Auf Kriegsfuß mit der Jugend
23. Juli 2019Boris Johnson war natürlich klar, dass es die Mitglieder der konservativen Partei sind, die über seinen Einzug in die Downing Street entscheiden. Die leben überwiegend in den sogenannten Shires, den wohlhabenden Counties im Südosten Englands, sind überdurchschnittlich wohlhabend, älter und männlicher als der Bevölkerungsdurchschnitt. 40 Prozent von ihnen sind älter als 65 Jahre, 7 von 10 Mitgliedern der Tories sind Männer.
Das erste, das Boris Johnson also tat, war, ihnen ein Steuergeschenk in Höhe von rund 9 Milliarden Pfund anzubieten. Auch der Ton seiner Kampagne, die ständige Erwähnung von britischer Größe und der besonderen Bedeutung, die das Land nach dem Brexit wieder erlangen würde, ist auf diese Klientel ausgerichtet. "Das Land muss das Gefühl seiner Mission wieder erlangen" und den Geist des "Wir-schaffen-das", um einen guten Brexit zu erreichen, predigte Johnson. Vor allem letzteres ist eine Anspielung auf die britische Mentalität im Zweiten Weltkrieg, die der jüngeren Generationen nichts mehr bedeutet.
Außerdem gibt es Hinweise darauf, dass die Partei weiter nach rechts gerückt ist: Im Laufe des vergangenen Jahres hat sie über 30.000 neue Mitglieder gewonnen, von denen wohl viele einem Aufruf unter Brexiteers gefolgt sind, auf diese Weise Einfluss auf die Wahl des neuen Premier und die Art und Weise des Brexit zu nehmen.
Was hat Johnson der Jugend anzubieten?
Jeremy Hunt, Gegenspieler Johnsons in den letzten Wochen, erwähnte in einer der Diskussionen im internen Tory-Wahlkampf zumindest die immense Schuldenlast für britische Studenten, die Jahrzehnte brauchen, um ihre Studienkredite von 50.000 Pfund und mehr abzuzahlen. Johnson dagegen versprach nur bei einer Werksbesichtigung seine Unterstützung für mehr Ausbildungsplätze. Das hat bisher noch jeder Premierminister getan, und es ist noch nie etwas dabei heraus gekommen. Abgesehen davon: Fehlanzeige, was den Versuch angeht, junge Unterstützer anzusprechen.
Vermutlich macht sich Johnson dabei auch keine Illusionen: Schließlich haben 73 Prozent der Wähler zwischen 18 und 24 Jahren beim Brexit-Referendum gegen den Austritt, für den Verbleib in der EU gestimmt. Seine zentrale politische Botschaft aber ist derzeit, so schnell wie möglich den Brexit umzusetzen. Damit steht er im Widerspruch zu einer ganzen Generation jüngerer Wähler.
Es sind Leute wie Ed Shackle, der sich im Prinzip zur Tory-Partei bekennt, bei der Europawahl im Mai aber Liberale gewählt hat. Er berichtet von einem Treffen mit Boris Johnson vor ein paar Tagen in Kent, wo er sich Parteimitgliedern vorstellte. Ed unterstützt eine Kampagne junger Leute für ein zweites Referendum. "Brexit ist ein verfehltes Projekt. Die meisten jungen Leute sehen das jetzt", habe er ihm zugerufen. "Wie wollen Sie junge Leute an eine Partei heran holen, die ihnen nichts als eine Katastrophe für ihre Zukunft anbietet?"
Boris Johnson aber habe die Frage nicht beantwortet und nur gesagt:"Geh doch raus und hol welche heran, schreib sie für die Partei ein". Die Partei gehe in eine ganz falsche Richtung, fürchtet Shackle; wenn sie versuche, Nigel Farage von der Brexit-Party zu imitieren, werde sie die letzte Chance bei jungen Wählern verlieren.
Reaktionen auf Boris sind "unaussprechlich"
Vor ein paar Tagen besuchte der junge Tory Aktivist mit Freunden das "Tramlines"-Festival in Kent. "Ich habe bestimmt hundert junge Leute da auf Boris Johnson angesprochen, und die Reaktionen waren so beleidigend, dass ich sie nicht wiederholen kann", berichtet er. Die Jungen seien wütend, dass er den Brexit durchpauken wolle, ohne dass sie dazu befragt würden.
"Er genießt Null Vertrauen", erklärt Ed Shackle, "und die Narrennummer, die er gespielt hat, als er Bürgermeister von London war, nehmen sie ihm als Premierminister nicht ab". Außerdem kämen seine rassistischen und sexistischen Bemerkungen - die von älteren Tories als "bunt" toleriert würden - bei jungen Leuten ganz schlecht an. Wer muslimische Frauen "Briefkästen" nennt und Schwarze als "Picaninnies" lächerlich macht, habe in der Generation keine Freunde.
Auch mit den Klima-Protestierern hat Boris Johnson es sich verdorben. Er erklärte jungen Demonstranten, er habe es "satt, dass sie ihre eigene Meinung für wichtiger halten als seine". Er nannte die "Extinction Rebellion"-Aktivisten, die über Monate an Freitagen regelmäßig den Verkehr in Zentrums Londons lahm legten, "selbstzufrieden und irritierend".
Er wolle sich von ihnen nicht sagen lassen, dass man nur in Notfällen fliegen sollte, um dann ihre Instagram Bilder von Ski-Urlauben zu sehen. Johnson nutzte seine wöchentliche Kolumne im Tory-Zentralorgan "Telegraph", um den Klima-Protestierern nach allen Regeln der Kunst die Leviten zu lesen. Klar, dass dieser Angriff auf die ältere konservative Leserschaft zielte - bei der jungen Generation dürfte er damit keine Punkte gemacht haben.
Kann Johnson so Wahlen gewinnen?
Tory-Strategen machen sich inzwischen Sorgen darüber, dass es für Johnson schwer wird, Wahlen zu gewinnen, wenn er eine ganze Altersgruppe bereits verloren hat, zumal die jungen Wähler stark im Organisieren von Protesten und öffentlichen Aktionen sind. Außerdem gibt es viele Jungwähler, die noch wütend sind über die verlorene Brexit-Abstimmung - an der viele von ihnen aus Nachlässigkeit nicht teilgenommen hatten. Sie könnten besonders zahlreich an die Wahlurnen streben, wenn Boris Johnson versuchen muss, seine auf zwei Stimmen geschrumpfte Parlamentsmehrheit wieder auszubauen.
Unterdessen versuchen junge Labour-Aktivisten in seinem Londoner Wahlbezirk Uxbridge, Johnson eine schmerzhafte Niederlage zu bereiten. Sie haben einen gerade 25-jährigen Kandidaten aufgestellt, der ihm seinen Sitz im Unterhaus abjagen soll, und eine massive Anti-Boris Kampagne gestartet. Da Johnson sich in Uxbridge selten hatte sehen lassen, könnte die Rechnung für die Opposition aufgehen, zumal seine Mehrheit bei der letzten Wahl gerade 5000 Stimmen betrug. Er wäre der erste Premierminister seit hundert Jahren, der während seiner Amtszeit aus dem Parlament flöge. Aber das könnte durchaus nicht der einzige Rekord werden, den der nächste Premierminister aufstellen wird.