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Deutsche HipHop-Kultur

Mikko Stübner-Lankuttis2. Dezember 2015

Eine Reise in die musikalische Vergangenheit. Drei Szenegrößen reisen quer durch Deutschland, um das Geheimnis zu lüften: wer war der erste deutsche Rapper? Ein Kinofilm über die Anfänge des deutschen Sprechgesangs.

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Film Black Tape

HipHop ist seit jeher eine streitbare Kultur. Die Pioniere im New Yorker Stadtteil Bronx erfanden Ende der 1970er Jahre die HipHop-Battles, um die Gang-Gewalt in der US-Metropole einzudämmen. Duelle wurden mit Worten statt Waffen ausgetragen: Der Rap war geboren.

Anfang der 80er startete die HipHop-Kultur ihren Siegeszug um die Welt. Doch es dauerte noch fast ein Jahrzehnt, bis sich in Deutschland eine eigenständige Szene entwickelte. Heute ist deutscher Rap längst salonfähig geworden: Allein in diesem Jahr haben 17 Alben die Chart-Spitze erobert. Die meisten dieser Rapper sind so jung, dass sie die Anfänge nur aus Erzählungen kennen. Falls sie sich überhaupt dafür interessieren. Denn wo es heute oft um Statussymbole geht, stand früher die Anerkennung im Vordergrund. Deutscher HipHop war eine Gegenkultur, die gegen soziale und politische Ungerechtigkeiten aufbegehrte.

Wer ist dieser mysteriöse Tigon?

Nun erscheint mit "Blacktape" ein Kinofilm, der diese Zeit näher beleuchtet. Regie führte der afroamerikanische Rapper Sékou Neblett, der seit mehr als 20 Jahren in Deutschland lebt. Vier Jahre lang hat er an "Blacktape" gearbeitet, um der deutschen HipHop-Kultur ein Denkmal zu setzen. Herausgekommen ist ein ungewöhnlicher Dokumentarfilm, in dem Realität und Fiktion verschwimmen. Gesucht wird der erste Deutschrapper - das Leitmotiv heißt: Wer ist Tigon?

"Diese Frage werde ich natürlich nicht beantworten, denn das Publikum soll in diesen Film gehen und das selbst entdecken", sagt der Filmemacher lachend. Sein Film-Team hat zwei Musik-Journalisten begleitet, die in den letzten 15 Jahren selbst zu Protagonisten der deutschen Rap-Szene geworden sind: Falk Schacht begann in den 90er Jahren als DJ Hawkeye in Hannover und moderierte später auf dem Musiksender VIVA die Rap-Sendung "Mixery Raw Deluxe". Marcus Staiger stammt aus der schwäbischen Stadt Leonberg und gründete Ende der 90er Jahre in Berlin das Independent-Label "Royal Bunker", auf dem Künstler wie Kool Savas, Sido und Eko Fresh ihre ersten musikalischen Gehversuche veröffentlichten.

Sékou Neblett selbst stammt aus Boston und kam 1993 für ein Studium der Sprachwissenschaften nach Freiburg. Nachdem er den Stuttgarter Rapper Max Herre kennenlernte, wurde er Teil der Formation Freundeskreis: Gemeinsam landeten sie Chart-Hits wie "A-N-N-A" und "Tabula Rasa".

Kommerz vs. Underground

Obwohl alle drei Protagonisten mit Rap-Musik aufgewachsen sind, unterscheiden sich ihre Ansichten über die Werte dieser Kultur enorm: Marcus Staiger ist ein streitbarer Verfechter des Underground-Gedankens. Er fordert von Musikern mehr politisches Handeln und lehnt die kommerzielle Ausschlachtung des HipHop ab.

Kinofilm Blacktape Still
Reise in die eigene musikalische Vergangenheit: Regisseur und Reporter sind selbst MusikerBild: Camino Filmverleih

Im Film fechten die Protagonisten viele Diskurse aus, die es in der deutschen Rap-Szene von Anfang an gab. Vor allem Falk Schacht und Marcus Staiger diskutieren lautstark vor der Kamera und hinterfragen ständig ihre Mission: Soll man überhaupt aufdecken, wer Tigon ist? Oder wäre gerade das ein Verrat an der Untergrund-Kultur?

Anfangs finden die HipHop-Journalisten die titelgebende schwarze Kassette mit Rap-Songs des ominösen Tigon. 1986 soll er als erster deutscher Rapper öffentlich aufgetreten sein – in der Heidelberger US-Kaserne "Campbell Barracks". Das Team macht sich auf eine mehrwöchige Spurensuche und trifft dabei sogar ehemalige Kriminalbeamte und US-Behörden.

Viel deutsche HipHop-Prominenz

Für den US-Regisseur ist "Blacktape" vor allem eine Suche nach der Entstehungsgeschichte: "Jede Kultur braucht irgendwann die Reflektion: Wir haben seit rund 30 Jahren HipHop in Deutschland, aber hierzulande werden die 'Heroes' nicht so gefeiert wie die Helden der Popkultur in den USA oder England."

In der Dokumentation kommen auch zahlreiche bekannte Rapper verschiedener Generationen zu Wort – darunter Thomas D. von den Fantastischen Vier, Samy Deluxe und Haftbefehl. Sie erklären ihren Blick auf HipHop in kurzen Interviewsequenzen, während die Suche nach Tigon weiter geht. Die Suche gestaltet sich nicht ganz leicht, da die deutsche Szene in den 80er Jahren filmisch kaum dokumentiert ist.

Dabei waren es gerade halb-dokumentarische US-HipHop-Filme wie "Wildstyle" und "Beat Street", die in Deutschland das Feuer entfachten. Breakdance, Graffiti und Rap-Musik begeisterten die Zuschauer zunächst vor allem in urbanen Regionen. Speziell in Städten mit US-Kasernen konnten Heranwachsende zwischen Berlin und Bamberg HipHop hautnah erleben. In den GI-Clubs dröhnten immer häufiger tiefe Bässe, zu denen Afro-Amerikaner in bunten Sportklamotten tanzten.

Berlin Oster Jam Breakdancer Storm
Breakdancer "Storm", 1994 in BerlinBild: Mikko Stübner-Lankuttis

HipHop auf Deutsch galt als uncool

In diesem Umfeld soll Tigon 1986 also erstmals öffentlich gerappt haben – der Auslöser für eine kleine Kulturrevolution. Denn die deutsche Sprache galt zu dieser Zeit alles andere als cool. Dazu Sékou Neblett: "Mich hat fasziniert, dass die deutsche Sprache nach dem Zweiten Weltkrieg tabuisiert war, weil es eine 'Tätersprache' war. Diese Sprache stand so sehr unter Beschuss, dass alle versucht haben, sich davon zu distanzieren, um sich auch von den Menschen zu distanzieren, die diese schrecklichen Dinge getan haben. Und das hat natürlich auch die Popkultur betroffen."

Ohne die Präsenz der Amerikaner hätte Rap in Deutschland vermutlich nicht so einen Nerv getroffen. In Stuttgart gründet sich 1986 eine Formation, die später als Die Fantastischen Vier die ersten Deutschrap-Chart-Hits produziert. Optisch orientieren sie sich an den USA, doch musikalisch konstruieren sie ihre eigene Erzählsprache. 1992 postuliert Rapper Smudo in einem MTV-Interview: "The German language is rapable." Mit dem Untertitel "Die letzte Besatzermusik" zollt die Band später in ihrer Biographie den US-Wurzeln Tribut.

In der Folgezeit werden die Fantastischen Vier für ihren kommerziellen Erfolg von der Szene stark kritisiert. Dennoch rücken sie deutschen Rap ins öffentliche Bewusstsein. Was vorher in Jugendhäusern praktiziert wurde, interessiert die Medien: Von Hamburg bis München formieren sich Rap-Gruppen. Von Budenheim bis Braunschweig gründen sich Mini-Labels wie MZEE und Rap Nation. Von Kiel bis Köln werden HipHop-Jams veranstaltet, auf denen Rapper und DJs auftreten, während im Publikum Breakdancer ihre Power Moves zeigen und Graffiti-Künstler die Wände bunt bemalen.

Plattencover Sampler "Alte Schule"
Der Sampler "Alte Schule" von 1993 setzt den Anfängen des deutschen HipHop ein DenkmalBild: Mode 2/MZEE Records

Gesichter des Undergrounds

Die Heidelberger Advanced Chemistry gehören zu den Gruppen, die den Kulturgedanken von HipHop und seine Werte besonders nachhaltig propagieren. Die Gruppe wird 1987 in der süddeutschen Hochkultur-Stadt am Neckar gegründet und macht die Rapper Toni L., Linguist und Torch zu Gesichtern des Undergrounds. Mit "Fremd im eigenen Land" verarbeiten sie 1992 den zunehmenden Rassismus in Deutschland. Zur Untermauerung ihres ernsthaften Anspruchs samplen sie im Refrain die Titelmelodie des Nachrichtenmagazins Spiegel TV. Kein Wunder also, dass ein großer Teil von "Blacktape" auch in Heidelberg spielt.

Sékou Nebletts Dokumentarfilm erfordert vom Zuschauer viel Aufmerksamkeit: Erst ganz am Ende finden die Protagonisten zu Tigon. Und die Kino-Zuschauer können damit erstmals dem deutschem Ur-HipHop ins Gesicht blicken.