorzeigekonzern. Mehr als 2,5 Milliarden Euro Schadensersatz musste Siemens zahlen. "Viele Mitarbeiter, die in den Korruptionsskandal verstrickt waren, haben gesagt: Wir haben es nicht für uns getan, wir haben es für Siemens getan. Das ist die falsche Antwort. Ich muss mich fragen, bin ich bereit, für mich persönlich Verantwortung zu übernehmen."

Klaus Moosmayer ist heute Chief-Compliance-Officer, der oberste Korruptionsbekämpfer bei Siemens. Er hat nach dem Skandal die Compliance-Abteilung mit aufgebaut. Die gab es bis dahin nicht.

Mehr als 350.000 Mitarbeiter in aller Welt - Moosmayer betrachtet den Konzern als eine große Stadt, in der die Compliance-Abteilung die Polizei sei. Einzelfälle, so sagt er, ließen sich zwar nicht verhindern. "Aber wir müssen systematisches Fehlverhalten bekämpfen. Jeder soll sich so verhalten, als ob es sein eigenes Unternehmen wäre."

Natürlich müssen die Gesetze eingehalten werden. Doch vor allem will Moosmayer eine Kultur der Integrität entwickeln. Jeder solle sich fragen, "kann ich das, was ich heute bei der Arbeit gemacht habe, meinem Mann erzählen oder meiner Frau, meiner Mutter oder meiner Tochter, ohne mich dafür zu schämen".

Wer sagt schon gerne Nein?

Schmiergeldzahlungen, Umweltsünden, schwarze Kassen - die Liste der Regelverstöße in deutschen Unternehmen ist lang. Wurde das Thema früher wenig beachtet, war der Siemens-Skandal ein Grund dafür, dass viele Firmen in den letzten Jahren ihre Compliance-Abteilungen ausgebaut und die Richtlinien verschärft haben. In der Gesellschaft hat ein Umdenken stattgefunden. Auch, weil sich die Rechtsprechung geändert hat.

Schmiergeldzahlungen deutscher Firmen im Ausland waren bis 1998 legal. Erst das internationale Bestechungsgesetz stellte die gängige Praxis unter Strafe. Bis dahin konnten die Gelder sogar von der Steuer abgesetzt werden. Oft liefen die Zahlungen über Drittfirmen oder als Honorare in Beraterverträgen. In großen Konzernen entwickelte sich ein Unrechtsbewusstsein nur langsam.

Bei Siemens können Mitarbeiter Unregelmäßigkeiten anonym melden - telefonisch oder online über ein elektronisches Meldesystem. Im vergangenen Jahr gingen mehr als 600 Meldungen ein. Jedem Hinweis wird nachgegangen.

Wem das persönliche Gespräch lieber ist, der kann sich, ebenfalls anonym, an externe Ombudsleute wenden. Einer von ihnen ist der Rechtsanwalt Andreas von Máriássy. Er bietet einen geschützten Raum und Verschwiegenheit für die Tippgeber: "Die wissen, ich bin nicht Siemens. Manchmal ergibt sich in der Diskussion, dass es kein Thema ist. Manchmal muss man Mitteilern die Sorge nehmen, dass es Fürchterliches auslösen wird."

Whistleblower brauchen Schutz

Whistleblower, die Vorfälle aufdecken und an die Öffentlichkeit bringen, gehen ein hohes Risiko ein. Als Denunziant muss sich heute zwar niemand mehr fühlen, doch wer legt sich gern mit Kollegen oder Vorgesetzten an? Viele haben auch Angst, ihren Job zu verlieren.

Andreas von Mariassy
"Ich bin nicht Siemens" - Andreas von MáriássyBild: DW

Máriássy hat die Funktion des Ombudsmanns für Siemens vor einem Jahr übernommen. Dass ein Informant entlassen wird, sei ihm zwar nicht bekannt, aber gänzlich ausschließen will er es nicht. Es gibt ein Schutzprogramm für Mitarbeiter, die zum Beispiel eine Versetzung wünschen.

Compliance ist jedoch nicht nur eine Frage von Regeln und Gesetzen, es geht vor allem um Offenheit und Transparenz. Es muss in der Firma eine Atmosphäre geschaffen werden, in der sich Mitarbeiter trauen, etwas zu sagen. Klaus Moosmayer drückt es so aus: "Man kann Mitarbeiter mit Compliance nicht kontrollieren, ich muss sie für die Compliance gewinnen. Sie darf nicht als Gegner des Geschäfts angesehen werden."