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Abschlussbericht zur Ahrflut löst konträre Deutungen aus

2. August 2024

Wer trägt die Verantwortung für 135 Tote? In Rheinland-Pfalz wird weiter über das richtige Handeln während des Hochwassers an der Ahr gestritten. Jetzt gibt es einen Untersuchungsbericht - und Rücktrittsforderungen.

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Das Ahrtal bei Walporzheim fast drei Jahre nach der Flutkatastrophe
Der Wiederaufbau im schwer beschädigten Ahrtal ist noch längst nicht abgeschlossenBild: Thomas Frey/dpa/picture alliance

Gut drei Jahre nach der verheerenden Flut im Ahrtal hat der Untersuchungsausschuss in Rheinland-Pfalz seinen Abschlussbericht zu der Katastrophe veröffentlicht, bei der im Sommer 2021 im Ahrtal mindestens 135 Menschen ums Leben gekommen waren; eine Person gilt bis heute als vermisst. Das Papier beleuchtet die Arbeit des Katastrophenschutzes, der Landesregierung und nachgeordneter Behörden in der Flutnacht vom 14. auf den 15. Juli 2021 und der ersten Phase danach. Doch Koalition und Opposition ziehen daraus völlig unterschiedliche Schlüsse.

Der 2141 Seiten umfassende Bericht konstatiert "massive Versäumnisse des Landkreises beziehungsweise des damaligen Landrats des Kreises Ahrweiler". Das ist die Sichtweise der Regierungsfraktionen SPD, Grüne und FDP, die vor allem das Versagen des ehemaligen Landrats von Ahrweiler, Jürgen Pföhler (CDU), hervorheben. In dem Bericht heißt es, bedingt durch Verfehlungen von Pföhler sei es "nicht zu einer notwendigen Vorsorge im Vorfeld der Flutkatastrophe sowie angemessenen Reaktionen während dieser gekommen". Ein Sachverständiger habe Pföhler einen "Systemsprenger" genannt. Im April hatte die Staatsanwaltschaft die Ermittlungen gegen den früheren Landrat eingestellt

Der Ex-Landrat Jürgen Pföhler im Mainzer Untersuchungsausschuss im Jahr 2022
Der ehemalige Landrat von Ahrweiler, Jürgen Pföhler (Archivbild)Bild: Arne Dedert/dpa/picture alliance

Opposition verlangt personelle Konsequenzen

Die Oppositionsfraktionen von CDU, AfD und Freien Wählern betonen hingegen die Verantwortung übergeordneter Behörden und der Landesregierung in Mainz. Sie erneuerten ihre Forderung nach einer Entlassung oder einem Rücktritt des Umwelt-Staatssekretärs Erwin Manz (Grüne). Die CDU verlangt zudem, Thomas Linnertz zu entlassen. Er ist Chef der Aufsichts- und Dienstleistungsdirektion, einer zentralen Verwaltungsbehörde des Landes Rheinland-Pfalz.

Thomas Linnertz, Präsident der Aufsichts- und Dienstleistungsdirektion ADD
Im Visier der Opposition: Thomas Linnertz, Präsident der Aufsichts- und Dienstleistungsdirektion ADD (Archivbild)Bild: Sascha Ditscher/dpa/picture alliance

Die CDU kritisierte insbesondere "die unzureichende Vorbereitung des Hochwassermanagements und des Katastrophenschutzes, die fehlende Kommunikationsbereitschaft und die eklatant unterbliebene Zusammenarbeit der rheinland-pfälzischen Behörden". Diese Missstände habe der Untersuchungsausschuss "schonungslos offengelegt".

"Die Flutkatastrophe vom 14. und 15. Juli 2021 ist die größte Naturkatastrophe, die unser Bundesland seit seiner Gründung am 30. August 1946 ereilt hat", hält der Bericht fest. Mindestens 135 Menschen hätten ihr Leben gelassen, viele weitere seien verletzt worden. Unzählige hätten ihr Hab und Gut verloren. Die psychischen Belastungen hallten bis zum heutigen Tage und auch in der weiteren Zukunft nach.

"So gut wie unvorhersehbar"

Die Autoren betonen allerdings auch, dass das Ereignis in seinem Ausmaß und seiner Einzigartigkeit "so gut wie unvorhersehbar" gewesen sei. Es sei selbst bundesweit beispiellos gewesen, dass teils meterhohe Wellen durch ein Flusstal schossen. Die Katastrophe sei auch "aufgrund einer Vielzahl von Gründen wie beispielsweise Stromausfällen, Funkausfällen, Meldelücken und vielem mehr in seiner tatsächlichen Dimension außerhalb der direkt betroffenen Regionen lange Zeit nicht erfassbar" gewesen. Der Ausschuss hebt hervor, dass der Landtag als Konsequenz eine Enquete-Kommission eingesetzt habe, die "Zukunftsstrategien zur Katastrophenvorsorge" entwickeln soll.

Im Zusammenhang mit der Aufarbeitung der Ereignisse waren die frühere rheinland-pfälzische Umweltministerin und spätere Bundesfamilienministerin Anne Spiegel (Grüne) sowie Innenminister Roger Lewentz (SPD) aus unterschiedlichen Gründen zurückgetreten. Die langjährige Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) blieb nach der Katastrophe im Amt und trat erst im Juli aus gesundheitlichen Gründen zurück. Sie verweigerte beharrlich eine Entschuldigung. Die CDU wirft ihr mit Blick auf die Flutkatastrophe vor, das Amt nicht zum Wohle des Volkes ausgeübt zu haben.

Zwei Winzerinnen und ihr Neuanfang im Ahrtal

Der Untersuchungsausschuss des Landtags war auf Antrag der CDU-Fraktion mit den Stimmen der drei Oppositionsfraktionen im September 2021 beschlossen worden. Bis zum Ende der Beweisaufnahme im Februar 2024 vernahm er 226 Zeugen und Zeuginnen sowie 23 Sachverständige. Dem Gremium standen nach eigenen Angaben mehr als eine Million Dateien mit einem Umfang von insgesamt rund 560 Gigabyte zur Verfügung. Das Landesparlament in Mainz wird den Bericht nach der Sommerpause im September erörtern.

kle/jj (epd, dpa, kna)